Jazzclub-Betreiber über Corona: „Wir brauchen staatliche Förderung“
Im Hamburger Birdland gibt es nun wieder Jazz vor Publikum. Betreiber Wolff Reichert über das Besondere an dem Club – und wie es weitergehen soll.
taz: Wolff Reichert, Ihr Jazzclub in Hamburg-Eimsbüttel hat am Donnerstag wieder für Zuschauer*innen geöffnet – zum ersten Mal seit Oktober 2020. Was ist das Besondere am „Birdland“?
Wolff Reichert: Die Tatsache, dass man die Musiker hautnah erleben kann. Die zweieinhalb Meter Abstand, die der Saxofonist nun zum Publikum einhalten muss, sind in normalen Zeiten kaum möglich. Oft ist es dann so voll, dass die Leute auf dem Fußboden sitzen. Als der US-Organist Larry Goldings mit seinem Trio da war, hat sich jemand sogar auf die Bühne gesetzt. Auf den Klavierhocker, denn das war der einzige Platz, der noch übrig war.
Ihr Vater Dieter Reichert war Architekt, hat das Haus an der Hamburger Gärtnerstraße gebaut – und im Keller dann 1985 einen Club aufgemacht.
Mein Vater war immer schon jazzbegeistert und spielte Saxofon. Seinen Übungsraum hatte er in der Kantine seiner Firma – die Mitarbeiter mussten zwischen Schlagzeug und Klavier essen. Also musste ein Club her. Der war ursprünglich nur halb so groß, es gab nur den unteren Teil – da passte nicht einmal ein Flügel rein. Dieter hat dann einmal in der Sommerpause mit seiner eigenen Steinmetz-Firma den Keller ausgeschachtet und den Club vergrößert. Man steigt die Treppe hinab in eine eigene Welt – und vergisst die Zeit. Es funktioniert erstaunlich gut dafür, dass es ein Wohnhaus ist. Niemand beschwert sich je über Lärm.
Ihr Vater sagte einmal, ein Club sei wie ein Segelboot.
Genau, und es gibt ja auch den Spruch: Ein Boot zu besitzen ist, wie im Smoking unter der Dusche zu stehen und Geldscheine zu zerreißen. Nun ja, ein Club bedeutet Herzblut. Da ist jede Menge privates Vermögen hinein geflossen.
Schon vor Corona war es selten rentabel, einen Club zu betreiben. Wie sieht das jetzt aus?
Wir haben im Oktober 2020 für einen Monat aufgemacht. Jeder Abend war ausverkauft, aber mit 30 bis 35 Zuschauer*innen kann man wirtschaftlich nicht erfolgreich sein. Ohne staatliche Förderung wäre das auch jetzt nicht möglich, da kommt uns die Initiative Neustart Kultur entgegen. Bei 3G-Bedingungen ist es schwer. Man zahlt ja normalerweise aus dem Barumsatz auch die Band.
Aktuell melden sich immer mehr Clubs und Veranstalter*innen für 2G an – dann dürfen nur noch Genesene und Geimpfte rein, dafür aber deutlich mehr. Was halten Sie davon?
Ich heiße das Impfen gut, und es lohnt sich natürlich für uns, wenn wir 150 statt 35 Leute zulassen können. Aber es wäre schwierig gewesen, den September mit 2G zu machen – wir konnten keine Konzerte absagen, die schon unter 3G-Bedingungen geplant wurden. Es ist schon etwas nervig, die Verantwortung als Veranstalter aufgedrückt zu bekommen. Ob man sich nun für 2G oder 3G entscheidet – man wird immer jemanden vor den Kopf stoßen. Und selbst wenn man ganz neutral bei Musiker*innen den Impfstatus abfragt, wird man in Diskussionen hineingezogen, die man gar nicht wollte. Es wird im Oktober noch Shows mit 3G geben – aber eigentlich wollen wir in dem Monat schon mit 2G starten. Wir würden uns freuen, wieder Konzerte unter annähernd normalen Bedingungen machen zu können.
Sinnvoll sicher auch für ihre beliebten Jam-Sessions am Donnerstag: Da dürfen momentan maximal sechs Musiker*innen auf die Bühne.
Ich habe das sehr vermisst: Sich mit der jungen Szene auszutauschen, zu sehen, wer die neuen Studierenden in der Stadt sind. Das ist einmalig: eine Mischung aus Nachbarschaftstreff und Touristenmagnet. Jeder im Publikum kann mitjammen, die ersten fünf Leute, die sich im Vorwege zum Spielen anmelden, kommen auf die Gästeliste. Manche Veranstalter*innen nutzen solche Sessions, um günstig Programm zu machen. Aber wir versuchen immer, die beste Band zu kriegen, die wir bekommen können. Da sind manchmal auch Schulkinder auf der Bühne – aber eben auch ein US-Star wie Saxofonist Kamasi Washington, der nach seinem Auftritt in Hamburg spontan vorbeigekommen ist.
Sie sind auch Booker, buchen also das Konzertprogramm im Birdland. Ein schwieriger Job?
Ich bekomme wirklich sehr viele E-Mails und kann nicht immer antworten. Und man kann Musiker*innen ja nicht einfach sagen, dass sie erst Erfahrungen sammeln sollen, bevor sie anfragen. Absagen fallen immer schwer. Die Künstler*innen wollen natürlich wissen, warum es nicht klappt, wenn sie sich mehrfach für ein Konzert bewerben. Aber das lässt sich nicht so leicht beantworten – es hat ja auch mit Geschmack zu tun.
Wen buchen Sie am liebsten?
Die Schwierigkeit ist, einschätzen zu können, ob eine Band auch Publikum zieht. Da ist es hilfreich, das Umfeld einer Band zu kennen. Man nimmt gerne jemanden, der schon einmal da war und mit dem man auf einer musikalischen Wellenlänge ist. Der Club soll auch ja Fans generieren, die wissen, worauf sie sich einstellen können. Da waren wir vor Corona auf einem guten Weg. Die wenigen Termine, die wir zu vergeben haben, sind immer schnell weg.
Was hat es eigentlich mit den expressionistischen Gemälden an der Wand auf sich?
Das ist das Markenzeichen des Ladens – die Acrylbilder auf Karton, eine Auftragsarbeit, die meine Mutter ausführte. Sie war hauptberuflich Anwältin und hat nach Feierabend die Porträts von Jazzmusiker*innen nach besonders ausdrucksstarken Plattencovern gemalt. Zum Teil sind da auch Autogramme drauf – das von Sängerin Diana Krall habe ich letztens zufällig entdeckt, als ich eine Steckdose suchte.
Neben Krall sind bei Ihnen schon jede Menge Stars aufgetreten, darunter Branford und Wynton Marsalis, Brad Mehldau und der Schlagzeuger Art Blakey. Haben Sie Erinnerungen daran?
Ich spielte selbst schon Schlagzeug und sah Art Blakeys Jazz Messengers als Teenager auf einem Jazzfestival – und zwei Jahre später läuft er mir dann in der Gärtnerstraße über den Weg. Das Birdland platzte aus allen Nähten, sogar die Band The Pogues stand in der Schlange. Aber die kamen nicht mehr rein und spielten dann nebenan Billard. An einem anderen Abend kam Wynton Marsalis mit seiner Band spontan zum Spielen vorbei – alle zahlten brav Eintritt, weil sie an der Kasse nicht erkannt wurden.
Hauptberuflich sind Sie heute Schlagzeuger in einer Rockabilly-Band.
Es war schön, sich nach dem Jazz-Studium mal ganz unbefangen freischwimmen zu können. Einfach mal drauflos zu spielen. Ich habe vor über 20 Jahren im Hamburger Musical „Buddy“ ein Jahr lang die Rolle des Jerry Allison gespielt, der war in den Fünfzigern Buddy Hollys Schlagzeuger. Aber meine erste Liebe gehört noch immer dem Jazz. Denn: Im Jazz kann immer alles passieren. Die Band und das Publikum werden eins.
Werden Sie bis ins hohe Alter trommeln, so wie der jüngst verstorbene Charlie Watts von den Roling Stones?
Klar, so lange es geht und Spaß macht. Aber das Ziel von meiner Frau und mir ist es, als Rentner ein Apartment in New York zu haben und da auf Konzerte zu gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!