Utopie-Ausstellung in Hamburg: Der Dildo wippt

Eine andere Welt ist möglich – und sie ist knallbunt: Die Ausstellung „Life On Planet Orsimanirana“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Durch einen rosafarbenen Gummivorhang betritt eine Frau einen Ausstellungsraum

Sextoys warten: Touche-Touches „When Is Two One?“ und „New Cosmological Environment #1“ von Jerszy Seymour Foto: Henning Rogge/MKG

HAMBURG taz | Es wabert: Sanfte Synthesizerflächen durchziehen den Ausstellungsraum, Gesprächsfetzen sind zu hören – Englisch, Spanisch, eine Sprache, die man nicht zuordnen kann, im Nebenraum spielt jemand Schlagzeug. Und man sinkt noch ein Stückchen tiefer ins Polster, in einen grob aus Schaumstoff zerfetzten Sessel. Die Sessel nennen sich „Meso-Antic Crêtakossian Slabs“ und wurden entworfen vom in Brüssel arbeitenden Kunst- und Designduo Carolin Gieszner und Théo Demans aka Touche-Touche. Sie sind zentrale Exponate der Ausstellung „Life On Planet Orsimanirana“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe: Weil sie schlicht überall rumstehen, lässt man sich beinahe instinktiv in einen hinein fallen, wenn man etwa ein Video anschaut.

Zentral sind sie aber auch, indem sie in ihrer Stofflichkeit die Grundstimmung der Ausstellung so passgenau in Design übersetzen: brutal – und zugleich anschmiegsam. Die Beschreibung der Objekte im dazugehörigen Katalog trifft die Haltung hinter dem ganzen Projekt nahezu karikaturhaft gesteigert: „Hergestellt mittels einer DIY-Technik, bei der eine selbstbezogene Libido freigesetzt wird, sind die Sessel so gestaltet, dass sie mit anderen Dingen verschmelzen, um eine neue galaktische Ekstase zu erzeugen.“ Das ist so over the top, wie es gleichzeitig nicht falsch ist.

Utopische Ästhetik

Eine der interessantesten utopischen Gedankenspielereien ist, dass eine andere Welt möglich sein könnte: eine Welt ohne Sexismus, ohne kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse, ohne Innovationszwang, ohne Stadt-Land-Gegensatz, überhaupt ohne Dichotomien. Queer, friedlich, kreativ. Der „Planet Orsimanirana“ ist so eine utopische Welt, weil man aber im Museum für Kunst und Gewerbe ist, geht es bei der Ausstellung nicht in erster Linie um ökonomische oder gesellschaftspolitische Fragen, sondern um Ästhetik: Wie sieht diese bessere Welt eigentlich aus? Wie ist dort das Zusammenleben gestaltet?

Life On Planet Orsimanirana: bis 25. 7., Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.

Der Katalog ist bei Spector Books erschienen, 240 Seiten dick und kostet 28 Euro

Abschlussfestival: 22./23./24. 7., MKG u. a.; Informationen folgen

Das Problem dabei: Allzu konkret kann die Ausstellung nicht werden, sonst gerät sie selbst in die – eigentlich zu vermeidenden – Verwertungslogiken. Entsprechend verschwimmen immer wieder die klaren Positionierungen, immer wieder wird das Gezeigte wolkig und verblasen. Es wabert.

Es ist leicht, sich über „Life On Planet Orsimanirana“ lustig zu machen. Das geht schon beim Titel los, einem auf dem Italienischen basierenden Kunstwort: Es setzt sich zusammen aus „Orsi, dem der Bärenkopf, der widersprüchliche Emotionen wie Angst, Schuld und die Freude am Tod symbolisiert; „Mani“ sind die Hände, die für das Streben nach Unsterblichkeit durch den Einsatz von Technologie stehen; „Rana“ schließlich, die Schenkel des Frosches, verweisen für die Fähigkeit, die Fesseln von Wahrnehmung, Denken und Körper zu sprengen.

Ist das konkret, zugänglich gar? Natürlich nicht. Es sperrt sich, wie sich ein Ausstellungstitel nur sperren kann, in seiner mythologischen Überhöhung, in seiner Zungenbrecherhaftigkeit.

Überhaupt mag Orsimanirana als Utopie ein Hierarchien verabscheuender Ort sein, aber eine Ausstellung so wenig barrierefrei zu gestalten wie diese, das muss man auch erst einmal hinbekommen: Eine Rauminstallation wie „Mud x Sand Bath“ der Kollektive Jerszey Seymour Design Workshop, Macao und Assemble beispielsweise schließt jedes mobiliätseingeschränkte Publikum von vornherein aus.

Aber dieser Raum mit dem vielen Sand auf dem Boden gewinnt seinen Reiz eben gerade dadurch, dass er nicht einfach zugänglich ist. Er ermöglicht dem:­der Be­su­che­r:in vielmehr ein intimes Körpererlebnis, das grundsätzlich nicht für selbstverständlich genommen werden sollte. Ursprünglich war „Mud x Sand Bath“ sogar noch radikaler geplant: als „warmes, ekstatisches Schlammbad“.

Indem die Be­su­che­r:in­nen darin „eingetaucht wären“, weiß der Katalog, „wären sie Teil eines neuen modularen Bewusstseins geworden, das sie in die Lage versetzt hätte, die neue Welt zu erschaffen“. An gemeinsames Schlammbaden war in Zeiten von Corona nun nicht zu denken, schon die Sandfläche ist ein Kompromiss, der zeigt, an welche Grenzen die ästhetische Radikalität von Orsimanirana stößt.

Beinahe nie zu sehen

Ohnehin wäre die Ausstellung beinahe gar nicht fürs Publikum zu sehen gewesen: Ursprünglich sollte „Life On Planet Orsimanirana“ nur bis Ende Juni gezeigt werden, der Lockdown hielt das Museum dann bis Mitte des Monats geschlossen. Immerhin bis Ende Juli konnte die Laufzeit verlängert werden, und das ist gut.

Denn auch wenn einige der entworfenen Utopien ins Digitale ausgreifen und ein zentraler Baustein des Orsimanirana-Kosmos eine Radiostation ist, die Kommunikation auch ohne körperliche Kopräsenz ermöglicht: Der Charme des Projekts erschließt sich doch eher vor Ort. In Arbeiten wie Tomasz Skibickis eigenartig organisch anmutenden Upcycling-Wohnobjekten. Oder in der „Maskenfigur Technik“ von Lavinia Schulz und Walter Holdt, einem 1923 entstandenen Objekt aus der hauseigenen Sammlung.

Dass die Ausstellung hier auf das Museum Bezug nimmt, ist ein Pluspunkt. Kuratiert hat „Life On Planet Orsimanirana“ ein internationales Team, bestehend aus dem britisch-kanadischen Designer Jerszy Seymour, Amica Dall vom Londoner Architekturkollektiv Assemble und Emanuele Braga von der Mailänder Künstler:innen- und Ak­ti­vis­t:in­nen­grup­pe Macao. Immer wieder aber werden Hamburger Besonderheiten integriert oder Positionen dortiger Künst­le­r:in­nen gezeigt, etwa ortsgebundene Arbeiten von den Hallo: Festspielen oder aus dem Gängeviertel.

„Life On Planet Orsimanirana“ ist leichtgewichtig und weltumfassend, breitet die Arme aus –und verschließt den Zugang gleich wieder. „A non-gesamt Gesamtkunstwerk“ ist der gleichermaßen hübsche wie wenig erläuternde Katalog untertitelt. Die Ausstellung ist also ein Widerspruch in sich, vergleichbar am ehesten mit einem gelungenen Pop-Festival, das einerseits Barrieren abbauen will, andererseits aber gar nicht für alle zugänglich sein kann.

Ein zentraler Raum ist dementsprechend das Radiostudio, in dem diverse Utensilien zur Benutzung freigegeben sind: Gitarren, Synthesizer, Drums. Aber Vorsicht – den diesen Instrumenten innewohnenden Heterosexismus sollte man nicht unerwähnt lassen, weswegen das queerfeministische Berliner Tattoostudio Muschi Muschi sowie das Partynetzwerk Daddies On Acid die Geräteschaften mit Sextoys und tätowierter Kunsthaut modifizieren. Ziel sind „pumpende, postpatriarchale Beats und Rhythmen“, die „zur Schaffung der neuen Gesellschaft beitragen“ sollen.

Also: Der Dildo wippt, die Travelpussy pumpt, der Bass wummert. Behaupte niemand, dass das zugänglich sei. Sage aber auch niemand, das sei nicht geil.

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