: Starker Rhythmus, viel Bewegung
TANZSTIL Fast 100 Jahre nach seiner Entstehung ist der Swing in Europa wieder auf dem Vormarsch. Neben Berlin und Hamburg zählt Barcelona zu den großen Metropolen der neuen Tanzlust
■ Hop it: Portal mit einer Übersicht über Swingtanzschulen in Deutschland, Events, Musik, Videos: www.hopit.de
■ DJ Grammophon: Matthias Hopke aus Berlin lässt sich inklusive Original-Schellackplatten und Samthandschuhen für Swing-Partys buchen: www.djgrammophon.de
■ Bohème Sauvage Tanzparty: www.boheme-sauvage.net
■ Archiv des frühen Lindy Hop: www.savoystyle.com
■ Swingscout: Swingtermine in ganz Deutschland sowie Workshops und Tanzpartnersuche www.swingscout.de
■ Swingstyle: Sammelsurium zu allem, was mit Swing zu tun hat www.swingstyle.de
■ Swing in der Schweiz: www.strichpunkt.org, in Österreich: www.swing-austria.com
■ Swing in Barcelona: Swing Maniacs, größte Swingtanzschule in Barcelona. Jeden Abend von 22 Uhr bis 0 Uhr Swing Jam für alle swingmaniacs.com/
■ Lindy al Parc: Jeder 1. und 3. Sonntag im Monat von 18 Uhr bis 20.30 Uhr im Park Ciutadela.
■ Jeden Freitag ab 22 Uhr: Hot Swing Royale im Cafe Royale, Nou de Zurbanó 3, Nähe Plaza Reial, Eintritt frei
■ Jeden Samstag ab 22 Uhr: Happy Feet Swing im Marula Cafe, Calle Escudellers 49, Nähe Plaza Reial, Eintritt 8 Euro
■ Jeden Sonntag ab 19.30 Uhr: Lindy Sundays im Minusa Club, Calle Valencia 166, Eintritt frei
■ Swing in Hamburg: Jeden Dienstag von 19 Uhr bis 23.45 Uhr, Swingcafé im Atisha, Barmbeker Str. 62, Eintritt kostenfrei
■ Jeden Mittwoch von 19 Uhr: bis 23.45 Uhr Swing im Salon Commode, Schulterblatt 73
■ Jeden Mittwoch ab 20 Uhr: Mandalay Swing Fever, Neuer Pferdemarkt 13
■ Hamburg Lindy Exchange Festival: 24. bis 26. August www.hamburglindyexchange.de
VON DIRK ENGELHARDT
Auf einmal ging alles ganz schnell: Die Passanten, die sich auf der belebten Plaza Catalunya in Barcelona scheinbar zufällig trafen, stellten sich in Reihen auf. Eine tragbare Musikanlage wurde eingeschaltet, und los ging der Shim Sham, ein Stil des Swing, der in einer festgelegten Choreografie getanzt wird. Die gut hundert Tänzer und Tänzerinnen hatten sich vorher per Internet abgesprochen und zu einem „Swing Flash Mob“ zusammengefunden. In den Swing-Tanzschulen der Stadt gab es zur Vorbereitung kostenlose Workshops, denn die Choreografie dieses speziellen Tanzes wird üblicherweise nicht so oft gelehrt. Swing ist, bald hundert Jahre nach seiner Entstehung in den 20er Jahren in den USA, wieder stark im Kommen.
Neben Berlin und Hamburg dürfte wohl Barcelona zu den großen Swing-Metropolen Europas zählen. Ganze 14 Swing-Tanzschulen gibt es in der katalonischen Hauptstadt mittlerweile, manche von ihnen stilecht in Hinterzimmern von verrauchten Kneipen untergebracht.
Jorge, tagsüber beschäftigt als IT-Techniker, hat vor einem Jahr die Tanzschule „Temple de Swing“ eröffnet, in der er jeden Abend zusammen mit einer Partnerin zwei Swing-Kurse gibt. „Ich kann nicht anders“, antwortet er, wenn er auf seine beiden Jobs angesprochen wird.
Die Plätze und Parks der Stadt nutzen
Dank des Klimas müssen Tänzer sich in der Hauptstadt Kataloniens nicht nur auf Ballsäle beschränken, sondern können auch die Plätze und Parks der Stadt nutzen. Regelmäßig am Sonntag karren die Mitglieder der „Associació de Swing de Barcelona“ ihre Musikanlage auf lauschige Plätze, bevorzugt im alternativen Stadtteil Gracia, um den Tänzern und Tänzerinnen mit Stücken von Teddy Wilson, Count Basie, Benny Carter oder Coleman Hawkins einzuheizen. Im Sommer auch an der Barceloneta, dem Stadtstrand von Barcelona.
Ganz legal ist das nicht, aber die Polizisten, die ab und an vorbeischauen, kneifen beide Augen zu und machen den Eindruck, als ob die Lebensfreude, die die wirbelnden Tanzpaare verbreiten, ansteckend ist. Obwohl Tänzer aus dem studentischen Milieu die Mehrheit innehaben, kommen regelmäßig auch Tanzpaare im Rentenalter vorbei, die sich vielleicht an die Vergnügen ihrer Jugend erinnern. Und bei vielen Veranstaltungen spielen sogar Livebands, zum Teil mit Sängern und Sängerinnen.
Der Swing entwickelt sich nach der großen Weltwirtschaftskrise vom Oktober 1929 mit der neuen Form der Bigband. Vielen kleineren Formationen mangelte es an Aufträgen, und die Musiker kamen in größeren Formationen zusammen, den Bigbands. Die Urvariante des Swing entstand im legendären New Yorker Tanztempel, dem Savoy Ballroom im Savoy Hotel. Der Savoy Ballroom war, im Gegensatz zu anderen Tanzsälen, für alle Hautfarben offen und dadurch ein Schmelztiegel verschiedener Tanzkulturen. Die New Yorker High Society kam extra von Manhattan nach Harlem, um diesen famosen Tanz, den Savoy-Style Swing, in Augenschein zu nehmen. Er leitete sich musikalisch vom Charleston und dem Hot Jazz ab.
Tanzbeschreibung anno 1925: „Der Torso zittert, dazu die Bewegungen der Hüften, Schenkel und Hinterbacken. Auch die Hände sind aktiv, sie berühren alle Teile des Körpers wie in Ekstase. Dazu kommen die abwechselnden O- und X-Beine, damit verbunden die nach außen und innen gedrehten Knie und Füße. Der Tänzer kann seinen Rücken beugen oder gar in Hockstellung gehen.“ Dies alles, wohlgemerkt, in einer affenartigen Geschwindigkeit von bis zu 148 Rhythmen pro Minute (zum Vergleich: ein normaler Tanzschritt hat rund 80 Rhythmen pro Minute). Mit den rudernden Armbewegungen, ebenfalls typisch für den Charleston, wirkten die Tänzer wie Wettläufer im Meer. Natürlich gibt es auch im Internet einige Seiten, die sich ausführlich mit dem Thema befassen. Allein die Seite Swing Dancing auf Facebook hat mehr als 54.000 Fans.
Auftrieb bekam die Musik jüngst durch Robbie Williams, der 2001 auf seinem fünften Album vornehmlich Swing-Titel produzierte, wie „Swing when you are winning“ – und mehr als sieben Millionen CDs verkaufte. Doch auch Roger Cicero, Tom Gaebel und Thomas Anders konnten mit ihren Swing-Stücken massenweise Fans mobilisieren, wobei Cicero sich an den Stil der 40er Jahre anlehnte und ihn mit deutschen Texten versah.
Mehr und mehr Tanzschulen in Deutschland bieten Swing-Workshops an, und in Großstädten gibt es spezialisierte Swing-Tanzschulen. Man ist offen für jeden: Vor Tanzveranstaltungen werden die wichtigsten Schritte in einem Schnupperkurs gelehrt. Für die Führenden, also meist die Herren, ist Swing, wie auch alle anderen Tänze, schwieriger als für die Damen, denn Paartanz nötigt den Herren eindeutige Führungsqualitäten ab. Gezählt wird nicht, wie bei Salontänzen üblich, bis drei oder vier, sondern bis acht. „Das Ganze muss locker aussehen, der Po nach hinten gestreckt und der Oberkörper eher nach vorne gelehnt“, so beschreiben es Tanzlehrer gerne ihren Schülern. Wichtig ist dabei immer die Grundspannung, denn die Bewegungsabläufe müssen synchron erfolgen, und gleichzeitig muss das Ganze lässig und „cool“ aussehen.
Improvisation ist das A und O des Swing
Dass Swingtanzen in Wirklichkeit schwere Arbeit ist, merkt man an den verschwitzten Körpern, und nicht von ungefähr tragen professionelle Swing-Tänzer immer ein kleines Handtuch mit sich. Zwar gibt es eine Reihe von Figuren und verschiedenen Stilen, doch Improvisation ist das A und O des Tanzes, und die fortgeschrittenen Tänzer erfreuen sich bei jeder Party an neuen Kombinationen.
Einige nannten die Anfänge des Swings, den Savoy-Style auch Lindy Hop, angeblich nach dem ersten Überquerer des Atlantiks, Charles Lindbergh. Es ist eine der vielen Geschichten, die sich die Swing-Gemeinde immer wieder gerne erzählt und die auch Tanzschüler in Tanzkursen zu hören bekommen. New Yorker Zeitungen titelten an jenem denkwürdigen Abend „Lucky Lindy hops the Atlantic“. Und einer der Tänzer im Savoy Ballroom, George Snowden, genannt „Shorty George“, war so berauscht von dem Ereignis, dass er das geflügelte Wort „I am doing the hop … the Lindy Hop …“ prägte.
Lindy Hop entstammt unverkennbar der afroamerikanischen Kultur und wurde anfangs fast nur von Schwarzen getanzt. Die Erdverbundenheit afrikanischer Tänze drückt sich unter anderem darin aus, dass man sich „affenähnlich“ bewegt. Fließende, horizontale Bewegungen, schnelle Beinbewegungen, Kicks und kleine Sprünge sind das Typische dieses Tanzstils, der sich stark von europäischen Salontänzen wie dem Foxtrott oder dem Cha-Cha-Cha unterscheidet. Manche wollen gar Ähnlichkeiten mit dem Schuhplattler erkennen: die offene Paarhaltung, bei der der Herr die Dame von der Seite an der Taille umfasst, das Drehen unter dem Arm des Partners.
Ein anderer großer Name aus New York, der fast immer fällt, wenn von Swingtanz die Rede ist, ist Frankie Manning. Manning war lange Zeit der tänzerische Kopf der Whitey’s Lindy Hoppers, und diese Tanztruppe brachte den Swing auf Bühnen und auf Kinoleinwände. Manning war es auch, der die berühmten „Aerials“ entwickelte, atemberaubende Hebefiguren wie Luftsaltos und Paar-Robben, immer mit der Musik synchronisiert. Einen ihrer großen Auftritte hatten Whitey’s Lindy Hoppers im Musical „Hellzapoppin’ “, wo sie unter dem Namen „Harlem Congeroo Dancers“ auftraten. In Deutschland bekam der Film den Titel „In der Hölle ist der Teufel los“, und er enthält alle Zutaten eines Hollywood-Revuefilms: Wortwitz, visuelle Gags und skurrilen Blödsinn.
Es dauerte nicht allzu lange, da schwappte die Begeisterung des Swing in den 30er Jahren auch ins nationalsozialistisch regierte Deutschland über. Vor allem in Hamburg bildete sich bald die „Swing-Jugend“, die sich aus dem Bildungsbürgertum rekrutierte und sich statt mit „Sieg Heil“ mit „Swing Heil“ begrüßte.
Die Nazis verfolgten die Swing Kids
Beflissen achtete man auf ein andersartiges Äußeres: die Swing Kids fielen auf mit ihren englischen Mänteln und Hüten, mit langen Haaren, karierten Sakkos, dem unvermeidbaren Hut und vielleicht einem Regenschirm. Das muntere Treiben blieb der allgegenwärtigen Gestapo und dem Hitlerjugend-Streifendienst nicht lange verborgen, und die Verfolgung begann. Dass jedoch in allen Gaststätten Schilder mit „Swing tanzen verboten“ aufgehängt wurden, kann getrost als moderne Sage bezeichnet werden. Vielmehr wurden in den Endjahren des Krieges sämtliche Tanzveranstaltungen verboten.
Neben dem weit verbreiteten Lindy Hop existiert eine Vielzahl von Stilen. Da ist der „West Coast Swing“, der sich in Kaliforniens Nightclubs in den 30er und 40er Jahren entwickelte und der die Betonung besonders auf flinker Fußarbeit hat. In Dallas, Texas, entwickelte sich der „Push“, der Figuren des Rock ’n’ Roll in den Lindy Hop einstreut. Der „East Coast Swing“ wiederum zählt nur 6 Schläge, während der Country Western Swing zu Countrymusik im Stil des Jitterbug getanzt wird. Der „Balboa“ ist gut geeignet für volle Tanzflächen und schnelle Musik, da er in sehr enger Tanzhaltung getanzt wird. Die Basis sämtlicher Stile ist der Charleston, der – was die wenigsten wissen – auf eine Jazz-Melodie aus dem Broadway-Negromusical „Running Wild“ zurückgeht. Durch geschickte Vermarktung wurde der Plattenverkauf damals weltweit angekurbelt.
Über das stilechte Outfit bei Swing machen sich übrigens die wenigsten Gedanken, man sieht höchstens einmal Riemchensandalen oder Hosenträger. Ganz anders als bei der Berliner Partyreihe „Bohème Sauvage“, wo Dresscode im Stil der 20er Jahre Pflicht ist. „Normal“ gekleidete Ballgäste werden auf diese Tanzveranstaltung erst gar nicht eingelassen.
Beste Chancen für wagemutige Männer
Natürlich ist beim Swing, wie praktisch bei allen Tänzen, das männliche Geschlecht eher schwach vertreten. Dabei vergeben sich Männer einige Chancen! Denn Frauen mögen Männer, die sich vielseitig, kontrolliert, natürlich und vor allem rhythmisch bewegen können, das zeigt jede Studie zum Thema. Außerdem gilt, wer Swing tanzen kann, als lässig und cool. Und genau solche mutigen Männer suchen die Frauen, die heute auch nicht mehr aufgefordert werden müssen. Und Abwechslung ist ebenfalls garantiert: Welcher Mann hat schon an einem Abend zwanzig oder dreißig Frauen im Arm?
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