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Ausgefallene CoronaprämieDie Vergessene

Geld war all jenen versprochen worden, die im Gesundheits­system besonders belastet sind. Hebamme Hanna Schoneville ging leer aus – und nicht nur sie.

Bestraft, weil sie zu loyal zum Arbeitgeber war: Hanna Schoeville Foto: Franziska Frenzel

Berlin taz | Seit drei Jahren arbeitet Hanna Schoneville im Berliner Sana-Klinikum als Hebamme auf der Geburtsstation. Die 29-Jährige macht ihren Job gerne, auch wenn die Arbeitsbedingungen nicht immer optimal sind. Die gebürtige Emsländerin berichtet von personellen Engpässen und dem ständigen Gefühl, nicht gut genug für die Patientinnen da sein zu können.

Mit Beginn der Coronapandemie hielt im vergangenen Jahr eine unsichtbare Gefahr Einzug in die Geburtsstation, die eigentlich dem neuen Leben gewidmet ist. Extraschichten, Überstunden und die Furcht, sich anzustecken – gerade während der ersten und zweiten Welle arbeitete das damals noch ungeimpfte Pflegepersonal in Krankenhäusern unter großem Druck.

Zum Dank gab es zuerst Klatschkonzerte von Balkonen und dann, im Herbst 2020 und Frühjahr 2021, die staatliche Coronaprämie. Doch das versprochene Extrageld hat keineswegs alle Mitarbeitenden erreicht, trotz ihres Verdienstes während der Pandemie. Auch Schoneville ging leer aus.

Die Regelung der Coronaprämie sieht vor, dass jedes durch die Pandemie besonders belastete Krankenhaus eine kompliziert errechnete Summe erhält, um diese dann weiterzugeben. Mit der Verteilung der Prämie aber wurden die rund eintausend Einrichtungen alleine gelassen. Der Grund: Sie sollten alle Mitarbeitenden einbeziehen, die durch Corona ihre Arbeit umstellen mussten. Also wurde in jedem Haus eine eigene Betriebsvereinbarung getroffen.

Die Kollegen berichten vom Geld auf ihren Konten

Hanna Schoneville kommt nach ihrem Studium in Österreich nach Berlin und bekommt ihre erste Stelle im Sana-Klinikum. Nebenher arbeitet sie freiberuflich in der Wochenbettbetreuung und Schwangerenvorsorge. Im Juni dieses Jahres erzählen Kolleginnen bei der Arbeit, dass deutlich mehr Geld auf ihren Konten gelandet sei. Als Schoneville nachsieht, steht da der gleiche Betrag wie immer. Sie wundert sich, schließlich habe sie während der gesamten Pandemie genauso gearbeitet wie ihre Kolleginnen auch.

Ziemlich rasch erfährt Schoneville, warum sie nicht mehr Geld bekommen hat: Für ihr anstehendes Master-Studium in Gesundheits- und Pflegewissenschaften in Halle muss sie umziehen und hat deswegen viele Monate im Voraus beim Klinikum ihre Stelle gekündigt. Sie tat das, damit ihre Position ohne Zeitnot nachbesetzt werden kann. Doch die staatliche Prämie erhält sie deswegen nicht, sie befindet sich nämlich nicht mehr in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Kein Dank also für Menschen, die einen Betrieb verlassen.

Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften, wer die Coronaprämie bekommen soll. In Paragraf 26d des Krankenhausfinanzierungsgesetzes heißt es lediglich, dass Mitarbeitende durch die Pandemie einer „erhöhten Arbeitsbelastung ausgesetzt“ sein mussten. Die Kliniken sollten die Verteilung intern aushandeln, nach eigenem Gutdünken entscheiden – ähnlich wie beim Weihnachtsgeld, nur dass dieses nicht vom Bund kommt.

Man habe es sich damit nicht leicht gemacht, erklärt das Sana-Klinikum auf Nachfrage. Am Ende heißt es: Die Prämie gibt es für all diejenigen, die zum einen noch nicht gekündigt haben und zum anderen im Juni 2021 angestellt sind. Eine geringere Rolle spielt dabei, ob sie in den Hochphasen der Pandemie gearbeitet haben.

Auch aus anderen Kliniken heißt es, die Entscheidung über die Verteilung sei nicht leicht gefallen. Immer wieder gibt es Mitarbeitende, die sich vergessen fühlen. Der Tenor der Entscheider lautet: Es werden nie alle zufrieden sein, aber ohne eine Regelung geht es nicht. Um die Interessen der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, seien Ar­beit­neh­me­r:in­nen­ver­tre­tun­gen wie der Betriebsrat an den Aushandlungen beteiligt gewesen.

Ein Flickenteppich an Regelungen

450 Millionen Euro nahm der Bund für die Prämie in die Hand. Unmut sei bei dieser Summe unvermeidbar, der Topf hätte „deutlich größer sein müssen, sprich im Milliardenbereich“, sagt Uwe Ostendorff vom Fachbereich Gesundheit und Soziales bei Verdi. Nun wurde der Sündenbock den Krankenhäusern zugeschoben, die den Ärger somit mitten in ihre Belegschaft treiben mussten.

Herausgekommen sind unendlich viele unterschiedliche Regelungen. Teils bekam nur das aktive Personal die Prämie oder die Mitarbeitenden mussten zu einem Stichtag noch angestellt sein. In wenigen Häusern bekamen auch ehemalige Ar­beit­neh­me­r:in­nen das Geld. Manche Betriebe schütteten über die staatliche Prämie hinaus noch eigene Sonderzahlungen aus.

Hanna Schonevilles Fall und die Regelung im Sana-Klinikum in Berlin-Lichtenberg gehören zu den Ausnahmen: Denn sie war sowohl bei der Prämienausschüttung als auch in dem betroffenen Zeitraum angestellt. Sie teilte ihr Ausscheiden einfach nur sehr früh mit, obwohl sie das nicht hätte machen müssen. Hätte sie lediglich die sechswöchige Kündigungsfrist eingehalten, wäre auch ihr Juni-Gehalt aufgestockt worden.

Welche Berufsgruppen die Prämie bekommen, ist ebenfalls unterschiedlich geregelt. In manchen Kliniken geht das Geld vorwiegend an Pflegekräfte, andere inkludieren Reinigungskräfte oder die Verwaltung. Im Sana-Klinikum, Schonevilles Arbeitgeber, bekamen auch Teile des Catering-, Wäscheversorgungs- und IT-Personals eine Prämie, heißt es auf Nachfrage.

Wir konnten Gebärende nicht auf der Pandemie­station parken

Hanna Schoneville, Hebamme

Die Last der Pandemie hat Schoneville wie alle anderen mitgetragen. „Wir hatten immer wieder positive Frauen“, erzählt sie. „Wir konnten schwangere und gebärende Frauen schließlich nicht auf einer Pandemiestation parken.“ Kurz vor Weihnachten betreut sie eine infizierte Frau im Kreißsaal, einen ganzen Dienst lang. Positive Fälle werden abgeschottet, manchmal kommt aber erst im Nachhinein heraus, dass eine Frau erkrankt ist, weil die Schnelltests nicht immer anschlagen. Und das in einem Bereich, in dem die Frauen zumindest während der Geburt auf die Maske verzichten dürfen, in dem es ohne Körperkontakt einfach nicht geht.

Es sind 525 Euro, die Schoneville als Coronaprämie erhalten hätte; zumindest sei das die Summe, die Kolleginnen in gleicher Position bekamen, sagt sie. Doch es geht ihr nicht um das Geld, sondern um Fairness und den Umgang mit Mitarbeitenden. Ein Widerspruchsschreiben, das sie Anfang Juli abschickt, wurde drei Wochen gar nicht und erst nach einer Erinnerung unpassend beantwortet. Man schickt sie intern von einer Stelle zur anderen, erzählt sie.

Auf Nachfrage begründet das Sana-Klinikum die Regelung so: „Stichtage und Bemessungsmonate gab es in tariflichen Regelungen schon immer.“ Es sei also schlicht üblich und die Entscheidung „im Sinne des Bestandspersonals“.

Der Betriebsrat kann Schoneville nicht helfen, teilt aber mit, dass sie versuchen könne, individualrechtlich gegen die Entscheidung der Klinik vorzugehen. Eine Nachfrage bei ihrer Rechtsschutzversicherung ergibt, dass Schoneville wenig Chancen habe, diesen Rechtsstreit zu gewinnen. Der Gesetzgeber hat den Einrichtungen die Entscheidungsgewalt übertragen und hat damit keine Handhabe mehr. Lediglich nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz könnte argumentiert werden, aber auch da wäre die Aussicht auf eine erfolgreiche Klage eher gering. Zu gering für solch eine kleine Summe, sagt Schoneville und entscheidet sich gegen eine Klage.

Die Gewerkschaft Verdi empfahl den Betriebs- und Personalräten zu kommunizieren, dass eine Beteiligung aller schlicht nicht möglich sei, ohne dass der individuelle Betrag lächerlich klein werde. In der Altenpflege bestimmte der Gesetzgeber, wer die Prämie erhalten sollte. Doch nach Angaben von Uwe Ostendorff war auch das nicht die Lösung aller Probleme: Viele Bereiche seien ausgegliedert worden, um Kosten zu sparen, diese Menschen gingen wie Schoneville leer aus. Auch ganze Krankenhäuser seien nicht berücksichtigt worden, wenn sie zu wenige Covid-Fälle behandelt hatten – obwohl die Pandemie auch dort den Alltag bestimmt haben dürfte.

Der Dank in Form der Coronaprämie durch das Gesundheitsministerium hat viele erreicht, aber auch Unmut ausgelöst. Dennoch hat es auch gute Seiten, den Einrichtungen die Entscheidung selbst zu überlassen. Schließlich kennen sie ihre Mitarbeitenden und die Belastungen vor Ort viel besser als der Gesetzgeber.

Hanna Schoneville hat mittlerweile mit der Geschäftsführung des Krankenhauses gesprochen, schließlich sei sie auch nicht der einzige Fall im Haus. Auch dort vertröstet man sie zunächst. Erst jetzt, nach unzähligen Schreiben und Telefonaten, scheint sich eine einvernehmliche Lösung anzudeuten.

Ihr Team im Kreißsaal wird Schoneville sehr vermissen. Doch das Sana-Klinikum selbst verlässt sie mit Groll und Wut.

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3 Kommentare

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  • "Es sind 525 Euro, die Schoneville als Coronaprämie erhalten hätte"

    525€? Ersthaft?

    Der Betrag is doch einfach nur lächerlich.

    • @Obscuritas:

      Aber immerhin steuer- und sozialversicherungsfrei.



      Das war für viele eine schöne Gelegenheit den Mitarbeitern eine steuerfreie Zahlung zukommen zu lassen.



      Ein prominenter Fall waren ja die Grünen:



      „Die Sonderzahlung in Höhe von 1.500 Euro ging an alle Mitarbeitenden der Geschäftsstelle…..“ Frau Baerbock hatte ja auch das Glück bedacht worden zu sein . Allerdings wollte Sie die Zahlung dann doch versteuern.

  • "unendlich viele unterschiedliche Regelungen"...

    Man nennt es euphemistisch Subsidiaritätsprinzip, wenn ein übergeordnete Autorität zu faul oder zu feige ist, faire, gemeinsame Regeln für alle vorzugeben.