piwik no script img

Pellworm will Sterneninsel werdenAuf der Suche nach der Dunkelheit

Die nordfriesische Insel Pellworm liegt mitten im Wattenmeer – fernab von großen Lichtquellen. Jetzt will sie offiziell Sternenpark werden.

Verbesserungsfähig: Haus mit Außenbeleuchtung auf Pellworm Foto: Gernot Knödler

Pellworm taz | Draußen vor der Tür steht eine schwarze Wand. Ich sehe nichts, gerade so, als ob ich blind wäre. Das ist irritierend, fast ein Schock, da ich zuvor über die halbe Insel Pellworm getingelt bin auf der vergeblichen Suche nach der vollkommenen Dunkelheit.

Dass man überhaupt auf den Gedanken kommen kann, es gäbe hier irgendwo gar kein Licht, ist der Lage Pellworms geschuldet: mitten im nordfriesischen Wattenmeer, umgeben nur von ein paar Inseln und Halligen – verstreuten Außenposten der Menschheit. Das macht sie zu einem der dunkelsten Orte Deutschlands und qualifiziert sie für den Titel „Sternenpark“, den sie bei der International Dark Sky Association (IDA) beantragt hat.

Pellworm hat keinen Strand – der „Sternenpark“-Titel wäre für die Kurverwaltung ein Pfund, mit dem sie bei Touristen wuchern könnte und das zum Öko-Image der Insel beitragen würde.

Den Bewerbungsprozess begleitet der Osnabrücker Astronom Andreas Hänel. Für ihn ist es ein Herzensanliegen, weil es nur noch so wenige Orte gibt, wo der Nachthimmel in seiner ganzen Pracht zu sehen ist: nicht nur eine Unzahl an Sternen, sondern auch die Milchstraße und das Zodiakallicht. Es entsteht durch das Sonnenlicht, das von Staubpartikeln reflektiert wird, die um das Gestirn kreisen.

Begeistert vom Zodiakallicht

Bei einem Besuch im März hat Hänel das Zodiakallicht als pyramidenförmigen Schein am westlichen Himmel beobachten können. „Wenn man das sehen kann, muss es extrem dunkel sein“, schwärmt der ehemalige Leiter des Planetariums Osnabrück am Telefon. Als Mitglied der IDA unterstützt er Pellworms Bewerbung ebenso wie die der ostfriesischen Insel Spiekeroog und kommt deshalb immer wieder auf die Insel.

Hänel hat beeindruckt, wie dunkel es auf den beiden Nordseeinseln ist, weil er das in Deutschland nicht erwartet hätte. Dabei hat der Astronom reichlich Anschauung im Kopf. „Ich glaube, ich bin einer derjenigen auf dem Planeten, der die meisten Sternenparks angeschaut hat“, sagt er.

Für die Bewerbung Pellworms hat Hänel die Helligkeit des Nachthimmels gemessen und kam dabei auf die aus seiner Sicht erstaunliche Größenordnung 22 pro Quadratbogensekunde, womit ein sternengroßer Fleck des Himmels gemessen wird. Mit dieser Einheit werde eigentlich die Helligkeit von Sternen klassifiziert, sagt Hänel.

Die hellsten Sterne gehören zur Größenklasse sechs. Den Himmel über Hamburg schätzt Hänel auf 17. Deshalb überstrahlt das Licht der Großstadt auch die meisten Sterne bis auf ein paar Dutzend. Was den Metropolenbewohnern entgeht, zeigt sich auf Pellworm, wo 3.000 bis 4.000 Sterne zu sehen sind.

Nachthimmel als schützenswerte Ressource

Voraussetzung dafür ist eine mondlose Nacht bei wolkenlosem Himmel. Weil das nicht so häufig vorkommt, hat Oliver Jedath von der Pellwormer Sternengruppe einen Ausdruck des aktuellen Himmels zum abendlichen Treffen mitgebracht. „Position: Amt Pellworm, 54,5203°N, 8,6839°O“ steht auf dem Bogen. Gegen 22 Uhr müsste im Zenit der Große Wagen zu sehen sein, flankiert vom Drachen und vom Löwen.

Leider ist der Himmel bedeckt, aber die Sterne wären ja auch nur ein Bonus. Jedath, der aussieht wie ein Seebär, auch wenn er keiner ist, soll erklären, was Pellworm tut, um als Sternenpark anerkannt zu werden. Er ist eigentlich Projektmanager und aus dem Ruhrgebiet nach Pellworm gezogen. Auf der Insel gehört er zu einer Kerngruppe von einem halben Dutzend Engagierten, die versuchen, das Projekt Sterneninsel voranzutreiben.

Die Gemeindevertretung ist längst mit im Boot. Im Dezember 2019 hat sie eine Lichtleitlinie verabschiedet, die den Nachthimmel als „besonders wertvolle und schützenswerte natürliche Ressource“ anerkennt. Ziel ist es, die „erforderliche künstliche Nachtbeleuchtung nachhaltig und blendfrei einzurichten“.

Nur noch so hell wie unbedingt nötig: Pellworms Alter Hafen in der Dämmerung Foto: Gernot Knödler

In der Folge hat die Gemeinde 140 öffentliche Straßenlaternen umgerüstet. Die hohen Laternen am Hafen haben jetzt flache Köpfe mit vier Reihen LEDs, deren gelblich-warmes Licht sich in den Pfützen spiegelt. Das Licht streut nur wenig, sodass sich keine Lichtglocke über dem Hafen mit seinen zwei, drei Krabbenkuttern bildet.

Es klingt ein bisschen paradox, wenn Jedath sagt: „Dunkelheit ist etwas, wofür wir nichts tun müssen“ – nichts, außer auf übertriebene Beleuchtungsansprüche zu verzichten. Zur Illustration schaltet Jedath seine Stirnlampe von blendend Weiß auf Rot. Rot blendet nicht und lockt auch keine Insekten in die Falle. Sehen lässt sich trotzdem prima.

Die Lichtleitlinie schreibt vor, die UV- und Blauanteile im Licht ebenso zu begrenzen wie die Stärke des Lichts. Licht soll nur leuchten, wann und wo es notwendig ist und es soll gerichtet sein. Öffentliche Einrichtungen sollen diese Grundsätze binnen fünf Jahren verpflichtend umsetzen, für Privatleute wird das empfohlen.

Es klingt ein bisschen paradox, wenn Jedath sagt: Dunkelheit ist etwas, wofür wir nichts tun müssen – nichts, außer auf übertriebene Beleuchtungsansprüche zu verzichten

Viele Insulaner hätten das Projekt durchaus verstanden, sagt Bürgermeisterin Astrid Korth (parteilos). Manche sind sogar mit großem Ernst dabei. „Einer rief an, als fünf nach zehn noch das Licht an war“, erinnert sie sich.

Allerdings zeigt ein Rundgang mit Jedath durch den Hauptort Tammensiel, dass es gerade auf den privaten Grundstücken noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt: Da sind ganze Giebel ausgeleuchtet; Erdstrahler verzieren als Lichtfontänen in regelmäßigen Abständen die Fassaden, dort wo keine Fenster sind; leuchtende Kugeln liegen in Gärten, auch wenn sonst kein Lichtschein aus dem Haus dringt. „Das ist für mich so schlimm wie Schottergärten“, ärgert sich Jedath.

Als aus der Großstadt Zugezogener weiß Jedath den Himmel über Pellworm besonders zu schätzen. Sein inniges Verhältnis zu den Sternen sei ein Erbe seiner ostpreußischen Großmutter, die ihm Geschichten von den Sternen erzählt habe.

Deshalb versucht er nun einerseits seine Mitbürger davon zu überzeugen, dass sie sich nicht wesentlich einschränken müssen, um dem Himmel Geltung zu verschaffen, und er überlegt sich zusammen mit den anderen Mitgliedern der Sternengruppe, wie denn dieser Himmel erlebbar zu machen wäre.

Ausbildung zum Sternenscout

Zu den Ideen gehören spezielle Sitzgelegenheiten an besonders dunklen Orten der Insel. Denkbar wäre auch ein Sternenkieker-Kurs oder die Ausbildung zum Scout, der den Leuten den Himmel erklärt. Die Gruppe baue hierzu ihre Kontakte aus. „Wir müssen aber auch noch ein paar Überraschungen parat haben“, sagt Jedath

Als einen Ort besonderer Dunkelheit empfiehlt er die Nordermühle, laut Inselbroschüre ein „Zwickstellholländer aus dem Jahre 1652“, der kurz hinterm Deich auf einer Warft steht. An der Hauptstraße, die von Tammensiel zur Mühle führt, reiht sich streckenweise ein Haus und damit ein Licht ans andere.

Beim Blick vom Deich zurück ins Land verschwinden die meisten Lichter zwischen Büschen, Bäumen und Gebäuden. Anders auf dem Meer, wo freie Sicht herrscht zu den Lichtern der Halligen Hooge und Langeneß. Außerdem blinken zwei Leuchtfeuer und landwärts am Horizont im Gleichtakt Reihen von Windrädern. Nur hinter dem Deich, Blick streng Richtung Osten, ist gar kein Licht zu sehen, weil die wenigen Häuser hinter den Deichen der Köge verschwinden.

Doch die wenigen Lichter sind zwar störend, aber nicht entscheidend für den Genuss des Himmels, bei dem sich der Blick ja nach oben richtet.

Und das Streulicht zu ebener Erde ist nach Mitternacht so gering, dass derjenige, der aus dem Licht der Hotelbar ins Dunkle tritt, einen Schreck bekommt, weil er nichts sieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!