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Polizeigewalt im Hambacher WaldProzess nach 4,5 Jahren

Filmemacher Todde Kemmerich hat das Land NRW wegen Polizeigewalt im Hambacher Wald verklagt. Sechs Stunden lang befragte das Gericht nun Zeugen.

Todde Kemmerich, Künstler und Opfer von Polizeigewalt im Hambacher Wald Foto: Heike Lachmann

AACHEN taz | „Wie ein Football-Spieler ist der Polizist, ohne Vorwarnung, mit Affenzahn auf mich losgerast und hat mich zu Boden gerissen.“ Das erzählt Polizeiopfer Todde Kemmerich, 54, Filmemacher und Klimaaktivist („Artists for Future“) am Dienstagnachmittag vor dem Aachener Landgericht. Er sei mitten im Hambacher Wald gewesen, als ihn der Anführer einer Einsatzhundertschaft ansprang und er anschließend von mindestens drei Beamten minutenlang fixiert wurde, das Gesicht in den Waldboden gedrückt. Er wurde gefesselt weggetragen. Das war am 3.12.2016, also vor über viereinhalb Jahren.

Kemmerich trug diverse Verletzungen davon, war Monate in Behandlung und Therapie. „So eine Brutalität und Gewaltorgie habe ich im Leben noch nicht erlebt. Diese Ohnmacht, dann auch noch in gefesseltem Zustand ins Gesicht geschlagen zu werden, das vergisst man sein ganzes Leben lang nicht.“ Er hat das Land NRW als Dienstherrn des Fünfsterne-Hauptkommissars Dieter Z. auf Schadenersatz verklagt, weil alle strafrechtlichen Anläufe ins Leere gelaufen waren.

Der Polizist hatte in seiner Vernehmung bald nach der Tat – durch Kollegen der gleichen Dienststelle, laut Protokoll per du – ausgesagt, er sei in den Crash gestolpert. Ein Versehen. Die Folge: keine weiteren Ermittlungen, Akten mäanderten monatelang durchs Irgendwo, Beweismittel wurden ignoriert, das Verfahren letztlich eingestellt. Alle Rechtsbeschwerden wurden abgewiesen bis hin zur Generalstaatsanwaltschaft Köln Kemmerich nannte das „Verhinderungsstrategien unserer Judikative“.

Sechs Stunden lang sagten nun im Zivilprozess acht Tatzeugen und der Kläger Kemmerich aus. Das Verfahren hatte der Vorsitzende Richter am Landgericht an sich gezogen, Uwe Meiendresch, 62. Alle vier Zeugen, die mit Kemmerich beim Waldspaziergang unterwegs waren, berichteten von Schlägen auf das zu Boden gedrückte Opfer, auf den Rücken, gegen die Jochbeine. Verletzungsfotos lagen vor. Die beteiligten Polizeizeugen bestritten den Einsatz von „EMS“, Einsatzmehrzweckstöcken. Nicht so einig waren sie sich darin, wie Kemmerich denn nun fixiert wurde – zwei sprachen von Handschellen, einer von weißem, einer von schwarzem Kabelbinder.

Vor allem ging es darum, ob sich der Vorfall in abgesperrtem Rodungsgebiet abspielte, dessen möglicherweise rechtswidriges Betreten hätte erkennbar sein können: Der eine Polizist erinnerte sich an rote Kreuze auf Bäumen, andere sprachen von möglichen Flatterbändern, einer sagte, es habe Wimpel gegeben. Niemand konnte belegen, dass an diesem Tag überhaupt irgendwo gerodet wurde. Der Verdacht blieb: Alles Willkür. Keine Erklärung. Stattdessen: Attacke.

Konfrontation vor Gericht

Kemmerich sagte immer, es gehe ihm nicht um ein paar hundert Euro für Reparatur seiner Kamera oder ein Schmerzensgeld, sondern schlicht um Gerechtigkeit: Wenn Strafgerichte nicht tätig werden, sei dies die letzte Chance, den gewalttätigen Mann vor Gericht zu bekommen. „Wenn Strafttäter in Uniform keine Konsequenzen für ihr Handeln zu befürchten haben, können sie bei nächster Gelegenheit wieder ihr Machtmonopol missbrauchen.“

Der Prozess ist für ihn eine komplexe Herausforderung. Er muss sich Zeugenberichte seiner MitstreiterInnen anhören, dass er nicht mehr der Alte sei seitdem, traumatisiert, schreckhafter als früher und dass er manchmal wie grundlos weine. Er wendet sich ab, verbirgt sein Gesicht, schluchzt. Vorher hat er gesagt: „Ich habe Angst vor meiner Reaktion, wenn ich zum ersten Mal meinen Peiniger wiedersehe und der wieder so einen Schwachsinn erzählt.“

Die Aussage von Dietmar Z. nimmt Kemmerich hin, teilweise sichtlich angefasst. Alle Verletzungen, meint der Beamte, seien durch Kemmerichs Wehren entstanden. Empörte Lacher gibt es, als Z. den Niedergerissenen „einen Rädelsführer“ nennt und „zumindest eine Galionsfigur“ der Waldbesucher. „Die Situation war bedrohlich“, gibt der Polizist zu Protokoll. „Gerade war gemeldet worden, dass mit Laub bedeckte Nagelbretter im Wald entdeckt worden waren und ein Bollerwagen mit Steinen.“

Urteil im September

Als Kemmerich ihn ins Kreuzverhör nimmt, wird der Beamte sichtlich unruhig. „Wir mussten eine Ingewahrsamnahme mit unmittelbarem Zwang durchführen, damit diese Gruppierung nicht eingreifen kann“, sagt er. Das mit dem “ Die Volte mit dem Stolpern wiederholt er nicht. Seine Dienstkollegen liefern noch neue Varianten: Einer sagt, der Chef sei „hinter Kemmerich hergelaufen“, ein anderer spricht von „auf ihn zugehen“.

Es steht nicht nur Aussage gegen Aussage. Kemmerich hatte den Angriff selbst gefilmt, bis zum Moment, von dem an nur noch seine Schreie zu hören sind und die drei Beamten auf ihm. Im Gerichtssaal werden die Videoaufnahmen gezeigt. Es ist klar zu sehen, dass Kemmerich längst, wie angewiesen, rückwärts ging. Das Gericht muss nun anhand dieser Dokumente die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen einordnen.

Das Urteil wird, wie bei Zivilsachen üblich, erst später verkündet, hier am 14. September. Eines geht aber nicht, erklärte Kemmerichs Anwalt nachher: Selbst wenn der Klage rechtskräftig stattgegeben wird, kann damit nicht ein neues Strafverfahren anlaufen, weil es keine neuen Fakten gibt, sondern nur eine zivilgerichtliche Würdigung. Der Polizist bleibt also in jedem Fall persönlich unbehelligt.

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