piwik no script img

Rendezvous mit Jungen Liberalen

Würde unsere Autorin eine Person küssen wollen, die FDP-Mitglied ist? Testhalber datet sie fünf Jungliberale. Hier ihr Ergebnis

Die haben’s verstanden: Umweltschutzslogan auf Plastik­ballons Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Von Shoko Bethke

Angenommen, ich bin auf einer Party voller Fremder. Mittendrin steuert eine Person auf mich zu und spricht mich charmant an – würde ich die Person irgendwann küssen wollen? Vielleicht. Aber gilt das selbst, wenn sich herausstellt, dass sie von der FDP ist?

Bei unserem Meeting des Wahlcamps stellten wir uns diese konkrete Frage. Während die eine Hälfte meiner Kol­le­g:in­nen sofort in den Widerstand geht, denken die anderen darüber nach. Ich gehörte zu den Letzteren. Insbesondere eine Frage beschäftigt mich: Was sind das für Menschen, bei denen man so lange nachdenken muss, ob man sie überhaupt küssen würde oder nicht?

Immerhin heißt FDP nicht gleich AfD. Nichtsdestotrotz gelten in meiner Bubble beide Parteien als definitiv unwählbar. Beim Überfliegen der Vorstandsmitglieder und des Präsidiums bestätigt sich sowohl das Klischee der Alte-Männer-Partei als auch die BWL-VWL-Jura-Dominanz. Ab und zu findet sich eine Frau, die Agrarwissenschaften studiert hat, aber das ist eher die Ausnahme.

Hauptsächlich kuschelt die FDP nur mit einem Typus Wählerschaft, und das sind die Reichen, die – oh Wunder – in den allermeisten Fällen weiße Männer sind.

Andererseits stelle ich mit Blick auf das Wahlprogramm fest, dass die Partei durchaus Überschneidungen mit meinen Werten hat. Die FDP plädiert für Selbstbestimmung aller Individuen und will Rechtsextremismus bekämpfen.

Insbesondere die Jungen Liberalen, kurz Julis, finde ich interessant. In der Regel unterscheiden sich die jungen Parteien von ihrer Mutterpartei. Um mir einen Blick über die Nachwuchs-FDP zu verschaffen, rufe ich ein paar Julis an und fragte nach einem „Date“.

Insgesamt treffe ich fünf Julis und gebe mir noch einen Stammtisch. Der ursprüngliche Plan war, fünf Porträts zu schreiben. Am Ende stehe ich nur vor einem Problem: Die Gespräche laufen alle aufs Gleiche hinaus.

Die getroffenen Kan­di­da­t:in­nen sind Dominik, Fabrice, Ludwig, Lui­se und Jaspinder, alle im Alter von 20 bis 27. Die Lebensphasen reichen von „frisch Abi geschafft“ bis hin zu „verlobt und bald werdender Vater“. Dass ich in der männerdominierten Partei zwei Frauen date, ist kein Zufall, sondern bewusst gewählt. Meine Interessen als Frau mit Migrationshintergrund stehen im kompletten Widerspruch zu den Prioritäten der FDP. Ich bin neugierig, was Frauen an der Partei finden.

Während die Frauen mir knappe Antworten geben, sprudeln die Männer teilweise ohne Punkt und Komma. Wie ich mit ihnen so im Café sitze, denke ich irgendwann: Da hätte ich genauso gut Lindner vor dem Fernseher zuhören können.

Wie löst man das Problem mit dem Klimawandel? – Mit dem CO2-Zertifikat. Wie bekämpft man Rassismus? – Mit mehr Bildung. Wohnungen enteignen? – Nein, stattdessen mehr bauen. Bessere Bezahlung für Geringverdienerjobs? – Jobwechsel ermöglichen. Frauenquote? – Nein, man sieht ja schon, dass die Gleichberechtigung im Gange ist.

Beim Thema Rassismus lautet das Argument der Julis, dass mit mehr Bildung und Aufklärung Rassismus entgegengewirkt werden kann. Aber ist das tatsächlich so?

Im Geschichtsunterricht behandeln Schü­le­r:in­nen jahrelang den Nationalsozialismus und hierzulande existiert trotzdem ein starker Antisemitismus. Außerdem müssen nicht nur Schüler:innen, sondern jeder Mensch über rassistische Strukturen und Machthierarchien aufgeklärt werden. Ferner: Wie soll Aufklärung in der Schule funktionieren, wenn es Lehrkräfte gibt, die rassistisch denken und handeln?

Auch zu Geringverdienerjobs haben die Julis keine Lösung. Oder doch, sie lautet, Menschen Aufstiegschancen zu ermöglichen und Trainings für bessere Gehaltsverhandlungen einzuführen. Ich frage mich ernsthaft, wie das funktionieren soll, denn nicht jede Person will einen Jobwechsel. Ob man’s glaubt oder nicht, manche Leute mögen ihren Job. Sie wollen einfach nur mehr Geld dafür haben.

„Man muss gucken, dass jeder, der arbeitet, auch davon leben kann“, erklärt mir Dominik, mit dem ich im Außenbereich einer Art Dönerbude sitze, weil es hier „guten Käsekuchen“ gebe, den wir beide dann nicht bestellen. Dominik trägt ein beigefarbiges Hemd und lacht sehr viel. Sein Lachen ist ansteckend, seine Werte eher nicht. Ich frage ihn, ob Mindestlohn die Lösung sei. Dominik schüttelt den Kopf. Nein, es soll bessere Gehaltsverhandlungen geben, Mindestlohn sei nicht zielführend.

Luise, die mir im Restaurant gegenübersitzt und mich mit ihren blauen Augen fixiert, ist verärgert, als ich ihr erkläre, dass die FDP ja mit ihrer weißen Männerdominanz nicht die deutsche Bevölkerung repräsentiere. „Es ist nicht Sinn einer Partei, die Bevölkerung eins zu eins abzubilden“, sagt sie scharf. „Wir sind auch nicht dafür verantwortlich, dass andere nicht in die FDP kommen, und man sollte vorsichtig sein, Frauen in der FDP vorzuwerfen, warum nicht noch mehr Frauen dabei sind.“

Ich nicke und frage mich, wie häufig sie sich das wohl anhören muss. Luise ist stark geschminkt, hat ihre blonden Haare leicht nach hinten gebunden und hat, im Gegensatz zu mir mit meinem schwarzen Hoodie, ein elegantes Auftreten. Ich will ein neues Thema ansprechen, aber Lui­se ist nicht fertig: „Ich halte es für eine bedenkliche Einstellung und sehr demokratiefeindlich, zu sagen, es heißt, nur ein Betroffener kann etwas vertreten.“

Mit Fabrice, der eine große schwarze Brille trägt und seine vom Regen nassen Haare schüttelt, will ich über Enteignung von Wohnungen reden. Er ist vehement dagegen. Als ich ihn frage, ob er denn nicht Glück gehabt habe, weil seine Eltern das Haus seiner Großmutter erben konnten, verzieht er das Gesicht.

„Der Staat soll sich nicht in das Eigentum der Menschen einmischen“, sagt er. „Es ist doch altruistisch, wenn man für seine Kinder das Beste will und sie es einfacher haben sollen als man selber.“ Er selbst habe allerdings kein Geld von seinen Eltern bekommen, „und ich habe ihnen deswegen nie Vorwürfe gemacht. Dafür haben sie mir wichtige Werte mitgegeben. Ich habe deswegen gearbeitet, schon früh selbst angefangen, für mein Geld zu arbeiten, und das war in Ordnung.“

Seine Worte überzeugen mich nicht, denn ich weiß, er kommt aus Hamburg-Blankenese, dem Stadtteil der Reichen. Ein Haus zu erben und akademisch gebildet zu sein entsprechen nicht meiner Definition von prekären Lebensumständen. Unter solchen Umständen, denke ich, ist es einfacher, Aufstiegschancen zu ergattern.

„Ich habe schon früh angefangen, für mein Geld zu arbeiten, und das war in Ordnung“

Die Krönung meiner Recherche sind die Gespräche mit Finn Behrends und Ludwig Behr. Beide hatten schriftlich einem Gespräch zugestimmt. Als ich dann Finn anrufe, erklärt er mir, er wisse nicht, was er mir erzählen dürfe. Weitere Kontaktversuche meinerseits scheitern, da er nicht mehr ans Telefon geht und meine Nachrichten ignoriert.

Stattdessen schreibt mir der Pressesprecher der Julis Berlin, dass ich ein Gespräch mit der stellvertretenden Landesvorsitzenden führen könnte. Hä? Nein. Ich entscheide, wen ich treffe und für spannend halte.

Mit Ludwig Behr unterhalte ich mich eine Stunde in einem Café. Das Gespräch verläuft zunächst angespannt, zum Ende hin freundlich. Zwei Wochen später ruft er an und erklärt mir, dass ich das Gespräch nicht veröffentlichen dürfe. Sie hätten im Plenum beschlossen, dass ausschließlich die Vorsitzenden der Julis ein Interview geben dürften.

Was ist das für eine Partei, die ihren Mitgliedern den Mund verbietet? Warum traut sich da jemand nicht, seine eigene Meinung zu äußern, was soll schon Schlimmes passieren, außer dass ich ihn nicht mehr daten will? Wo ist die Freiheit der Jungen Liberalen geblieben, wenn sie noch nicht mal eine Stunde locker mit mir plaudern dürfen?

Am Ende habe ich die Schnauze voll, aber dafür meine Antwort auf die Frage, welche Offenkundigkeiten die FDP so dermaßen unattraktiv machen. Für mich ist es vor allem die Unreflektiertheit für andere Lebensrealitäten. Die Julis nehmen Probleme, die ich sehr ernst nehme, nicht besonders ernst.

Ich will, dass Rassismus und Polizeigewalt gegen Minderheiten ernst genommen werden. Ich will, dass Quoten eingeführt werden, denn Privilegierte werden nicht freiwillig ihren Posten räumen. Ich will, dass für den Klimawandel effiziente Lösungen umgesetzt werden, auf Kosten von Konzernen. Ich will, dass unsere Gesellschaft nicht auf Kapitalismus und Karriere fokussiert ist.

Für die Julis haben andere Themen deutlich mehr Bedeutung, wie beispielsweise die Digitalisierung. Als ich Fabrice im Café gegenübersitze, bin ich ausgelaugt und habe keine Motivation mehr. Stumm zahle ich seinen Orangensaft in bar und verabschiede mich. Wenn ich eine Person daten möchte, dann keine, die meine Werte im Bundestag nicht vertreten sehen will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen