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Schwindel in der Planeten-Disco

Seit er ihr Schloss in „Fieses Licht“ gehüllt hat, lieben die Wolfsburger Medienkünstler Mischa Kuball: Das dortige Kunstmuseum erkundet nun „ReferenzRäume“ seines Œuvres

Glimmergloben spielen Irrstern: Blick in Mischa Kuballs „five planets“-Installation Foto: Marek Kruszewski/Museum Wolfsburg

Von Bettina Maria Brosowsky

Dass ausgerechnet das Kunstmuseum Wolfsburg dem Düsseldorfer Mischa Kuball eine Retrospektive widmet, kommt nicht von ungefähr. Denn der Licht-, Medien- und Aktionskünstler war zweimal, 2000 und 2010, erfolglos für den Lichtparcours Braunschweig angetreten, wo er so gar nicht den Geschmack der lokalen Sponsoren traf, die sich unter Lichtkunst eher dekorative Illuminationen historischer Orte versprachen.

Umso größer war vielleicht seine Freude, 2012 in der Städtischen Galerie im Wolfsburger Schloss einige Arbeiten präsentieren, vor allem aber die temporäre Installation „Fieses Licht“ für die Südfassade und die beiden Türme des Renaissancebaus choreografieren zu dürfen: ein Schlüsselwerk für Kuball.

Wolfsburgs „Fieses Licht“ ist Teil des 1977 von Kuball begonnenen, offenen und wiederholbaren Werkkomplexes „Public Preposition“. Laut Sprachwissenschaft ist eine Präposition ein „Verhältniswort“, es setzt Begriffe in räumliche oder zeitliche Beziehung. Analog baut Kuball durch gezielte Objektsetzungen Relationsanordnungen im öffentlichen Raum auf. Das allererste „Objekt“ war sein eigener Körper: In einem Müllsack bewegte er sich von einem Düsseldorfer Parkplatz in eine Geschäftsstraße, verharrte dort zwei Stunden lang, regungslos auf einem mit Graffiti besprühten Bettlaken liegend. Pas­san­t:in­nen traten immer wieder ungläubig gegen den Leib im Sack, ohne es jedoch für notwendig zu erachten, Rettungsdienst oder Polizei zu rufen.

In minimierter Form rekapitulierte Kuball diese Aktion zweimal: 2009 als „Marfa Floater“ in Texas, 2019 als dessen Reprise in Berlin. Jedes Mal war es eine der goldschimmernden Rettungsdecken aus alubedampftem Polyester, die er herrenlos durch Außen- und Innenräume treiben ließ. In Berlin diente ihr die Friedrichstraße zum großen Auftritt. Dort Flanierende, Radelnde oder ihren Smart Anwerfende nahmen, ähnlich ihren Vor­gän­ge­r:in­nen 1977 in Düsseldorf, kaum empathische Notiz von diesem Katastrophenrequisit, das durch Bilder von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer derzeit medial so präsent wie vielfältig konnotiert ist. Drohnen- und Videoaufnahmen dokumentierten die Aktion Kuballs.

In ihrer Reduktion zählt diese Arbeit vielleicht zu den eindringlichsten in der Wolfsburger Ausstellung. Retrospektiv angelegt, umfasst sie 14 Werke aus den letzten drei Jahrzehnten: Rauminstallationen, Fotografien und Skizzen, Videoprojektionen sowie je eine ganz neue Produktion für Wolfsburg und zum Jahresende dann für Leverkusen. Im dortigen Museum Morsbroich wird es eine nächtliche Licht- und Sound-Installation sein.

Mischa Kuball ist Jahrgang 1959 und seit 2007 Professor für „Public Art“ an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Wolfsburgs Museumsdirektor Andreas Beitin verwahrt sich deshalb auch gegen die einschränkende Zuschreibung „Lichtkünstler“. Denn obgleich Kuball dieses Medium recht exzessiv einsetzt, liegt der Schwerpunkt seiner Werkideen auf partizipativen Kunstformen im öffentlichen Raum.

Auch Michael Schwarz, Kunsthistoriker und lange Jahre Präsident der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig, hatte in seiner Laudatio zum Lichtkunstpreis 2016 gerade diesen Aspekt betont: Kuball sei ein „Regisseur des Lichts“, seine Werke bezögen den Menschen ein, der „nicht nur betrachten, sondern handeln“ dürfe und solle.

Allerdings gibt es in Wolfsburg keine große öffentliche Aktion im Rahmen der Ausstellung. Beitin hat schnell Vorstellungen verworfen, etwa den „White Space“, einen imaginären Raum aus Theaternebel und Unmengen von LED-Leuchten, den Kuball 2014 in Leipzig zur Erinnerung der deutschen Einheit installiert hatte, im Stadtraum vor dem Museum zu reinszenieren – schon aufgrund der Abstandsgebote in Zeiten von Corona.

Unweigerlich fängt man an, die Begriffe lesen und vermeintliche Aussagen erfassen zu wollen

So bleibt die Wolfsburger Ausstellung eine Aufforderung zum intensiven Betrachten und auch: zum stetigen Infragestellen des Gesehenen, portioniert in einen Parcours durch kleinere Kabinette. In „Broca Re:Mix“ aus dem Jahr 2007 etwa werfen sechs sich drehende, analoge Karussell-Projektoren ihre Dias mit zahllosen Buchstaben und Zahlen an Boden und Wand, ein surreales Ballett, das man zu „verstehen“ versucht. Denn unweigerlich fängt man an, Begriffe lesen und Aussagen erfassen zu wollen, der Zufallsmechanismus aber bietet wenig Brauchbares an. Das Broca-Areal der menschlichen Großhirnrinde, zuständig für das Sprachvermögen, scheitert an dieser sinnauflösenden Beredsamkeit.

Kognitiv fassbar sind dagegen die Worte in der Installation „five planets“ von 2015. Nun sind es fünf verspiegelte Discokugeln, die fünf Namen bekannter Planeten in fraktalen und bewegten Schriftzügen auf Boden, Decke und den Wänden vorbeiziehen lassen. Man folgt mit den Augen, konzentriert lesend, dem Erscheinen von Jupiter, Mars oder Venus – und kann, wenn nicht ganz schwindelfest, in diesem entmaterialisiert psychedelischen Lichtraum von leichten Gleichgewichtsstörungen erfasst werden. Die metaphorisch kosmischen Rotationen wirken also durchaus körperlich.

Und wie sieht die neue Arbeit für das Kunstmuseum Wolfsburg aus? Das Berliner Haus der Kulturen rekonstruierte 2020 die Bildforschungen des Hamburger Kunst- und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866–1929), der in den 1920er-Jahren auf 63 Tafeln seinen Bilderatlas „Mnemosyne“ zu zeitübergreifenden visuellen Themen entwickelte. Für seine assoziativen Arrangements aus Kunstreproduktionen und trivialem Material nutzte er ein simples Pinnwandsystem.

Kuballs Zwei-Kanal-Videoinstallation „Making of Mnemosyne (after Aby Warburg)“ beobachtet in einer auf den Boden projizierten verlangsamten Nahaufnahme das manuelle, analytisch-synthetisierende Anordnen der Bilder. Ein Standbild zeigt jeweils Ausschnitte der fertigen Tafel. Aus zwölf Stunden Filmmaterial schnitt ­Kuball seinen Loop von 45 Minuten Länge, weiß der Wolfsburger Kurator Holger Broeker: die subjektiv autorisierte, zwangsläufig einschränkende Perspektive auf das universale Bildgedächtnis der Menschheit.

„Mischa Kuball. Referenz-Räume“: bis 19. 9., Kunstmuseum Wolfsburg

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