piwik no script img

Vielfältige Vierländerwelt

Mitte Juni fand die erste taz-Reise nach Aachen und Umgebung statt. Eine Region, in der Europa im Alltag bereits zusammengewachsen ist

Antje Grothus von der Initiative „Buirer für Buir“ im Hambacher Wald Foto: Hubert Perschke

Von Bernd Müllender

Die eine konnte sich am Calatrava-Bahnhof in Lüttich gar nicht sattsehen, während sie an der Waffel vom Bäcker nebenan knabberte, Hoflieferant übrigens. Andere staunten über Maastricht: Gemüse shoppen zu toller Musik in einer umgewidmeten Kirche, in einer anderen ist der Bookstore Dominicanen, vielfach als „schönste Buchhandlung der Welt“ bezeichnet. Und dann der „Groene Loper“: Radweg, Alleen, ein komplett neues Quartier, ohne Lärm, kaum Autos, weil seit 2019 die 5,5 Kilo­meter Stadtautobahn in zwei Röhren in den Untergrund verlegt sind. Martin Unfried zeigte verborgene Ecken seiner Stadt, die städtebaulich und kulturell ein ganz anderes Niveau hat als die traditionsbesoffene Autostadt Aachen.

Antje Grothus (Initiative „Buirer für Buir“, taz-Panter-Preisträgerin 2020) und Ökopädagoge Michael Zobel führten durch den Hambacher Wald, der emeritierte belgische Historiker Herbert Ruland durch das ehemalige Staatenkuriosum Neutral-Moresnet (1816–1920), weswegen an Hollands höchster Erhebung (322,7 Meter) das heutige Drei- ein Vierländereck war. „Zu Belgien“, sagte eine nachher, „hatte ich null Bezug, jetzt ist mir das sehr sympathisch, so lebendig.“ Dazu beigetragen hatte der Eupener Schriftsteller Freddy Derwahl, der bei Carbonade Flamande und einheimischen Rinderfett-Fritten davon berichtete, was so toll daran ist, Belgier zu sein.

Eine andere Reiseteilnehmerin meinte nachher: „So viele Menschen, die mit Begeisterung sich für etwas einsetzen, das war so ansteckend und inspirierend.“ Eine andere: „Ich bin ja nicht so utopisch begabt, aber habe so viel erlebt, was man ändern kann, uns und die Welt.“ Selbst die beiden PolitikerInnen, die wir trafen, faszinierten: Aachens OBin Sibylle Keupen und noch mehr Oliver Paasch, Ministerpräsident des teilautonomen Ostbelgien, der erstaunlich glaubwürdig von der Mühsal berichtete, Dinge zu verändern – mit Erfolg (etwa Bürgerräte) und auch ohne.

Kurzinfo zu den Deutschlandreisen

Für gemeinsame Entdeckungstouren mit anderen taz-Leser*innen haben wir zehn Kurzreisen entwickelt, alle begleitet von taz-Journalist*innen – Treffen mit lokalen Initiativen für eine nachhaltigere Gesellschaft gehören auch dazu.

In Hamburg besuchen wir verschiedene antifaschistische Projekte, in Benediktbeuern (Oberbayern) treffen wir den „Zither-Mann“, ein bayrisches Urgestein der widerständigen Art, und besuchen die benachbarte Fair-Trade-Gemeinde Murnau. In Herrnhut (Oberlausitz) treffen wir den Bürgermeister eines Dorfs, in dem im Alltag noch Sorbisch gesprochen wird, in Leipzig besuchen wir kollektive Wohn­projekte, und in Ravensburg geht es um alternatives Wirtschaften in Oberschwaben. Bei einigen Reisen sind wir vor allem mit dem Fahrrad unterwegs, wie in Göhrde (Wendland). Hier besuchen wir das Gorleben-Archiv sowie Aktivisten für eine Energiewende. Und in Lenzen (Brandenburg) radeln wir im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet durch das Biosphärenreservat Elbauen.

Weitere Infos und Termine zu den taz-Reisen unter taz.de/tazreisen

Ein Teilnehmer sagte erschöpft, in die vielfältige Vierländerwelt um ­Aachen lohne auch eine 14-tägige Reise. Klar, da ginge viel mehr: Nationalpark Eifel, die ehemalige Ordensburg Vogelsang, das Hochmoor Hohes Venn, Lüttich ganztägig, zwei Tage Maas, vielleicht sogar Hambi mit Übernachtung im Baumhaus. Und auch Aachen selbst bietet mehr als eine Velotour durch die Stadt mit dem deutschlandweit erfolgreichsten Radentscheid und einen Spaziergang entlang der Thermalwasserroute. Eine schrieb danach: „Wir waren eine superpflegeleichte Gruppe. Die Reise ist großartig. Nach dieser ätzenden Coronapause hatte ich das Gefühl, wieder lebendig zu sein und um mich herum wieder Leben zu spüren.“

Im September, vor der womöglich nächsten Covidwelle, gibt’s die Zweitauflage in die Euregio Maas/Rhein.

Bernd Müllender ist taz-Reiseleiter, Buchautor und freier Journalist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen