Biologe über Artensterben und Klimakrise: „Walkot hilft dem Klima“
Die Meeressäuger sind natürliche Klimaschützer. Dabei helfen auch ihre Ausscheidungen, erklärt der Biologe Morten Iversen.
taz: Herr Iversen, ein einziger Wal soll fürs Klima so gut sein wie mehr als 1.000 Bäume. Wie das denn?
Morten Iversen: Ein großer Wal lagert in seinem Körper ungefähr 33 Tonnen Kohlenstoff, irgendwann stirbt er und der Kohlenstoff sinkt mit ihm auf den Meeresboden. Ein Baum bindet pro Jahr 21 Kilogramm. Darauf basiert diese ungefähre Rechnung. Hinzu kommt, dass der Walkot dem Klima hilft. Er ist wie Eisendünger für Phytoplankton, also für einzellige Pflanzen im Meer, die ebenfalls CO2 binden. Wie alle Pflanzen braucht Phytoplankton aber natürlich auch Sonnenlicht, Wasser und weitere Nährstoffe.
Der Walkot kann also nicht die ganze positive Wirkung für sich beanspruchen, er hilft nur nach.
Genau. Und nach dem Absterben der Pflanzen landet der gebundene Kohlenstoff dann auch irgendwann auf dem Meeresboden, wo er Millionen Jahre lagern kann. Diesen Effekt nennt man „biologische Pumpe“.
ist Professor für Partikelsedimentation an der Uni Bremen und Leiter der Sektion Polare Biologische Ozeanographie am Alfred-Wegener-Institut.
Gerade erst haben Weltbiodiversitätsrat und Weltklimarat einen Bericht herausgebracht, in dem sie naturbasierte Klimaschutzlösungen fordern. Walschutz wäre so eine Lösung, oder?
Ja, auf jeden Fall. Obwohl die Wale allein uns natürlich nicht vor dem Klimawandel retten. Für dieses Problem gibt es nicht genug Wale. Bevor die Menschen im 20. Jahrhundert mit dem industriellen Walfang anfingen, haben Wale durch ihre Körper pro Jahr insgesamt 200.000 Tonnen Kohlenstoff auf dem Meeresboden gebunden. Im Jahr 2001 war dieser Wert auf 30.000 Tonnen Kohlenstoff zusammengeschrumpft. Da ist also eine ganz schöne Lücke zu dem, was wir Menschen so an Treibhausgasen ausstoßen.
Stimmt, das sind ja pro Jahr aktuell rund 50 Milliarden Tonnen, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, die die Weltwirtschaft und damit die Emissionen ein bisschen bremst. Wie sehr hilft denn der Walkot?
Untersuchungen dazu gibt es zum Beispiel für die Pottwalpopulation im Südozean. Die allein kann pro Jahr schon die Bindung von 400.000 Tonnen Kohlenstoff stimulieren. Selbst wenn man gegenrechnet, was die Tiere an CO2 ausatmen, bleibt davon noch etwa die Hälfte. Wobei ich sagen muss: Es ist extrem schwierig, den Effekt von Walkot exakt zu messen. Um auch nur die Ausscheidungen selbst zu untersuchen, fahren wir den Walen mit dem Schlauchboot hinterher und hoffen, dass sie Kot ausscheiden, den wir mit einem Eimer abfangen können. Im Südozean, dem Meer, das die Antarktis umgibt, ist das Wetter dafür fast immer zu schlecht.
Tritt dieser Effekt nur im Südozean auf?
Nein, aber da ist er besonders wirksam, weil es dort einen Eisenmangel im Wasser gibt, den der Walkot ausgleicht. Je nachdem, welche Stoffe im Wasser fehlen, fällt Walkot bei der Bildung von Phytoplankton unterschiedlich stark ins Gewicht.
Haben Sie denn das Gefühl, dass die Verknüpfung von Klima- und Naturschutz politisch genug Aufmerksamkeit bekommt?
Auf keinen Fall. Um bei den Walen zu bleiben: Zum Beispiel wird zugelassen, dass im Südozean immer mehr Krill gefangen wird, der zu den Lebensgrundlagen von Walen gehört. Das sind winzige Krebstiere, deren Lebensraum schon durch den Klimawandel immer kleiner wird.
Statt dem Krill breiten sich nun Salpen aus, das sind Manteltiere, die sehen so ähnlich aus wie Quallen. Wale fressen auch Salpen, die sind aber sozusagen Fast Food: Sie sind viel größer als Krill und stopfen voll, haben aber weniger Nährwert. Immerhin gibt es Hinweise darauf, dass auch der Kot von Salpen Eisen liefern kann. Vielleicht können sie also einen Rückgang der Walpopulationen ausgleichen.
Wenn es einem jetzt nur um die Kohlenstoffbilanz geht …
Ja, in Bezug auf den Kohlenstoff, sonst natürlich nicht. Dass viele Leute auf ein Boot steigen, um Salpen anzugucken, glaube ich jedenfalls nicht.
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