Auf und ab in Eisenhüttenstadt: Die Stunde der Wahrheit
Über die Hälfte der Bevölkerung hat die Stahlstadt seit der Wende verloren. Den Wandel der Stadt beleuchtet nun die Ausstellung „Ohne Ende Anfang“.
Das Licht ausmachen in einer Stadt, in der es erst vor 70 Jahren angegangen war? Weggehen von dort, wohin alle einmal gekommen waren, in eine Stadt, in der alles so nach Anfang schmeckte, mit einer Zukunft, die sich nie verbrauchen würde: Eisenhüttenstadt, dieses utopische Versprechen der DDR.
Auf den Fotos und Plänen, die die Ausstellung „Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt“ vom 4. Juli an im „Museum Utopie und Alltag“ in Eisenhüttenstadt zeigt, ist viel von diesem Aufbruch zu spüren. Eines der eindrucksvollsten Objekte ist das Modell eines Eckhauses im Wohnkomplex II, jenem Teil der Planstadt, der errichtet wurde, nachdem Ulbricht die schlichten Zeilenbauten im ersten Wohnkomplex kritisiert hatte. „Diese Architektur kennen wir von der Stalinallee in Berlin“, sagt Axel Drieschner, der Kurator der Ausstellung. „Der Anfang war fulminant.“
Und heute? Keine Euphorie, nirgends. „An die Stelle des Aufbaus tritt der Abriss“, heißt es auf der Texttafel im letzten der sechs Ausstellungsräume. „Der Verlust positiver Images trägt bis heute zu einer verunsicherten bis resignativen Grundstimmung in der Stadt bei.“
Die Ausstellung „Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt“ ist vom 4. Juli 2021 bis zum 29. Mai 2022 im „Museum Utopie und Alltag“ in der Erich-Weinert-Allee in Eisenhüttenstadt zu sehen. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen 11–17 Uhr.
Das Museum Utopie und Alltag ist die neue Dachmarke, die seit Mai das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt und das Kunstarchiv in Beeskow zusammenführt. Kuratiert wurde die Ausstellung von Axel Drieschner. Dabei wurde auch ein vergleichender Blick auf die sozialistischen Plänstädte Nowa Huta in Polen und Schwedt/Oder geworfen. Die Interviews für die Hörstationen hat Tim Köhler geführt. Begleitet wird die Ausstellung von der Installation DDR noir von Henrike Neumann.
Im Begleitprogramm unter www.utopieundalltag.de stellt Martin Maleschka am 12. September seinen Architekturführer Eisenhüttenstadt vor. (wera)
Die Hälfte ist weg
Statt „Ohne Ende Anfang“ also der Anfang vom bitteren Ende? „Zur Wende hatte Eisenhüttenstadt 50.000 Einwohner, heute sind es unter 25.000“, sagt Florentine Nadolni, die Leiterin des Museums Utopie und Alltag, beim Presserundgang am Donnerstag. Mehr als die Hälfte der Lichter sind also schon ausgegangen.
Bis 2030 soll die Stadt weitere 4.000 Menschen verlieren, heißt es in einer Bevölkerungsprognose. Anders als das ebenfalls als sozialistische Stadt errichtete Nowa Huta, das von der Nähe zu Krakau profitiert, und auch anders als Schwedt, das den Bevölkerungsschwund stoppen konnte, geht der Aderlass in Eisenhüttenstadt weiter.
Es ist nicht so, dass die Stadt nicht darauf reagiert hätte. Die Wohnkomplexe I–IV aus den Jahren 1950 bis 1961 sind vorbildlich saniert, die in Plattenbauweise errichteten Wohnkomplexe der siebziger und achtziger Jahre weitgehend abgerissen.
Eisenhüttenstadt konzentriert sich auf seinen Gründungsmythos und hat dafür auch den Deutschen Städtebaupreis 2018 bekommen. Man kann die Operationen am Weichbild der Stadt wunderbar nachvollziehen auf einen großflächigen Plan, auf dem die Bestandsgebäude schwarz, die abgerissenen rot markiert sind.
Aber Schrumpfen bedeutet nicht automatisch Gesundschrumpfen. Das größte Flächendenkmal Deutschlands fasziniert Architekten und Touristen aus aller Welt, hält aber niemanden in der Stadt. „Vor allem die Jungen ziehen weg“, bestätigt Nadolni. „Man findet heute kaum noch eine Familie, die in dritter Generation in Eisenhüttenstadt lebt.“
Von einer „Stunde der Wahrheit“ spricht der Architekturkritiker Wolfgang Kil im Editorial einer achtseitigen Zeitung, die als Extrablatt zur Ausstellung erschienen ist. Kil spricht an, was in Eisenhüttenstadt als „heißes Eisen“ gilt und nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird. Was ist, wenn nicht nur die Stadt weiter schrumpft, sondern irgendwann auch das Stahlwerk schließt? Dreitausend Menschen arbeiten heute bei ArcelorMittal Eisenhüttenstadt, darauf sind sie stolz, auch weil der ehemalige Generaldirektor das „Eisenhüttenkombinat Ost“ (EKO) erfolgreich in die Marktwirtschaft geführt hat. „Aber wenn die Symbiosen zwischen Werk und Stadt derart eng sind – was geschieht, wenn die Gesellschaft sich ändert, die ökonomischen Verhältnisse, die Produktionsweisen, die Rolle der Arbeit generell?“
Das Schicksal einer sozialistischen Stadt, ist Kil überzeugt, „wird sich also nicht am Formenreichtum ihrer Architektur entscheiden, sondern daran, wie unsere Gesellschaft als Ganzes den anstehenden Epochenwandel bewältigt“. Zu diesem Wandel gehört auch die Umstellung der Stahlproduktion. Grüner Stahl ist in aller Munde, doch die Umstellung ist teuer, so teuer, dass ArcelorMittal Poland im vergangenen Jahr den Hochofen in Nowa Huta geschlossen hat. Was in Nowa Huta durch die Symbiose mit Krakau kompensiert werden konnte, wäre für Eisenhüttenstadt die nächste Hiobsbotschaft.
Die Zukunft als Blackbox
Doch der Epochenwandel in der Region ist längst im Gange. In der Tesla-Fabrik in Grünheide sollen einmal so viele Menschen arbeiten wie einst im EKO – ohne dass dafür eigens eine Werksstadt gebaut wird. Schon heute bemüht sich der Oberbürgermeister von Eisenhüttenstadt um die neuen Arbeitskräfte von Tesla, wirbt mit dem vielen Grün in den Höfen, den großzügigen Wohnungen, der städtischen Umgebung.
Oder soll „Hüttenstadt“ Filmstadt werden oder Gesundheitsstadt? Museumsleiterin Nadolni und Kurator Drieschner haben im letzten Raum der Ausstellung eine Art „Wünsch dir was“ inszeniert. Nicht nur Ideen für den Zentralen Platz, der seit der Gründung der Stadt noch immer leer ist und heute als Parkplatz dient, können dort eingebracht werden, sondern auch die Wünsche an die Zukunft.
Einer könnte lauten, dass der Epochenwandel in Eisenhüttenstadt auch mit den Geldern für den Strukturwandel der Lausitz unterstützt werden muss. Die Stadt steht auf historischem Gebiet der Niederlausitz, es gibt keinen Grund, warum das berlinnahe Wildau die Gründung einer Außenstelle des Robert-Koch-Instituts finanziert bekommt, aber die „Transformation der sozialistischen Stadt“ alleine Thema eines Museums sein sollte.
Und das Stahlwerk? In der Hörstation heißt es: „Das ist so ein Geist, der über der Stadt schwebt: Die Stadt macht das Leben abhängig vom Werk, obwohl ich meine, dass die Stadt das Werk gar nicht braucht. Die hat eine eigene Identität.“
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