Nachtzugverbindungen in Europa: Im Schlaf ans Ziel
Mit dem Nachtzug kann man von Berlin neuerdings bis Stockholm reisen. Die Stadt soll mal ein Drehkreuz werden – noch fahren Züge aber eher über Prag.
Jüngstes Beispiel ist der Nachtzug Snälltåget nach Stockholm. Der Zug wird von der privaten Transdev-Gruppe betrieben. Von Berlin geht es über Hamburg und Kopenhagen nach Stockholm. Ende Juni gab es die Einweihungsfahrt. Start ist in Berlin nicht am Hauptbahnhof, sondern aus Kapazitätsgründen am Bahnhof Gesundbrunnen. Stockholm wird um 14.20 Uhr am Folgetag erreicht. In der Gegenrichtung geht es in Stockholm um 16.20 Uhr los, Berlin wird um 8.52 Uhr am Folgetag erreicht. Der Zug fährt bis zum 5. September täglich, danach mittwochs und samstags. Tickets gibt es auf der Webseite. Allerdings ist die Webseite bisher nur auf Schwedisch und Englisch zugänglich. Die Preise variieren je nach Reisezeitpunkt und Komfort. Los geht es bei etwa 50 Euro.
Wer sich nicht allein auf fremdsprachige Webseiten und die mühselige Suche über die Deutsche Bahn verlassen will, kann sich beraten lassen. In Berlin ist die Bahnagentur Schöneberg in der Crellestraße auf internationale Verbindungen spezialisiert. Martin Kopetschke kritisiert, dass die Bahnunternehmen bisher zu sehr auf ihren jeweiligen Heimatmarkt orientiert sind. Dabei seien die meisten europäischen Länder allein einfach zu klein für ein Nachtzugangebot.
Neue Verbindungen
Weitere Verbesserungen deuten sich an. Ab 2022 soll eine neue Nachtzugverbindung Prag mit Dresden, Berlin, Amsterdam und Brüssel zunächst dreimal in der Woche verbinden. Das tschechische Verkehrsunternehmen Regiojet arbeitet dabei mit dem niederländischen Start-up European Sleeper zusammen. Die Züge sollen abends in Prag abfahren und am frühen Vormittag in der belgischen Hauptstadt eintreffen. In umgekehrter Richtung geht es am frühen Abend in Brüssel los. Für Nachtzugfahrten von Berlin aus dürfte der Zug also vor allem in Richtung Brüssel interessant sein.
Die Hardware kommt von Regiojet. Vorgesehen seien Schlafwagenabteile für ein bis drei Personen, Liegewagen mit Abteilen für vier bis sechs Personen und Sitzwagen, sagte Geschäftsführer Elmer van Buuren der taz. Zudem ist kostenloses Internet vorgesehen. Tickets von Berlin nach Brüssel im Liege- oder Schlafwagen soll es ab 59 Euro geben. „Je mehr Komfort und Privatsphäre man wünscht, umso höher der Preis.“ Außerdem können die Ticketpreise je nach Nachfrage schwanken.
Bei European Sleeper ist man optimistisch, dass die Verbindung im April 2022 starten kann. Im Mai hat das Start-up nach eigenen Angaben 500.000 Euro Startkapital von 350 Anteilseignern eingesammelt. Am Fahrplan werde derzeit noch gearbeitet, so van Buuren. Er gehe aber davon aus, dass man in Berlin gegen 23.30 Uhr in den Zug nach Brüssel steigen könne. In der Gegenrichtung sollen die Züge aus Brüssel Berlin gegen 6 Uhr erreichen.
Mehr politischen Rückenwind für Nachtzüge wünscht sich Peter Cornelius. Der Vorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn Berlin-Brandenburg sieht gerade in Pandemiezeiten Nachtzüge als das beste Verkehrsmittel. „Man kann ein ganzes Abteil für sich und die Familie buchen.“ Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) wünscht auch mehr Nachtzüge. Berlin solle Drehkreuz des europäischen Nachtzugverkehrs werden, hieß es im Frühjahr, als der Senat eine entsprechende Machbarkeitsuntersuchung in Auftrag gab. Im Laufe des Sommers soll es Ergebnisse geben.
Sechs Verbindungen täglich nach Prag
Einstweilen sieht es so aus, als ob Prag sich zu so einem Drehkreuz entwickelt. Glücklicherweise ist die tschechische Hauptstadt per Bahn von Berlin aus sechsmal täglich direkt erreichbar. Zum Beispiel betreibt Regiojet bereits Nachtzüge zwischen Prag und der ostslowakischen Stadt Košice. Wer also in Berlin in den Eurocity um 15.36 Uhr nach Prag steigt, kann dort abends bequem in den Nachtzug wechseln. Auf dem Weg nach Košice wird auch in der Hohen Tatra gehalten. Der Zug fährt täglich. Ein ähnliches Angebot gibt es von Prag auch von Leo Express, allerdings passt dafür der Anschluss aus Berlin am Nachmittag nicht so gut.
Im Laufe des Jahres soll bei Regiojet eine Verbindung zwischen Prag und dem ukrainischen Lwiw hinzukommen. Die alte Hauptstadt Galiziens steht wegen ihres komplett erhaltenen historischen Stadtkerns auf der Liste des Unesco-Welterbes und eignet sich auch als Ausgangspunkt für eine Reise in den ukrainischen Teil der Karpaten. In die ukrainische Hauptstadt Kiew gibt es täglich mehrere Zugverbindungen. Nachtzüge sind in der Ukraine häufig und preisgünstig. Tickets können einfach über eine App auf Englisch gebucht und auch zurückgegeben werden.
In die gleiche Richtung konnte man von Berlin auch die Züge der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) nutzen. Die ÖBB-Nachtzüge aus Berlin Richtung Wien und Budapest führen nämlich nach Pandemiepause auch wieder Kurswagen nach Przemyśl mit. Die Stadt liegt im Südosten Polens kurz vor der Grenze zur Ukraine. Los geht es um 18.29 Uhr am Berliner Hauptbahnhof, in Przemyśl kommt der Zug um 8 Uhr morgens an. Allerdings fehlt derzeit noch der direkte Anschluss, den es im vergangenen Sommer noch gab. Mit der Aufhebung von Reisebeschränkungen dürfte das aber wieder ein Thema werden.
Wen es Richtung Mittelmeer zieht, könnte ein weiteres Angebot von Regiojet interessant finden. Das tschechische Unternehmen bietet nach seiner Verbindung von Prag nach Rijeka nun auch einen umsteigefreien Nachtzug nach Split weiter südlich an der kroatischen Adriaküste an. Die Ticketpreise liegen derzeit bei etwa 68 Euro im Liegewagen. Gebucht werden kann online. Abfahrt in Prag täglich um 16.46 Uhr. Um 13.44 Uhr am nächsten Tag fährt der Zug in den Bahnhof von Split ein. Das Gleis endet dort direkt am Strand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“