: Taliban: Die neue Regierung steht
In Afghanistan ist die Bildung der künftigen Regierung abgeschlossen, sagen die Taliban, und kündigen ihre baldige Bekanntgabe an. Kaum Details bekannt
Von Sven Hansen
Innerhalb von zwei Tagen wollen die Taliban die Zusammensetzung ihrer künftigen Regierung bekannt geben. Dies sagte der stellvertretende Taliban-Chefunterhändler Scher Muhammad Abbas Stanaksai am Mittwoch gegenüber dem paschtusprachigen Programm der BBC. Laut Stanaksai werde die Regierung eine integrative sein, also auch Personen enthalten, die keine Taliban seien.
Die bisher unabhängige afghanische NachrichtenagenturKhaama Press berichtete, die Verhandlungen über die Regierung seien unter Führung von Taliban-Chef Mullah Hebatullah Achundsada am Montag in Kabul abgeschlossen worden. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe wurde hingegen mit „innerhalb von zwei Wochen“ angegeben. Talibansprecher Sabihullah Mudschahid wurde mit den Worten zitiert, die künftige Regierung werde keine Figuren des früheren Regimes enthalten. Sie hätten versagt und würden vom Volk nicht gewünscht.
Laut Stanaksai würden Frauen eine Rolle spielen, jedoch nicht auf Ministerebene. Voraussetzung sei, dass sie nicht mit früheren USA-nahen Regierungen zusammengearbeitet hätten. Stanaksai war in Katars Hauptstadt Doha bisher stellvertretender Leiter des internationalen Taliban-Büros, dem informellen Außenministerium. Seit dem Sieg der Gotteskrieger wurden mehrere westliche Botschaften nach Doha evakuiert. Über das dortige Taliban-Büro laufen die Gespräche westlicher Regierungen mit den Islamisten, etwa über die Ausreise weiterer lokaler Ortskräfte.
Im Rahmen seiner Reise in Sachen Aufnahme schutzbedürftiger Afghanen hielt sich auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Mittwoch in Doha auf. Dort traf er keine Taliban, sondern Katars Außenminister sowie den deutschen Diplomaten Markus Potzel. Der war früher Botschafter in Kabul und danach Berlins Sonderbeauftragter für Afghanistan. Der schnelle Sieg der Taliban verhinderte, dass Potzel im August wieder Botschafter in Kabul wurde. In Doha steht er jetzt in Kontakt mit dem dortigen Talibanbüro und versucht, Garantien für die Ausreise Schutzbedürftiger zu erhalten.
Der wegen dem Evakuierungsdesaster stark unter Druck stehende Maas bemüht sich um die Öffnung von Fluchtwegen für mehr als 40.000 Menschen, für die Deutschland in der Verantwortung steht. Dafür besuchte er die Türkei, Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan und verhandelte mit den dortigen Regierungen über die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge. Doch keine war bereit, längerfristig eine weitere größere Zahl zu beheimaten. Begrenzte Zusagen gab es nur für Transitreisen. Indes bemüht sich die Groko in Deutschland, das Thema Flüchtlinge aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
Nach Ende der Luftbrücke drängen sich laut Reuters an Grenzübergängen zu Iran und Pakistan Tausende Afghanen, die ihr Land verlassen wollen. Ausschlaggebend dürfte nicht nur die Angst vor den Taliban sein, sondern auch eine sich anbahnende humanitäre Katastrophe. Laut UN-Generalsekretär António Guterres ist fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung – insgesamt 18 Millionen Menschen – auf Hilfe angewiesen. Außer vom Krieg ist das Land auch von einer schweren Dürre betroffen.
Stanaksai zufolge soll innerhalb von zwei Tagen Kabuls Flughafen wieder geöffnet werden. Er war seit dem Abzug der Amerikaner Montagnacht geschlossen. Fraglich ist, ob die Taliban über die benötigten Experten verfügen und in der Lage sind, die dortigen Schäden zu reparieren. Doch haben Katar und die Türkei Hilfe zugesagt. Außenminister Maas erklärte laut dpa, Deutschland habe Interesse daran, bald wieder eine Botschaft in Kabul zu eröffnen, sofern es die Sicherheit erlaube. Dies sei keine Frage von diplomatischer Anerkennung, sondern: „Es geht um die Lösung ganz praktischer Probleme“.
Auch am Mittwoch feierten Taliban ihren Sieg. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge fand in der traditionellen Taliban-Hochburg Kandahar eine Parade von Kämpfern in erbeuteten und mit den weißen Talibanflaggen geschückten Humvee-Militärfahrzeugen aus US-Produktion statt. Ein Hubschrauber sei darüber geflogen. Bisher ging man davon aus, dass die Taliban nicht über Piloten verfügen.
Berichten zufolge gab es in der Nacht zum Mittwoch wieder Gefechte am Rande des Pandschir-Tals, der einzigen Region des Landes, die nicht unter Kontrolle der Taliban ist. Laut einem Talibansprecher seien Gespräche mit dortigen Stammesältesten gescheitert, so Khaama Press.
Am Dienstag verteidigte US-Präsident Joe Biden erneut den von ihm angeordneten Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Dies sei die beste Entscheidung für Amerika gewesen, so Biden. Derweil gratulierte das Terrornetzwerk al-Qaida den Taliban zur Machtübernahme in Kabul. Über seinen Propagandaflügel al-Sahab sprach al-Qaida am Dienstagabend laut dpa in einer zweiseitigen Mitteilung von einem „historischen Sieg“.
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