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Sängerin Martha Wainwright„Ich gehöre auf die Bühne“

Die kanadische Singer-Songwriterin Martha Wainwright über Kinder, schmerzvolle Trennungen, Familie, Musik und den Sinn des Lebens.

„Ich wollte wie Nina Simone und Judy Garland sein“ – Martha Wainwright Foto: Gaëlle Leroyer
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

taz am wochenende: Martha Wainwright, nach eineinhalb Jahren sind nun wieder Live-Konzerte möglich. Wie fühlt sich das jetzt an?

Martha Wainwright: Wir sind erstmals nach langen Monaten wieder auf Tour. Und ich spüre Unsicherheit. Wir sind offensichtlich noch nicht durch die Pandemie, und es ist unklar, welche Konsequenzen sie langfristig haben wird.

Wie sind Sie selber durch der Pandemie gekommen?

Im Großen und Ganzen gut, wir waren in Montréal und haben viel Zeit im Freien verbracht. Die Kinder hatten Präsenzunterricht in der Schule. Ich war beschäftigt mit dem Album und dem Buch, an dem ich seit Jahren schreibe. Und ich habe regelmäßig Livestreams gemacht, Konzerte aus meinem Homestudio.

Wie hat der Lockdown das Album beeinflusst?

Es ist kein Pandemie-Werk. Die meisten Songs habe ich zuvor komponiert. Durch den Lockdown ging alles viel langsamer. Wir mussten getrennt voneinander arbeiten, ich saß in meinem Studio und sang, während mein Produzent Pierre Marchand weit weg am Computer die Aufnahme steuerte. Ich konnte viele Entscheidungen nicht selbst treffen. Es fühlte sich trotzdem gut an und hat auch der Musik gutgetan. Aber es hatte sich hingezogen. Aus ganz persönlichen Gründen. Was macht da schon ein Jahr mehr oder weniger? Es ist das Fazit einer schwierigen und schmerzhaften Zeit.

Sie sprechen über Ihre Scheidung von Brad Albetta, Vater Ihrer beiden Söhne, mit dem Sie lange künstlerisch zusammengearbeitet haben.

Es war wirklich eine schlimme Trennung. Nach dem Tod meiner Mutter Kate MacGarrigle 2010 und der Frühgeburt meines ersten Kindes hat mich das erneut richtig umgehauen. Ich musste weiterarbeiten und touren, durfte die Kinder nicht mitnehmen. Wenn ich zurückkam, erlaubte er mir oft nicht, sie zu sehen, weil es nicht „meine“ Woche war. Vor Gericht wurde mir praktisch gesagt, als Sängerin sei ich Zirkusvolk. Ich hatte Angst, dass mir meine Kinder weggenommen werden. Mir ging es psychisch nicht gut. Musik hat mich gerettet, auf der Bühne zu stehen und zu spielen war wie Medizin. Das habe ich zwei Jahre gemacht, bis ich merkte, dass es kein Problem löst. Die Kids wurden mir gegenüber scheu, das war alarmierend. Mir wurde klar, ich muss mehr für sie da sein, mich um die Schule kümmern, all das. Dabei wollte ich mehr wie Nina Simone und Judy Garland sein, eine arbeitende Künstlerin, die Bühnenleben und Muttersein zusammenkriegt. Eine Weile war ich wie gelähmt, dann fing ich wieder an, Songs zu schreiben.

Im Interview: Martha Wainwright

Martha Wainwright wurde 1976 in Montréal geboren. Ihre Eltern Kate McGariggle und Loudon Wainwright III waren Folkmusiker. Martha musiziert seit ihrer Kindheit, oft gemeinsam mit ihrem älteren Bruder Rufus Wainwright. Ihr Debütalbum erschien 2005 und hatte mit der schrägen Hass-Ode an ihren Vater, „Bloody Mother Fucking Asshole“ einen Hit. Seitdem gilt sie als Singer-Songwriterin mit persönlichen Texten, eigenwilligen Kompositionen zwischen Folk, Rock und Chanson und einer unverwechselbaren Stimme als Star. Nach einer längeren Auszeit veröffentlicht sie nun ihr fünftes, komplett eigenkomponiertes Album „Love Will Be Reborn“ (Pheromome Musik/Cooking Vinyl/Sony), in dem sie ihre Scheidung erstaunlich optimistisch verarbeitet. Kein Comeback, eine Wiedergeburt!

Die Single „Love Will Be Reborn“ soll der erste Song gewesen sein, der dabei entstanden ist. Erstaunlich, weil er so gutgelaunt klingt …

Ich war selbst überrascht, es sprudelte nur so aus mir heraus, total lebensbejahend. Der nächste Song, „Body and Soul“, handelt von einer misshandelten Ehefrau, die sich nicht unterkriegen lässt. Das wurde mein Motto. Ich wollte nicht in den Fluss springen, ich wollte nicht vor den Kindern in Tränen ausbrechen, ich bliebe aufrecht. Und das mache ich, wie ich es am besten kann: Ich komponiere und singe.

Musik als Therapie?

Ich glaube nicht, dass mein Leben ohne Musik Sinn hätte. Alles, was ich mache, definiert sich über Musik. Wenn ich unglücklich bin oder ausflippe, nehme ich die Gitarre und versuche auszudrücken, wie es mir geht, und meine Erfahrungen zu reflektieren. Wie bei „Report Card“, einem Stück über Scheidungskinder und die Momente, die man als getrenntlebende Eltern verpasst.

Was passiert, wenn Sie diese Stücke live spielen? Hat das etwas Heilendes?

Ich will emotional so offen wie möglich sein, das ist, was ich anzubieten habe. Ich mache keinen Stepptanz im Paillettenkleid, ich trage Lieder über Trennung, Verlust und Schmerz vor. Aber keines ist nur deprimierend, es taucht immer wieder ein Silberstreifen auf, eine ironische Zeile oder die Melodie wechselt plötzlich ins Fröhliche, ganz im Widerspruch zum Text. Ich bin tief verletzt, aber es bringt mich nicht um. Sonst könnte ich das auch nicht allabendlich singen.

Bei aller Rückschau ist das Album auch ein Neuanfang.

Weil ich mit 42 plötzlich und unerwartet noch mal einen ganz tollen Menschen kennenlernen durfte. Ich konnte es kaum fassen: Was passiert da? Er ist einige Jahre älter, wahnsinnig liebevoll, gütig und unterstützend. Das hat viel von meiner Wut genommen und auch die Musik ausgewogener werden lassen. Statt allem Schlechten, das ich dem Vater meiner Kinder wünschte, gibt es plötzlich einen Mensch, der mich wieder lieben lässt. Und er ist kein Musiker, sondern Handwerker. Ein Glück!

Wie haben Sie Ihre Stimme gefunden, beim Komponieren und Singen?

Ich komme aus einer hochmusikalischen Familie, seit ich denken kann, bin ich von Musik umgeben. Als ich selbst anfing, entschied ich mich für die Gitarre als Instrument, weil ich sie allein für mich und leise spielen kann. Ich mache die Tür zu, und keiner hört mich. Das prägt bis heute meine Songs. Wenn ich ganz für mich bin, kann ich seltsame Sachen ausprobieren, mit Texten und mit der Stimme, und finde damit leichter Zugang zu meinem Innersten.

Ist das Aufwachsen in einer Familie erfolgreicher Mu­si­ke­r:in­nen ein zweischneidiges Schwert?

Ich glaube manchmal, wenn ich nicht aus dieser Familie stammte, wäre es überraschender gewesen und ich wahrscheinlich berühmter geworden. Es ist aber genauso gut möglich, dass jede Chance, die sich mir bot, damit zu tun hatte, dass ich die Tochter von Kate und Loudon und die Schwester von Rufus bin. Natürlich haben wir auch Konkurrenzdenken wie die meisten Musiker. Wir alle wollen wichtige Stimmen der Gegenwart sein. Aber ich wäre heute nicht die Künstlerin, die ich bin, ohne meine Familie.

Ihre Eltern haben sich früh getrennt, auch Sie sind also ein Scheidungskind. Wie hat Sie das geprägt?

Ich habe meine eigene Ehe gründlich missverstanden, weil ich dachte, ich könnte nach der Scheidung ein Leben wie meine Mutter führen, dass mich befreien würde und ich das Sorgerecht für die Kinder bekäme. Aber so ist es nicht gelaufen, und es fällt mir sehr schwer, mich damit abzufinden. Meine Eltern sind immer sehr offen mit ihrer Trennung umgegangen. Zu offen vielleicht. Ich versuche, meine Kinder mehr zu schützen, sie sind noch jung und brauchen nicht jedes schmutzige Detail zu erfahren.

Mittlerweile sind Sie in das Haus Ihrer verstorbenen Mutter gezogen. Sicher ein Ort mit vielen Erinnerungen?

Oh ja, ich bin darin aufgewachsen, bevor ich dann 17 Jahre in New York lebte. Nach ihrem Tod fühlte es sich richtig an, zurückzukommen, mich der Vergangenheit zu stellen. Montréal ist eine Stadt, in der es sich gut leben lässt. Im Viertel gibt es noch ein paar alte Leute, die mich öfter mal für meine Mutter hielten. Wahrscheinlich trinken sie schon tagsüber, keine Ahnung. Zuerst dachte ich, ich muss hier schnell wieder weg, aber dann fand ich es ganz tröstlich, weil meine Mutter wirklich gemocht wurde. Und jetzt nehme ich so ein bisschen ihren Platz ein, und die Leute wissen inzwischen, wer ich bin. Es fühlt sich gut an.

Was würden Sie Ihrem früheren Ich mit den Erfahrungen von heute mit auf den Weg geben?

Ich würde mir gern sagen: „Du bist nicht hässlich. Du bist nicht schlecht. Du bist nicht weniger als die anderen.“ So dachte ich damals über mich. Aber ich würde mir auch raten: „Du kannst das besser. Gib dir ein bisschen mehr Mühe. Trink nicht ganz so viel.“ Aber vermutlich würde ich es nicht hören wollen. Einige Leute hatten es damals versucht, vergeblich. Auch wenn die Beziehung mit Brad keine besonders gesunde war, haben wir uns doch geliebt, haben diese beiden wundervollen Kinder und einige tolle Alben veröffentlicht. Es gab einen Grund, warum wir zusammenkamen. Und einen Grund, warum es irgendwann nicht mehr funktionierte.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem neuen Leben?

Mein wichtigstes Ziel ist, die Zukunft meiner Kinder so positiv wie möglich zu gestalten. Sie interessieren sich hoffentlich bald weniger für ihre Eltern dafür mehr für Freunde, Videospiele und die Schule. Auf diesem Weg will ich sie unterstützen, auch wenn es bedeutet, dass ich die Klappe halte und meine Tränen, mein Wollen und Wünschen hintanstelle. Aber mir ist auch wichtig, mich in alldem nicht selbst zu vernachlässigen. Ich will wieder raus auf die Bühne, da gehöre ich hin.

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