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Neue Koalitionen brauchen neue KürzelVon Wanderwegen und Sportgymnastik

Kommentar von Stefan Alberti

Bei veränderten Machtverhältnissen im Abgeordnetenhaus nach der Wahl in genau vier Monaten hätte das aktuelle Koalitionskürzel R2G ausgedient.

R2G gefällt nicht jedem – jedenfalls nicht bei einer Demo gegen eine Kneipen-Räumung im März Foto: Christian Mang

G enau vier Monate sind noch bis zur Abgeordnetenhauswahl am 26. September, in deren Schatten eine Bundestagswahl angesetzt ist. Vier Monate noch mit einer Koalition, die seit dem Dezember 2016 unter R2G läuft, kurz für Rot-Rot-Grün, also das Regierungsbündnis von SPD, Linkspartei und Grünen. Zu erfinden brauchte man das Kürzel damals nicht, bloß aus Thüringen zu übernehmen, wo seit Ende 2014 schon eine solche Farbkonstellation regierte.

Nur, dass dort statt der SPD die andere rote Partei am stärksten war. Die Thüringer waren bei Weitem nicht die Ersten mit einer Dreier-Koalition – das gab es schon 1990 in Brandenburg. Aber sie waren die Ersten, deren Bündnis abgekürzt so klang, als wäre man bei R2D2 und C3PO in einem alten „Star Wars“-Film gelandet.

Nach dem 26. September wird es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein neues Kürzel brauchen, weil sich im Abgeordnetenhaus mutmaßlich Kräfteverhältnisse oder Allianzen deutlich ändern werden. Denn werden die Grünen stärkste Partei, würden sie, so hat das ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch mehrfach gesagt, am liebsten mit den jetzigen Partnern weitermachen – bloß mit ihnen selbst vorne dran.

In Kürzel umgesetzt wäre das aber eben nicht G2R, in einfacher Umdrehung des jetzigen R2G, wie das vor einigen Wochen schon mal bei einer Diskussion bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu hören war. Denn fürs Kürzel gilt wie bei chemischen Formeln: Die Zahl hinter dem Buchstaben gibt an, wie viele es von ebenjener Sorte gibt – so wie H20 bedeutet, dass Wasser aus zwei Teilen Wasserstoff und einem Teil Sauerstoff besteht.

Nicht G2R, sondern GR2

G2R würde dementsprechend für ein Bündnis stehen, bei dem linke Grüne Schnappatmung bekämen – Kreuzbergs Noch-Bürgermeisterin Monika Herrmann etwa überkam dazu auf Twitter nach der IHK-Veranstaltung merklich das Schaudern. Denn zweimal G und einmal R hieße: Grün, Gelb und Rot, also eine grün geführte Ampelkoalition mit SPD – und der FDP.

Richtig für das von Jarasch angestrebte Bündnis mit SPD und Linkspartei wäre GR2 – eine G(rün)-Partei, zwei R(ot)-Parteien. GR2 klingt allerdings eher nach dem berühmtesten der französischen Fernwanderwege, dem GR20 auf Korsika, bloß so, als hätte einer die Null vergessen.

Bleibt die Frage: Wie kürzt sich was ab, wenn am 26. September doch die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Franziska Giffey vorne liegen sollte, trotz Abschieds von Ministerinamt und Doktortitel? Nach einem Weiter-so mit Linkspartei und Grünen klingt nicht, was Giffey zu zentralen Themen wie Sicherheit, Wohnungsbau und Enteignung sagt. Folglich tippen nun viele darauf, dass sie mit CDU und FDP zusammengehen könnte. Diese drei Parteien kommen zwar in der jüngsten Umfrage nur auf 45 Prozent der Stimmen – aber noch liegt ja auch die SPD selbst hinter den Grünen.

RSG hieße das dann für Rot-Schwarz-Gelb. Ein Kürzel, das die Welt bislang eher für „Radio Remscheid Solingen“ kennt, für die Rhythmische Sportgymnastik oder das Reinoldus-Schiller-Gymnasium in Dortmund und diverse Radsport-Gemeinschaften. Alles profaner als R2D2 in „Star Wars“, aber dafür natürlich auch friedlicher.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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