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In den windigen Wipfeln des Wilden Waldes

Bis die Rodung akut droht, dauert es noch. Aber Wald­ret­te­r:in­nen wie Pony Hütchen bereiten sich schon auf Baumbesetzungen vor, wenn der Wilde Wald in Wilhelmsburg dem Bauprojekt Spreehafenviertel weichen soll. Die taz hat sie besucht

Ist entschlossen, den Wald zu retten: Pony Hütchen Foto: Jannis Große

Von Jannis Große

Pony Hütchen knotet Rebschnur um das Seil und hakt das Ende in den Karabiner an ihrem Klettergurt. Sie drückt sich mit den Füßen in einer zweiten Schlaufe nach oben und schiebt den Klemmknoten am Seil nach. Während sie so Stück für Stück nach oben klettert, werden die blühenden Sträucher am Boden immer kleiner. Den Trieben der Pappel über ihr kommt sie immer näher. Es ist Frühlingsanfang im „Wilden Wald“ in Wilhelmsburg.

Der Wald mit Weiden und Pappeln ist als Pionierwald nach der Sturmflut 1962 entstanden. In den kommenden Jahren soll er für ein Bauprojekt weichen: das Spreehafenviertel. Auf rund 20 Hektar will die städtische Entwicklungsgesellschaft IBA hier auf der Elbinsel ein neues Quartier bauen – im „Hamburger Drittelmix“. Zusammen mit dem Elbinselquartier und dem Wilhelmsburger Rathausviertel sollen so ab 2024 knapp 5.000 neue Wohnungen in Hamburg-Wilhelmsburg entstehen. 1.100 davon im Spreehafenviertel.

Ak­ti­vis­t*in­nen haben im März 2020 eine Kletterplattform gebaut, um den Wald zu schützen. Pony ist oben angekommen und setzt sich an die Kante. „Das Planfeststellungsverfahren läuft noch und die Waldretter versuchen, mit der Bürgerinitiative den Bau auf der bürokratischen Ebene zu verhindern“, erzählt sie. „Wir sind aber einigermaßen skeptisch, dass das was wird. Deshalb gibt es hier schon Plattformen und wir sind bereit, den Wald zu besetzen, wenn es notwendig wird.“

Pony ist 31 Jahre alt und heißt bürgerlich natürlich anders. Sie ist schwarz gekleidet, auf ihrem rechten Hosenbein ist ein Patch mit der Aufschrift „Stopp Ökozid“ genäht. Ein Schlauchschal dient ihr als Mütze. Das „Pappelheim“, so heißt die Plattform, besteht aus dicken Holzbalken, auf die dünne Latten genagelt wurden. „Ich bin circa einmal in der Woche hier“, erzählt sie. „Aktuell ist noch nicht der Zeitpunkt, wo wir hier dauerhaft sein müssen, um den Wald zu verteidigen“.

Nichts gegen Wohnungen

Mit einem Baubeginn ist hier nicht vor 2026 zu rechnen. Auch Rodungen wird es laut IBA in keinem Fall vor 2022 geben. Wenn es ernst wird, werden die Ak­ti­vis­t*in­nen den Wald mit Plattformen und ihren Körpern verteidigen, erzählt Pony. „Wenn jedes Auf-dem-Baum-Sitzen, kriminalisiert wird, finde ich es legitim, sich dagegen zu wehren und über andere Aktionsformen nachzudenken“, sagt sie gelassen. Es ist nicht ihre erste Aktion. Sie engagiert sich bei Extinction Rebellion und war auch im Dannenröder Wald aktiv.

Im Wind schwankt die Plattform in alle Richtungen, denn sie ist von oben abgehängt. Planen schützen vor Wind und Regen. In einer Ecke stehen ein Wasserkanister und eine Kiste mit Decken. In der Mitte der Plattform ist eine Hängematte gespannt, daran ist eine Matratze angelehnt. Rings um die Plattform sind bunte Glühbirnen in den Ästen zu sehen, die abends das „Pappelheim“ beleuchten können. Wenn man nach Süden schaut, sieht man unter sich den Ernst-August-Kanal und die ersten Häuser des Reiherstiegviertels. Richtung Norden kann man durch die kahlen Bäume die Straße am Deich sehen. Im Hintergrund hört man den Verkehr der umliegenden Straßen.

Der Wilde Wald

Seit 60 Jahren besteht der Wilde Wald in Wilhelmsburg als Auenwald mit Weiden und Pappeln. Bruchholz bleibt dort liegen und bietet Insekten und Vögeln Unterschlupf und Nahrung.

Der Wald soll dem Bauprojekt „Spreehafenviertel“ der IBA und 1.000 neuen Wohnungen weichen. Geplant sind eine „urbane Nachbarschaft“, Radwege und ein Kinderspielplatz.

Mit einem Bürgerbegehren wollte die Initiative Waldretter Wilhelmsburg im vergangenen Jahr erreichen, dass die Bezirksversammlung Mitte sich noch einmal mit der Rodung des Waldes beschäftigt. Die erforderlichen 6.200 Unterschriften hat das Begehren nicht erreicht.

Mit der Besetzung eines Verkehrskreisels machte die Initiative „Wilder Wald bleibt!“ am vergangenen Samstag auf die Rodung aufmerksam. Am 29. Mai ist eine Fahrradsternfahrt von bedrohten Naturräumen wie dem Wilden Wald und dem Vollhöfner Wald aus zum Rathaus geplant.

„Hierher kommen und auf den Baum zu klettern, im Sommer dort zu übernachten, das ist schon ein Naturerlebnis und Erholung. Und darum geht es ja auch ein Stück weit: den Wald als Biotop zu erhalten, weil er mitten in der Stadt ist. Hier sind ja immer Leute, die spazieren gehen.“ Unberührte Natur ist es aber nicht: Neben den Wegen liegt eine Menge Müll.

Im September 2019 wurde hier schon mal ein Baum einige Tage besetzt. Die „Wilde Gasse“ wurde dann von der Polizei umstellt, bis die Ak­ti­vis­t*in­nen herunterkamen. Danach wurde die Plattform abgerissen. Auch für das Pappelheim gab es Ankündigungen für eine Räumung, doch passiert ist bisher nichts. Die Plattform „Asen’ka“, die im Dezember 2020 entstand, wurde nach rund drei Monaten zerstört.

„Gegen die Wohnungen, die hier auf den Brachflächen gebaut werden sollen, haben wir gar nichts. Es sollen bitte Wohnungen gebaut werden und vor allem bitte günstige Wohnungen gebaut werden“, erzählt Pony, die selbst in einem Architekturbüro für Altbausanierungen arbeitet. „Es gibt in Hamburg aber auch Leerstand, es gibt leerstehende Industrieflächen. Man muss dafür nicht das letzte Fleckchen Natur nutzen.“ In Zeiten der Klimakrise ist der Erhalt von Waldflächen für die Ak­ti­vis­t*in­nen auch eine Frage des Klimaschutzes.

Gelassen gleitet sie am Seil zurück auf den Boden. Das Seilende wickelt sie um einen Ast, den Klettergurt verstaut sie in ihrem Rucksack. Dann schwingt sie sich auf ihr Fahrrad und lässt die Plattform wieder unbesetzt zurück.

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