Protest gegen Notbremse

In Berlin demonstrieren Tausende gegen das Bundesgesetz für die Corona-Notbremse. Vor der Entscheidung am Donnerstag im Bundesrat ist das Votum Berlins noch offen

Trommeln, Krach schlagen, dagegen sein: bei der Demo am Mittwoch Foto: Foto: Christian Mang/reuters

Von Erik Peter

Man möge sich „mindestens für eine Stunde an die Regeln halten“, also Masken tragen und Abstand halten, „damit die restlichen Leute hier herkommen können“. So lautet der durchs Megafon verbreitete Tipp von Heinrich Fiechtner, einem ehemaligen Abgeordneten der AfD Baden-Württemberg. Die verschwörungsideologischen Proteste gegen das Bundesgesetz für eine Corona-Notbremse am Mittwochmorgen hatten da gerade auf Höhe des Sowjetischen Ehrenmals auf der Straße des 17. Juni begonnen. Das im Bundestag beschlossene Gesetz sieht bundesweite Maßnahmen ab einer festgelegten Inzidenz von Corona-Infektionen vor. Der Berliner Senat wusste am Mittwoch noch nicht, ob er dem Gesetz am Donnerstag im Bundesrat zustimmen wird.

Gegen 10.30 Uhr, eine halbe Stunde danach, drohte die Polizei den De­mons­tran­t*in­nen „aufgrund ihres Fehlverhaltens“ bereits mit der Auflösung. Mehr als 2.000 Be­am­t*in­nen waren im Einsatz, sie streiften durch die Menge, sprachen Menschen ohne Maske an, einige führten sie ab. Gleichzeitig erweiterte sie die Versammlungsfläche sukzessive vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule, um Mindestabstände zu ermöglichen. Laut der Polizei schlossen sich 8.000 Menschen den Protesten an, womöglich waren es schlussendlich noch einige mehr.

Die Menge war bunt gemischt: Hippies mit Trommeln, Christ*innen, einige mit roten „Freie Linke“-Fahnen. Einer von ihnen, ein ehemaliger Bioladenbesitzer, sagte im Gespräch mit der taz: „Durch unser Auftreten sind die Demos nicht als rechts abzutun.“ Die „Sammlungsbewegung“ sei bundesweit vernetzt und fühle sich in ihrer Kritik an den Coronamaßnahmen von der Linkspartei nicht mehr vertreten. Kurz darauf gab ein Genosse von ihm auf einer kleinen Lkw-Bühne das Mikrofon an den AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller weiter – einer „Partei, die ich nicht mag“. Müller bedankte sich und sagte: „Das Wichtige ist: Wir stehen hier als Menschen.“ Später sorgte Müller dafür, dass der Querdenken-Szeneanwalt Markus Haintz mit seiner Kamera in den Bundestag kam.

Anderen reichte das Stehen oder Tanzen zu christlicher Popmusik oder Helene Fischer nicht. Der Protest-Performer Captain Future führte am Vormittag eine größere Gruppe an, um durch den Tiergarten Richtung Reichstag vorzustoßen, scheiterte aber an der Polizei. Kurz darauf bewegten sich etwa 600 Menschen mit einem Spontanaufzug durchs Botschaftsviertel im Tiergarten. Die ganz große Dynamik, um zum Sturm auf den Bundestag anzusetzen, blieb aber aus. Gegen 12.30 Uhr verkündete die Polizei die Auflösung der Demonstration wegen Verstößen gegen die Schutzmaßnahmen. Behelmte Polizeitrupps machten sich bereit, die Wasserwerfer fuhren vor.

Ein großer Teil der Demonstrierenden zog daraufhin zum Brandenburger Tor. In den ersten Reihen an den Absperrungen sammelten sich viele erkennbare Rechtsextremisten, manche von ihnen mit Schutzbewaffnung wie Taucherbrillen oder Handschuhen. Mehrfach kam es dann im Gehölz des Tiergarten zur Eskalation. Umherstreifende Polizeieinheiten, die immer wieder Menschen herauszogen, wurden angegriffen. Teilweise flogen Flaschen und Steine, teilweise musste sich die Polizei vor der aufgebrachten Menge zurückziehen. Aus dieser schallte „Widerstand, Widerstand“ oder auch die deutsche Nationalhymne. Über Stunden wiederholten sich die Bilder. Immer wieder setzten die Be­am­t*in­nen Pfefferspray ein, 150 Menschen wurden bis Nachmittag verhaftet.

Die ganz große Dynamik mit Sturm auf den Bundestag blieb aus

In der Mobilisierung hervorgetan hatte sich insbesondere die Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand um Anselm Lenz, die vor mehr als einem Jahr mit den sogenannten Hygienedemos die Coronaproteste begonnen hatte. Schon vergangenen Dienstag, als die Bundesregierung den Gesetzentwurf für eine Bundes-Notbremse beschlossen hatte, organisierte die Gruppe spontane Proteste mit wenigen Hundert Teilnehmer*innen. An diesem Tag warnte Lenz nun davor, dass Deutschland „ein drittes Mal in Schutt und Asche“ gelegt werde.

Dem Protestaufruf von Lenz und Co hatte sich in den vergangenen Tagen das gesamte Spektrum der Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen angeschlossen. Anders als bei den Protesten gegen die Verabschiedung des veränderten Infektionsschutzgesetzes im November bekannte sich diesmal auch Ober-Querdenker Michael Ballweg, ebenso wie Verschwörungserzähler Ken Jebsen oder das rechtsextreme Compact-Magazin um Jürgen Elsässer.

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