: An der Kette?
Für Akteure des fairen Handels ist das Lieferkettengesetz nur ein überfälliger erster Schritt. Noch fehlen verbindliche Vorgaben
Von Frank Herrmann
Beinahe zwei Jahre hatten mehr als 125 Organisationen der Zivilgesellschaft, vereint in der Initiative Lieferkettengesetz, auf diesen Moment hingearbeitet. Am 11. Juni 2021 war es dann so weit: Der Bundestag verabschiedete das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das deutschen Firmen im Ausland von 2023 an rechtlich bindende unternehmerische Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferkette auferlegt.
So richtig zufriedene Gesichter sah man allerdings nur in der Politik, die sich für das Gesetz lobte, das gegen „erhebliche Lobbyinteressen“ durchgekämpft worden sei und wichtige Standards setze, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.
Bei der Initiative Lieferkettengesetz hielt sich der Jubel hingegen in Grenzen. Der „politische Kompromiss“ sei zwar ein wichtiger Etappenerfolg, weise aber noch zu viele Schwächen auf, so die Reaktion. Mit gemischten Gefühlen reagierten auch Vertreter des fairen Handels auf das neue Gesetz. Verbände, Importorganisationen und NGOs kritisierten unisono das ihres Erachtens stark verwässerte Gesetz. Es sei unfassbar, dass Wirtschaftsverbände selbst diesen Mindeststandard als nicht machbar darstellten und damit auch noch Gehör fänden, kommentierte Matthias Fiedler, Geschäftsführer des Forums Fairer Handel, die neue Regelung. Somit bleibe die Achtung hoher sozialer und ökologischer Standards entlang der gesamten Lieferkette also auch weiterhin die Ausnahme und nicht die Regel.
Die Liste der Kritikpunkte ist lang: So enthält das neue Gesetz keine zivilrechtliche Haftungsregel und beschränkt die Sorgfaltspflichten auf die unmittelbaren Zulieferer. Dadurch haben die meisten Betroffenen keine direkten Klagemöglichkeiten, denn ein Großteil der Menschenrechtsverletzungen findet am Beginn der Lieferketten statt – etwa beim Abbau von Rohstoffen.
Zudem wurde die Anzahl der ursprünglich erfassten Unternehmen mehr als halbiert. Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitern fallen damit durch das Raster, auch in Risikobranchen wie der Textilindustrie oder der Landwirtschaft. Klima- und Umweltaspekte wurden ebenso ungenügend berücksichtigt wie die Themen Geschlechtergerechtigkeit und indigene Beteiligungsrechte. Eine unabhängige behördliche Kontrolle ist zumindest zweifelhaft, da das zuständige Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle (BAFA) dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) untergeordnet ist. Die Behörde hatte ein strengeres Lieferkettengesetz entscheidend blockiert.
Aber nicht nur der tatkräftigen Unterstützung von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, sondern vornehmlich der intensiven Lobbyarbeit von Deutschlands Wirtschaftsverbänden ist es zu verdanken, dass aus einem ambitionierten Entwurf ein mickriges Gesetzchen wurde. Die Verbände argumentierten mit zu komplexen Lieferketten, warnten vor Wettbewerbsnachteilen oder zu hohem bürokratischem Aufwand und schürten erfolgreich Ängste vor einer – besonders in Coronazeiten – unzumutbaren Belastung für die Unternehmen.
Aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass es allein im Zeitraum vom 3. März bis zum 22. Juni dieses Jahres zu mehreren hochrangigen Treffen zwischen Spitzenverbänden der Wirtschaft und Regierungsvertretern kam, es aber „kein dokumentiertes Treffen auf höchster Ebene mit Zivilgesellschaft und Gewerkschaften gegeben“ habe.
Anders als ihre Verbände fordern zahlreiche Unternehmen, darunter KiK, Rewe und Tchibo, höhere Arbeits- und Umweltstandards in Zulieferfabriken. Auch Adidas, BMW, Bayer, Daimler, H&M und Nestlé sprachen sich in einem Positionspapier „grundsätzlich für eine hinreichend klare und praktisch umsetzbare EU-weite Rahmenordnung aus“. Bereits 2020 hatten einer EU-Studie zufolge mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmensvertreter angegeben, sie glaubten, eine verbindliche Regelung sorge für mehr Rechtssicherheit.
Nicht nur in Deutschland ist die unternehmerische Sorgfaltspflicht Thema kontroverser Debatten. Europa gleicht hier einem nationalen Flickenteppich: Erst seit wenigen Jahren existieren Regelungen in Großbritannien (Modern Slavery Act, 2015), Frankreich (Loi relative au devoir de vigilance, 2017) und den Niederlanden (Child Labour Due Diligence Law, 2020). Während die „Konzernverantwortungsinitiative“, das Schweizer Pendant zum deutschen Lieferkettengesetz, im November 2020 in einer Volksbefragung äußerst knapp scheiterte, nimmt in Österreich der Druck auf die Entscheidungsträger zu. Zahlreiche Organisationen, Kampagnen und Initiativen setzen sich für gerechte Lieferketten ein, im Frühjahr 2021 legten Abgeordnete der SPÖ im Nationalrat einen Antrag für ein Lieferkettengesetz vor.
Auch die EU hat sich auf den Weg gemacht, ein europäisches Lieferkettengesetz zu konzipieren. Die EU-Kommission hat einen Gesetzesentwurf für Herbst 2021 angekündigt. Aber auch hier belegt eine Studie verschiedener NGOs, dass die Wirtschaftslobby, darunter auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), mit allen Mitteln gegen ein wirksames Gesetz kämpft.
Das deutsche Lieferkettengesetz und der europäische Ansatz sind wichtige erste Schritte auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in der globalen Produktion. Doch noch fehlen verbindliche Vorgaben auf internationaler Ebene. Einen Versuch, globale Vorschriften für transnationale Unternehmen festzulegen, machte 2018 eine durch den UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Arbeitsgruppe unter der Führung Ecuadors mit dem Entwurf eines rechtlich verbindlichen UN-Treaty on transnational corporations and human rights.
Obwohl 66 Staaten Ende des Jahres 2020 an der sechsten Verhandlungsrunde teilnahmen, ist man von einem Konsens weit entfernt. Insbesondere die Heimatländer transnationaler Unternehmen – darunter auch Deutschland – hielten sich auffällig zurück.
Zumindest wird noch weiterverhandelt. Das siebte Zusammentreffen der Intergovernmental Working Group (IGWG) soll Ende Oktober dieses Jahres stattfinden.
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