Ausstellung über Shoah-Überlebende: Neuanfang im Land der Täter
Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg zeigt Schicksale von Shoah-Überlebenden, die in der Nachkriegszeit in Deutschland blieben.
Passanten zwischen Trümmern der zerstörten Kieler Innenstadt, bezopfte Mädchen in der Schule, Frauen, die neben Flüchtlingsbaracken Wäsche aufhängen – es geht trotz aller Probleme aufwärts.
Diese Botschaft wollte die Schleswig-Holsteinische Landesregierung Anfang der 1950er- Jahre mit dem Mutmach-Film „Wo ein Wille ist“ verbreiten. Bei so viel Aufbruchstimmung störten diejenigen nur, die über Krieg, Gräueltaten und Verbrechen sprechen wollten. Darunter waren die Überlebenden der Shoah, die aus KZ, Verstecken oder dem Ausland kamen. Diese Menschen waren „Gerettet, aber nicht befreit“: So ist die aktuelle Sonderausstellung im Jüdischen Museum in Rendsburg betitelt.
„Das Besondere ist, dass wir Biografien vorstellen, die noch nirgendwo erzählt worden sind“, sagt Museumsleiter Jonas Kuhn. Die Idee entstand nach einer Ausstellung über die Reise des Flüchtlingsschiffs „Exodus“, das im Juli 1947 nach Palästina aufbrach. „Es gab großes Interesse an der Nachkriegszeit, und mich hat selbst überrascht, wie viele Aspekte noch nicht erforscht sind“, sagt Kuhn, der für die Ausstellung im Heidelberger Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland Hunderte von Akten sichtete.
Die Quellenlage sei aber generell schlecht – vor allem, weil die Akten nur die trockenen Tatsachen referierten. Häufiges Thema waren Versuche von Jüd*innen, vom deutschen Staat Wiedergutmachung zu erhalten – wobei sie gezwungen waren, Nazi-Begriffe wie „Mischling“ oder ihre Zwangsnamen zu verwenden. „Aber das sind formalisierte Schreiben, und wir versuchen herauszukriegen, wie es den Leuten ging“, sagt Kuhn.
„Gerettet, aber nicht befreit. Umfassende Forschung zu Überlebenden der Shoah in Schleswig-Holstein“: bis 30. 6., Jüdisches Museum Rendsburg. Das Haus ist geöffnet und kann virtuell per 3-D-Rundgang und physisch besucht werden. Ab 31. Mai ist der Besuch auch ohne Testnachweis möglich.
In einigen Fällen gelang das durch Tagebücher, Biografien oder Medienberichte, in denen die Überlebenden zu Wort kommen. Ihre Erinnerungen stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Erzählt werden Geschichten vom Willen, im Land der Täter*innen wieder heimisch zu werden, so wie Valeska Gert, die als Tänzerin im Berlin der 1920er-Jahre für Furore sorgte. Während der NS-Zeit lebte sie im Ausland und kehrte 1946 nach Deutschland zurück, fühlte sich in Berlin aber nicht mehr wohl. Sie zog nach Sylt, eröffnete in Kampen das Lokal „Ziegenstall“ und richtete es mit Stroh und Melkschemeln ein.
„Gäste sind wie Ziegen“, stand an der Wand ihrer Kneipe, „sie werden gemolken und meckern.“ Zurückhaltung war Gerts Sache nicht: Sie verlangte, gesehen zu werden: „Ich will leben, auch wenn ich tot bin.“
Auch präsentiert die Ausstellung Geschichten von Menschen wie Rudolf Katz, der die Nachkriegsgesellschaft mitgestalten und nach vorn blicken wollte. Katz, Jurist, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, wurde vom NS-Regime als Jude und SPD-Politiker verfolgt, also emigrierte er. 1947 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft zurück und war bis 1950 Justizminister in Schleswig-Holstein. Er schrieb an der Landesverfassung und am Grundgesetz mit und gehörte zu den ersten Mitgliedern des neuen Bundesverfassungsgerichts. Um den Staat schnell wieder funktionsfähig zu machen, erlaubte Katz auch vielen NS-Jurist*innen die Rückkehr in die Behörden.
Auffallen oder sich anpassen? Gehen oder bleiben? Diese Fragen stellten sich für diejenigen, die während der NS-Zeit aufgrund ihres Jüdischseins diffamiert worden waren. In Schleswig-Holstein hatte es seit dem 16. Jahrhundert jüdische Gemeinden gegeben, einige Orte erlaubten später als „Toleranzstädte“ die Ansiedlung jüdischer Familien. Rendsburg, die dänische Garnisonsstadt, gehörte dazu. Doch schon vor 1933 waren viele Gemeinden praktisch aufgelöst, viele Jüd*innen in größere Städte gezogen.
Daher waren viele Shoah-Überlebende, die das Kriegsende in Schleswig-Holstein erlebten, „Fremdarbeiter“ oder Vertriebene. Viele träumten von der Ausreise nach Palästina. Auch um den Täter*innen zu entgehen. Das Zitat eines Überlebenden skizziert die damalige Lage sehr treffend: „Als ich mich bei der Polizei anmelde, sitzt derselbe Beamte hinter dem Pult, der mir damals die Schlüssel abgenommen hat.“
Einer, der blieb, war Gyula Trebitsch. Der ungarische Filmproduzent wurde aus dem KZ Wöbbelin befreit, kam ins Krankenhaus in Itzehoe und eröffnete dort, kaum gesundet, zwei Kinos. Kurz darauf zog er nach Hamburg, wo er das Studio Hamburg mitgründete und mehr als 100 Spielfilme produzierte.
Online-Vortrag „Sehen wir uns wieder?“ über die Suche nach Angehörigen nach dem Zweiten Weltkrieg: Mi, 9. 6., 19 Uhr
Noch in Itzehoe hatte er ein Mahnmal für die NS-Opfer initiiert. Die im September 1946 eingeweihte Backsteinstele zählt zu den ersten Nachkriegs-Gedenkstätten in Deutschland. Das Mahnmal erscheint wie ein Spiegel für das Schicksal der Jüd*innen: Bereits 1947 gab es einen Anschlag auf die Stele, 1957 wurde sie in einen entfernten Winkel des Itzehoer Stadtparks versetzt – quasi unsichtbar gemacht. In den 1960er-Jahren dann schlossen die letzte jüdische Gemeinde in Schleswig-Holstein und das von Heinz und Ilse Salomon in Kiel geführte Büro der Jüdischen Wohlfahrtspflege.
Erst in den 1990er-Jahren entstanden, belebt durch Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion, neue Gemeinden im Land. Gleichzeitig wurde auch das Itzehoer Mahnmal neu entdeckt – und wieder im Zentrum aufgestellt.
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