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Der Hausbesuch„Ich bin keine Wunderheilerin“

Nach der Wende durfte Uta Latarius nicht mehr als Lehrerin arbeiten, heute ist sie Heilpraktikerin im Spreewald.

Im Jahr 2000 eröffnete Uta Latarius ihre erste Praxis als niedergelassene Heilpraktikerin in Lübben Foto: Rainer Weisflog

Eigentlich kommt sie aus der Stadt, schon lange aber liebt sie das Land. Und dort will Uta Latarius auch bleiben.

Draußen: Es ist das letzte Haus in einem Brandenburger Dorf im Spreewald, dahinter beginnt der Wald. Das leuchtend gelb gestrichene Wohnhaus ist samt Nebengebäuden ein ehemaliges Fischerhaus. Zwei Hunde und Katzen gibt es. Hühner auch, die Glucke sitzt mit ihrer Brut im Stall. Im Sommer nisten in der Schmiede ihres Mannes Schwalben. Vor der Tür steht eine keck lächelnde Hexe aus Holz. „Die hab ich mir selber gekauft.“ Hexe, Hexerei, Hexenjagd – solche Gedanken verbinde sie damit.

Drinnen: Das Wohnzimmer ist winzig, aber behaglich und in der Küche ist alles aus Holz. Nebenan im ehemaligen Stallgebäude hat sich Latarius eine Praxis eingerichtet. Eine Liege, ein großer Schreibtisch. Das WC verbirgt sich hinter einer Art gotischer Klostertür. Im Fenster steht eine Fee aus Porzellan. „Die soll Wünsche erfüllen.“

Herkunft: Eigentlich stammt Uta Latarius aus der Stadt, aus Halle an der Saale. Die Mutter war Erzieherin, ihr Vater arbeitete als Zimmermann. Er fühlte sich überall von der Stasi verfolgt, auch nach der Wende noch. „Er war ein schwer zu ertragender Mensch“, sagt sie.

Schikanen: Auch ihr Bruder litt unter dem DDR-Regime: Er hätte Karriere als Berufssportler im Fechten machen können, wenn er auf Besuche seitens der Westfamilie (des Bruders der Mutter) verzichtet hätte, erzählt Latarius. Das wollte er nicht. Er lebt seit Jahren im Westen und „noch heute hasst er den ganzen Osten“.

Nur weg: Latarius wollte ebenfalls aus Halle weg. Deshalb ging sie, nachdem sie ihre Ausbildung zur Unterstufenlehrerin beendet hatte, auch in den Westen. Nach Bielefeld. Aber die Stadt gefiel ihr nicht, sie zog zurück in die ehemalige DDR, in ein kleines Dorf im Spreewald. In Lübben, der Kreisstadt dort, fand sie eine Anstellung im Krankenhaus.

Klinikerfahrung: 30 Jahre lang hat Latarius in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Krankenhaus in Lübben gearbeitet. Als Erzieherin. Ihre DDR-Ausbildung zur Unterstufenlehrerin war nach der Wende im Westen nicht anerkannt worden. „Ich machte damals eine Zusatzausbildung, in der man die Grundkenntnisse des Schwesternberufs lernte.“ Es war eine Synthese zwischen Pädagogik und krankenpflegerischer Arbeit. Sie hat die Arbeit in Lübben sehr gerne gemacht.

Die Liebe: Verliebt hat sie sich in der Zeit auch, hat geheiratet, vier Kinder bekommen. Sie ist ins Haus ihres Mannes gezogen, das einer alteingesessenen Familie. Waschechte Sorben, wie sie im Spreewald leben, waren sie allerdings nicht. Ein Hugenotte war durch die Gegend gereist und hatte sich in eine Spreewälderin verliebt. Den Namen Latarius müsse man sich frankophon denken.

Ein Anliegen: Latarius sieht die Entwicklung im Gesundheitswesen kritisch. Vor allem die Gesundheitsreform von 2005 habe das Klinikwesen auf schlechte Gleise gesetzt. „Immer mehr Bürokratie, man muss immer mehr schreiben und dokumentieren und hat kaum noch Zeit für die Patienten.“ Die Wirtschaftlichkeit sei wichtiger geworden als das Wohl der Kranken. Ein Ausweg schienen Latarius noch die naturheilmedizinischen Verfahren, weil dort der Mensch im Mittelpunkt stehe.

Das andere Konzept: Uta Latarius war aber schon vor der Gesundheitsreform auf die Idee gekommen, Heilpraktikerin zu werden. Denn ihre Tochter wurde chronisch krank und die klassische Medizin war am Ende. Es blieben nur alternative Heilmethoden. Da entschied sie sich, selbst eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu machen. „In Cottbus bin ich auf die Heilpraktikerschule, das ist ja nicht so weit.“ Nach zwei Jahren hat sie die Prüfung gemacht. Sie bewältigte den Stoff neben Beruf und Hausarbeit. Ihre vier Kinder sind heute zwischen 12 und 24 Jahren alt.

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Ausbildung: Eine Heilpraktikerschule kostet zwar Geld, bringt der angehenden Naturheilerin jedoch vor allem die Zulassung. „Danach fängt es erst richtig an. Danach muss man sich die für einen selbst geeigneten Methoden aneignen.“ Sie empfindet es als Glück, dass sie bei einem Kollegen in Erkner zwei Jahre lang assistieren konnte, um so die wichtigsten Verfahren zu lernen. Immunmodulationen findet sie einen guten Therapieansatz, den sie gerne anwendet.

Eigene Praxis: Im Jahr 2000 eröffnete sie dann ihre erste Praxis als niedergelassene Heilpraktikerin in Lübben. Das Inventar übernahm sie von einem Kollegen aus Westdeutschland. 25.000 Mark musste sie dafür zahlen. Ein Risiko, zumal die Gebühren für heilpraktische Behandlungen nicht üppig sind. Aber es kamen mit der Zeit genug Leute, erzählt sie.

Latarius' Praxis in Pretschen Foto: Rainer Weisflog

Ein Frauenberuf: Die meisten heilpraktisch Behandelnden sind Frauen. „Man braucht eigentlich einen gut verdienenden Mann, um es sich leisten zu können“, sagt sie. Ihr Mann ist gelernter Schmied, arbeitet jedoch heute in einem großen Betrieb in der Nähe von Lübben. Obwohl er eine ausgebildete Fachkraft sei, bekomme er kaum mehr als den Mindestlohn. Die älteste Tochter, die als fertig ausgebildete Maschinenbauerin in Württemberg gerade angefangen hat, verdient dort als Berufsanfängerin bereits das Doppelte. „Da stimmt doch etwas nicht“, meint Latarius, aber deswegen wegziehen komme nicht infrage. „Wir wollen hier bleiben.“

Landleben: „Ich lebe gerne auf dem Dorf. So direkt am Wald, die Natur war mir immer besonders wichtig, ich füttere jetzt die Waldvögel.“ In ihrem 300-Einwohner-Dorf gibt es am Dorfanger immerhin eine Bäckerei, einen Hofladen, eine Gaststätte, ein Yogakursangebot und eine Kirche. „Leider ist derzeit coronabedingt fast alles zu, seit einem halben Jahr trifft sich hier niemand mehr.“ Im Hofladen und in der Bäckerei kann man aber noch einkaufen.

Neuer Anlauf: Ihre Praxis in Lübben lief gut. Als aber nach dem Tod der Schwiegereltern im Haus mehr Platz war, beschloss sie, ihre Praxis dort aufzumachen. Sie kündigte bei der Psychiatrie sowie die Praxisräume und fing im Dorf an. Das ging, weil Latarius in einem Nachbarort auch eine neue Stelle fand. Nun arbeitet sie vormittags als Lehrerin in einem Kinderheim. Es sind 27 Kinder, sie kann den Unterricht völlig frei gestalten; die Arbeit macht ihr Spaß.

Corona: Die neue Stelle ist ein Glück, denn Heilpraktikerinnen müssen für ihre Dienstleistungen teils noch nach Gebührenordnungen abrechnen, die seit Jahrzehnten nicht angepasst wurden. Die Pandemie mache alles zudem schwieriger. Die Stimmung sei umgeschlagen gegen die alternativen Heilmethoden. Geplant sei, bestimmte Verfahren, die Heilpraktikerinnen machten, zu verbieten.

Balance: Sie ist zufrieden, wenn an einem Nachmittag zwei bis drei Ratsuchende kommen. „Ich will hier doch keinen McDonald’s-Betrieb.“ Manche kommen, „weil sie bei den heute notorisch überlasteten Ärzten keinen annehmbaren Termin bekommen. Bei den Heilpraktikern muss niemand Schlange stehen.“ Denn die meisten bezahlen ihre Rechnungen selbst.

Unrealistisch: Es kommen vor allem Menschen, die austherapiert sind. Allerdings hätten sie oft unrealistische Vorstellungen, sagt Latarius „Sie sind meine letzte Hoffnung!“ sei so ein Satz, den sie dann höre. Das empfindet sie mitunter als bedrückend: „Ich bin keine Wunderheilerin. Ich kann nur die Methoden anwenden, die ich gelernt habe.“

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