: Zwischen Welten wandern
Das Literaturhaus Berlin und Alexander Kluge laden in diesem Monat zum „Festival der Kooperationen“, einer ungewöhnlichen Veranstaltungsreihe mit begleitender Ausstellung
Von Katharina Granzin
Es ist ein wunderschönes Haus, das Literaturhaus in der Fasanenstraße. Von außen sowieso, und von innen ein Traum in dunkler Holzvertäfelung. Als Galerie eignet es sich nur bedingt, denn mit ihrer massiven Gediegenheit beeinträchtigen die verkleideten Wände durchaus die Wirkung der Exponate. Andererseits illustriert gerade die Tatsache, dass die repräsentativen Räumlichkeiten nicht in erster Linie für das Präsentieren von Kunst vorgesehen sind, ganz beiläufig das Thema, um das es gerade geht.
„Der Elefant im Dunkeln“ ist eine ungewöhnliche Ausstellung betitelt, die hier am Wochenende eröffnet wurde. Sie begleitet eine Veranstaltungsreihe, bei der Alexander Kluge als Hauptakteur fungiert und für die zahlreiche andere Menschen und Institutionen zur Mitarbeit gewonnen werden konnten. „Festival der Kooperationen“ nennt sich das Ganze, denn Kluge, der vor wenigen Tagen in dieser Zeitung als „der beweglichste Ein-Mann-Thinktank des Landes“ charakterisiert wurde, ist ein steter Wanderer zwischen vielen Denk- und Kunstwelten und lässt sich auf dieser Wanderschaft oft von neuen BegleiterInnen inspirieren. Sowohl in der Ausstellung als auch im Veranstaltungsprogramm liegt der zentrale Fokus auf Kluges Werken; doch soll es in beidem keineswegs ausschließlich darum gehen.
Prinzipiell ist auch geistige Anregung, sogar wenn sie nicht zielgerichtet erfolgt, schon eine Art Kooperation. In einem ähnlich weiten Sinne sollte der Begriff wohl im Kontext des Festivals verstanden werden. Das ergibt sich aus der Eröffnungsveranstaltung, die bei frischen Abendtemperaturen im Garten abgehalten wird. Kluges Kooperationspartner ist der Kulturjournalist und Historiker Gustav Seibt, der einst als Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs – das ebenfalls zu den Partnern des Festivals zählt – ein Buch geschrieben und dabei, wie mehrfach betont wird, nur „mit sich selbst kooperiert“ hat.
Seibt und Kluge sitzen da und kooperieren insofern, als sie sich freundschaftlich mit Vorlesen abwechseln und dazwischen miteinander sprechen. Ihr Thema ist die Kapitulation der französischen Revolutionstruppen im Mainz des Jahres 1793 und das Räsonnieren über die Tatsache, welch große zivilisatorische Leistung – als Vertrag, der von beiden Seiten eingehalten wird – eine Kapitulation eigentlich ist.
Danach singt Lilith Stangenberg vom Balkon des Hauses herab revolutionäre Lieder; zumindest wirkt es so. Das erste Lied ist auf Russisch, das zweite auf Spanisch. Wenn Stangenberg singt, klingt fast alles wie ein Revolutionslied, denn sie skandiert die Noten mehr, als dass sie wirklich sänge; und es ist unklar, ob diese kreative und recht einzigartige Stimmbehandlung absichtlich gewählt oder ursprünglich aus einem Mangel heraus entwickelt wurde. Dass Stangenberg an diesem Abend auftritt, ist, wie Kurator Asmus Trautsch im Anschluss verrät, ein Beispiel für besonders geglückte spontane Kooperation; denn „wegen eines Tests“ hat das ursprünglich engagierte Solistenensemble Kaleidoskop nicht antreten können.
Stangenbergs Einsatz ist aber auch deshalb ein Glücksfall, weil der Volksbühnenstar ohnehin als wichtige Akteurin in Alexander Kluges aktuellerem Werk fungiert. Im Rahmen des Festivals wird „Orphea“ gezeigt, ein gar wundersamer Film, den Kluge in Zusammenarbeit mit dem indonesischen Künstler Khavn De La Cruz drehte. Stangenberg spielt darin eine weibliche Orpheus-Version, auf der Suche nach dem Geliebten umherirrend in indonesischen Elendsquartieren.
Auch in der Ausstellung taucht die Schauspielerin wieder auf, in einem der Kurzfilmschnipsel, die innerhalb eines schreinähnlichen Aufbaus gezeigt werden, den Jonathan Meese für die Filmprojektion gebaut hat. In einem weiteren dieser Filmschnipsel ist Helge Schneider zu sehen (auch mit diesem zusammen hat Kluge letztes Jahr einen abendfüllenden Film gedreht). Noch sehr viele andere filmische Kluge-Arbeiten können in der Ausstellung entdeckt werden; gleichzeitig wird man angeregt, zu Hause bei Kluges Internet-Fernsehen dctp.tv weiterzugucken. Dort wird unter anderem ein Livestream des Festivals angeboten, der den physischen Besuch vieler Veranstaltungen im Prinzip unnötig macht.
Natürlich trifft das auf die Ausstellung nicht zu, die neben Werken bildender Kunst auch etliche wundervolle Exponate aus dem Reich der Pflanzen enthält und die kooperativen beziehungsweise symbiotischen Fähigkeiten von Pilzen, Flechten und Korallen thematisiert. Auch für die geführten Spaziergänge, die das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) im Rahmen des Festivals für lau anbietet, sollte man wohl auf jeden Fall das Haus verlassen.
„Festival der Kooperationen“, bis zum 26. 9., Programm unter www.literaturhaus-berlin.de. Livestream unter www.dctp.tv
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