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Der passionierte Lügner

LITERATUR Als Ret Marut wirkte er an der Münchener Räterepublik mit. Als B. Traven schrieb er den meisterhaften Roman „Das Totenschiff“. Das Literaturforum im Brecht-Haus widmet dem immer noch unterschätzten Autor eine Woche

Maschinenschlosser war er, Schauspieler, Verleger, Journalist und Kohlentrimmer auf einem Schiff

VON JÖRG SUNDERMEIER

Niemand kennt Otto Feige. Kaum jemand weiß, wer Hal Croves war. Wer hat die Namen Richard Maurhut, Georg Steinheb, Traven Torsvan, Berick Traven schon einmal gehört? Der Schriftsteller und Revolutionär Ret Marut ist inzwischen recht bekannt, den Bestsellerautor B. Traven kennt die ganze Welt. All diese Namen gehörten demselben Mann, der mal als dieser lebte, mal als jener auftrat.

B. Traven versteckte sich vor seinem Publikum und den Medien. Er hielt seine Identität geheim. Gebürtiger Amerikaner sei er, erzählte er den deutschen Behörden. In London jedoch – zu diesem Zeitpunkt nannte er sich Ret Marut – gab er den Beamten der Ausländerbehörde zu Protokoll, dass er Otto Feige sei, geboren 1882 in Schwiebus. In Mexiko, nur Monate später, war er dann wieder Amerikaner, nun hieß er Traven Torsvan. Unter dem Namen Marut hatte er an der Münchener Räterepublik mitgewirkt und wurde von der deutschen Polizei gesucht. Bis 1923 hatte er Pamphlete in seinem revolutionären Magazin Der Ziegelbrenner und eher kitschige Geschichten veröffentlicht. Nun, zwei Jahre nach dem Verschwinden von Marut, hatte er sich in B. Traven verwandelt, den Autor des meisterhaften Romans „Das Totenschiff“.

Traven, der in Lateinamerika blieb, seine Herkunft und seine Eltern verleugnete – mal gab er an, unehelicher Nachfahre der AEG-Konzernherrenfamilie Rathenau zu sein, mal behauptete er sogar, das Kind des deutschen Kaisers zu sein – war in Deutschland nur noch als Autor von sozialkritischen Bestsellern präsent, die bald zu internationalen Erfolgen wurden. Auch bestand in den fünfziger Jahren nicht mehr die Gefahr, dass er an Deutschland ausgeliefert wurde. Dennoch spielte Feige/Marut/Traven sein Identitätenspiel unbeirrt weiter. Wenn er etwa die Drehorte der vielen Verfilmungen seiner Bücher besuchte, so nannte er sich Hal Croves und behauptete, der Generalbevollmächtigte Travens zu sein. Das durch sein Verwirrspiel extrem gesteigerte Interesse an seiner Person konnte er einerseits nicht verstehen, andererseits genoss er es offensichtlich.

Bis heute allerdings hat dieses Verwirrspiel zur Folge, dass manche, sonst durchaus ernst zu nehmende Germanisten hinter den oben genannten Namen verschiedene Personen vermuten. Sie gehen Traven auf den Leim und sprechen ihm auch jene Fähigkeiten zu, die sich Traven lediglich ausgedacht hat. So bestreiten viele noch immer, dass Traven als Otto Feige geboren worden ist, obwohl seine Geschwister ihn schon 1978 eindeutig identifiziert haben.

Nicht nur hatte Traven viele Namen, er hatte auch viele Berufe – gelernter Maschinenschlosser war er, als Schauspieler arbeitete er, als Verleger, als Journalist, als Kohlentrimmer auf einem Schiff, als Fotograf. Er war zugleich Gewerkschafter und Revolutionär. Vor allem war er passionierter Lügner – er erfand angeblich authentische Begebenheiten und entlieh sich anderer Leute Lebensgeschichten. Sein Leben selbst erscheint angesichts dessen wie ein Roman.

Was er unter den Namen B. Traven veröffentlichte, unter diesem Namen auf Deutsch, Spanisch und Englisch schrieb, gehört zweifelsohne zur Weltliteratur. Dennoch hat es die Germanistik versäumt, sich ausgiebig mit Travens Werk zu beschäftigen. Der Mann und seine vermeintlich „exotischen“ Stoffe erschienen den meisten Akademikern zu suspekt.

Den Lebensroman des unehelich geborenen Otto Feige, der zu B. Traven wurde, hat Jan-Christoph Hauschild in seinem sehr gut geschriebenen Buch „B. Traven – die unbekannten Jahre“ (erschienen in der Edition Voldemeer Zürich) minutiös dokumentiert. Hauschild kuratiert die heute beginnende „B. Traven Woche“, die das Literaturforum im Brecht-Haus in seinem Ausweichquartier, dem Palais am Festungsgraben, stattfinden lässt. Neben Hauschild werden weitere Traven-Expertinnen und -Experten seinem Lebensrätsel nachgehen, sich allerdings auch den Romanen und ihrer Bedeutung zuwenden. Zudem wird der Film „The Traven Mystery“ von Xavier Villetard gezeigt, eine neue Produktion, in der auch Travens Witwe und viele weitere Zeitzeugen zu Wort kommen.

Tatsächlich hatte Traven, der „Anonymitätsobsessionist“ (Hauschild) recht damit, seine Lebensgeschichte im Dunkeln zu belassen – viel wichtiger als seine Biografie ist das Werk, das er uns hinterlassen hat. Es geht darin um den Freiheitskampf der indigenen Bevölkerung in Chiapas, um die fortgesetzte Entrechtung derjenigen, die keine Pässe haben, es geht um die Effekte des Kapitalismus für die Bevölkerung. Diesen Büchern muss Raum gegeben werden – und dem Literaturforum im Brecht-Haus ist zu danken, dass es dies fünf spannende Abende lang tut.

■ Der Saal des Literaturforums im Brecht-Haus wird derzeit modernisiert. Die „B. Traven Woche“ findet im Palais am Festungsgraben in den Räumlichkeiten der Saarländischen Galerie statt. Am Festungsgraben 1, Mitte

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