Meine
erste
Currywurst

taz-Waltraud (BRD) im Glück:

Autorin Waltraud Schwab in der Curry-Baudein Berlin-Wedding Foto: André Wunstorf

Was denken meine KollegInnen? Dass sie mich zu einem Imbiss kutschieren und ich dann ’ne Currywurst esse? Und so des Ex-Bundeskanzlers Kraftriegel fürs Proletariat zu mir nehme. Der ist entsetzt, dass es in einer VW-Kantine keine Currywurst mehr gibt. Wenn er noch was zu sagen hätte usw., usw.

Schröder hat nicht mitgekriegt: Die Proleta­rierInnen von heute liebens vegetarisch. Sie wollen das Klima retten und sich nicht länger mit Pappnahrung und Plattitüden vollstopfen lassen. Mit Veggie Days gewinnt man Wahlen und verliert sie nicht mehr.

Meine KollegInnen wiederum glauben, sie tun mir was Gutes, indem sie mich von der Fleisch­losigkeit abbringen. Bin ja keine Proletarierin, bin ’ne Intellektuelle. Den Platz an der Gute-Gewissenstheke gebührt mir nicht mehr. Und weil sie überzeugt sind, dass Currywurst eine Delikatesse ist, ist es besser, auch ich bin in ihrem Hades der Fastfoodfans.

Ich habe noch nie eine Currywurst gegessen. (Dieser Satz könnte der Refrain in einem deutschen Schlager sein.) Ich habe noch nie eine Currywurst gegessen / bin nie schlabbernd am Straßenrand gesessen / mit freudigem Blick und rotem Mund / ach, Currywurst, du bist gesund (gewidmet Gerhard Schröder).

Als ich klein war, auf dem badischen Dorf, habe ich aufgehört, Wurst zu essen. In den 60er Jahren war das. Bratwurst und Wienerle gab es da nur, Currywurst kam später. „Willsch kei Wirschtle?“, höre ich meinen Vater bis heute fragen, und es war gut gemeint. Ich liebe ihn für den Sound seiner Worte, der mir geblieben ist.

Und jetzt also das. Ein Kollege begleitet mich zur Imbissbude am Gesundbrunnen in Berlin. „Baude“ heißt die. Dort stehen Leute in der Schlange, für die die VW-Kantine ein Palast wäre. Mein Kollege drückt mir die Pappschale in die Hand. Schon der Anblick: Das soll Essen sein? Wäre ich Impfgegnerin, lieber würde ich mir einen Schuss Moderna spritzen lassen.

Ich rieche an dem Stillleben. Es riecht nach Blut. Finde ich. Ich nehme ein Stück ohne Ketchup in den Mund. Denn Ketchup kann ich nicht leiden. Süß ist das Erste, was ich schmecke und danach eine Mischung aus Brot, brauner Soße und etwas Säuerlichem. Ähm? „Schmeckt gut“, hatte eine Kollegin im Vorfeld geschrieben. Meint sie das so?

Aber dass ich mal wieder ans echte Leben erinnert werde, ist gut. „Ich hab Hunger“, sagt ein Bettler, der sich vor uns stellt. Waltraud Schwab