Slawische Minderheit in Deutschland: Die Sorgen der Sorben

„Hat unsere Kultur noch eine Chance?“, fragt der Bürgermeister eines sorbischen Dorfes in der Lausitz. Nur mit einer frei gewählten Volksvertretung.

Typisch für das sorbische Kernland: Ein Wegkreuz, hier bei Crostwitz. Bild: imago/epd

NEBELSCHÜTZ/BAUTZEN taz | „Das wäre ein Motiv!“ Thomas Zschornaks Herz hüpft. Da hat der Bürgermeister schon den Fußballplatz mit dem Wembley-Rasen präsentiert, das Gemeindehaus, die Krabat-Wasserspiele, das Dorflädchen, das Backhaus und die Gastwirtschaft.

Doch es fehlte dieses eine Bild, das alles zusammenfasst, was er beweisen will: dass sein Dorf Njebjelcicy, auf Deutsch Nebelschütz, und das Volk der Sorben in der Lausitz eine lichte Zukunft haben. Die Kicker der SG Nebelschütz, die die Hälfte der sorbischen Nationalmannschaft stellen, trainieren heute leider nicht.

Und da stehen in der milden Abendsonne plötzlich drei Generationen Sorben auf der Wiese und blicken zur großen Tafel hinauf, die den 1,7 Millionen Euro teuren Neubau des Kindergartens verkündet. Dahinter thront auf einem Hügel die Kirche, darüber spannt sich der Himmel tiefblau. Was für ein Motiv! Als hätte Krabat, der gute sorbische Zauberer, nachgeholfen. Wie ein Regisseur ruft Zschornak der Familie auf Sorbisch etwas zu, die im Gehen begriffen ist. In Nebelschütz ist Sorbisch Alltagssprache, nicht nur bei den Alten.

„Drei Generationen, Großmutter, Tochter und Enkel!“, ruft Zschornak und weist stolz ins Rund, wo weiße Häuser stehen mit Spalier und wo ein Bächlein plätschert. „Ich bin aber die Urgroßmutter!“, protestiert die alte Dame lachend auf Deutsch. Und da beginnen die Glocken zu läuten. Thomas Zschornak strahlt.

130 Dörfer verschwunden

Der Eifer des Bürgermeisters kann allerdings nicht vergessen machen, dass jenseits dieser Idylle die Zukunft der Sorben weniger rosig aussieht. Von 60.000 Sorben in Brandenburg und Sachsen ist stets die Rede. Geschätzt hat sie schon lange keiner mehr, gezählt sowieso nicht. Abwanderung, Assimilierung und das Verschwinden von über 130 sorbischen Dörfern und Weilern, die seit Jahrzehnten von Braunkohlebaggern gefressen wurden, bedrängen das kleinste slawische Volk, das in der Lausitz sesshaft geworden ist.

Das Volk: Die Sorben, die zu den Westslawen gehören, sind das kleinste slawische Volk und leben in der brandenburgischen Niederlausitz, wo sie sich Wenden nennen, und in der Oberlausitz in Sachsen, ihre Zahl wird auf 60.000 geschätzt. Die sorbische Sprache, die nicht mehr von allen Sorben gesprochen wird, unterteilt sich in Obersorbisch und Niedersorbisch.

Der Verein: Die Domowina (Heimat) ist die Dachorganisation sorbischer Vereine und Verbände und gilt als die Vertreterin sorbischer Interessen.

Die Volksvertretung: Der Serbski Sejmik (Sorbisches Parlament) soll nach dem Willen einer Initiativgruppe als demokratisch legitimierte Vertretung die Domowina als Interessenvertretung ablösen. (thg)

Mit den Händen zu greifen ist die Bedrohung schon auf der Hinfahrt. Der Weg führt über verschlungene Alleen; Kirchtürme, Wegkreuze, Felder und Wälder ziehen vorbei. Doch an jeder Bergkuppe lugen am Horizont die dampfenden Kühltürme vom Kraftwerk Boxberg hervor. Einst das größte Kraftwerk der DDR, heute Vattenfall-Besitz – ein künstlicher Vulkan in sonst so lieblicher Landschaft.

Das Volk der Sorben stirbt aus? Nicht in Nebelschütz. Um 1,4 Prozent ist die Einwohnerzahl seit 1990 gestiegen, erzählt Zschornak. Der 49-Jährige redet mit Mund und Händen und übertönt frohgemut die Glocken, die immer noch so heftig läuten, als verkündeten sie einen neuen Papst. Ist es das Angelusgebet? Zschornak rätselt selbst. Endlich verstummt der barocke Turm. Der Küster, der gerade die Kirche abschließen will, lüftet das Geheimnis. Eine Frau ist gestorben. Es war das Totengeläut.

Es gibt Krabatpils

Zschornak drängt zur Eile, er will noch das einstige LPG-Gelände zeigen, wo er einen Baustoff- und Recyclinghof einrichten ließ. Hier türmen sich Dachziegel, Pflastersteine, Balken, Elektroschrott. Alles lässt sich wiederverwerten, versichert Zschornak und erklimmt eine Halde. Das ist die Zukunft: regional, dezentral, überschaubare Strukturen – wie geschaffen für die Sorben. Warum Tomaten auswärts kaufen, wenn sie hier wachsen? Selbstbestimmt und energisch das anpacken, was einem der Herrgott vor die Füße gelegt hat – so könnte das Motto von Nebelschütz lauten. Es klingt nur wenig anders: „Za plotem njeschowaj so! – Pack zu!“ Das hat Zschornak in den Giebel des Gemeindehauses hacken lassen. Es könnte auch ein Weckruf an die Sorben sein.

In einem Pausenraum hinter dem Hühnerstall zischt Krabatowe Piwo, Krabatpils. Zschornak zündet sich eine Zigarette an. Das sorbische Volk brauche endlich eine frei gewählte Vertretung, die mit Mandat gegenüber Bund, Ländern und Landkreisen all die Dinge regeln kann, die die Sorben betreffen – Schulpolitik, Kulturpolitik, Energiepolitik, Finanzen. Daher ist Zschornak einer von 150 Initiatoren des Serbski Sejmik, zu Deutsch sorbisches Parlament, der für eine gewählte Volksvertretung eintritt.

Thomas Zschornak, der Wjesnjanosta, der Bürgermeister, wirkt jetzt wie auf Kohlen. Er nimmt einen kräftigen Schluck. Krabat, durch das Buch von Otfried Preußler berühmt geworden, blickt mit weißen Haaren und Bart streng von der Flasche. Das Bier sei den magischen Kräften dieses sorbischen Faust gewidmet, steht auf dem Etikett. Gibt sie das Getränk auch weiter?

Auch Tillich ist Sorbe

Heute werde von Staatssekretären, Ministerialdirigenten und Dezernenten in Dresden, Potsdam und Berlin über die Köpfe der Sorben hinweg entschieden, sagt Zschornak. Die Sorben konnten noch keinen neuen Tagebau verhindern. Auch deswegen der Serbski Sejmik.

Das sorbische Siedlungsgebiet schmilzt. Sechs Orte sollen abgebaggert werden, darunter die sorbischen Dörfer Rowno, Mulkecy und Miloraz, die zum Kirchspiel Schleife, sorbisch Slepo, gehören. Insgesamt sollen 1.500 Einwohner weichen. Das Kirchspiel, vierzig Kilometer von hier, ist ein Zentrum sorbischer Kultur. Und der Sorbe Stanislaw Tillich, Ministerpräsident von Sachsen, hat den Freistaat schon vor zwei Jahren zum „Energieland Nr. 1“ proklamiert – auf Kosten sorbischer Dörfer. Eigentlich müsste CDU-Mitglied Zschornak jetzt einen Kloß im Hals haben. Nein, zu Tillich lieber kein Wort.

Aber gibt es mit der „Domowina“ nicht schon eine Vertretung? Zschornak winkt ab. Die Domowina ist ein Dachverband verschiedener sorbischer Vereine: schwerfällig, intransparent, von Funktionären befehligt. Niemals könne ein Verein wie eine frei gewählte Volksvertretung agieren. Freie Wahlen sind Zschornaks Ziel.

Die Abstimmung könnte gleichzeitig mit einer Bundestags- oder einer Europawahl laufen. In den Wahlkabinen der sorbischen Siedlungsgebiete lägen die Stimmzettel, die jeder ausfüllen dürfe, der sich als Sorbe fühlt. Keine Überprüfung, keine Registrierung. Dann könnte der Serbski Sejmik zusammentreten. Erstmals hätten die Sorben ein Parlament. Die Zeit der Fremdbestimmung wäre vorbei.

Verbandsfunktionäre

Die Bierflaschen sind leer, die Luft ist kühl, am Himmel funkeln die Sterne. Die Sage erzählt, dass sich Krabat eines Abends zu August dem Starken aufmachte. Weil er in Eile war, ließ er die Kutsche samt Pferden über die Wolken reiten. Dabei überquerte er auch Nebelschütz. Thomas Zschornak steht wie ein Recke im Hof. Eigentlich müsste er jetzt eine Glocke ergreifen, sich wie Krabat in die Lüfte erheben und den Sorben zurufen: „Sind wir ein Volk? Dann brauchen wir auch eine Vertretung!“ Thomas Zschornak geht nach Hause.

Für David Statnik sind die Leute aus der Initiativgruppe „Serbski Sejmik“ nichts als Unruhestifter. Der Domowina-Vorsitzende sitzt im Sorbischen Haus in Bautzen, deutsche, sächsische und sorbische Fahnen davor. Der 30-Jährige – Jeans, Hemd in Weißrosa, Kinnbärtchen – ist ein smarter Typ. Die Idee mit der Volksvertretung bügelt er ab. „Es gibt Anfeindungen, dass wir nicht legitimiert sind“, räumt er ein.

Dabei vertrete die Domowina 7.200 Mitglieder. Das seien zwar nicht alle 60.000 Sorben, aber mehr, als manche Volkspartei in Sachsen Mitglieder hat. Die Sorben waren und sind in Vereinen organisiert und die Domowina ist das schützende Dach. Niemand könne gezwungen werden, sich zu irgendetwas zu bekennen, auch nicht zum Sorbentum. Wie soll man da wählen? Statnik wirkt wie das jugendliche Oberhaupt einer Siedlung von 60.000 Einwohnern auf einer Fläche von siebzig mal hundert Kilometern. Nur gewählt wurde er von ihnen nicht.

Jeder kann Sorbe werden

Sicher, es gebe Schwierigkeiten, sagt Statnik, Abwanderung, Identitätsverlust, Assimilierung. Zudem werde es bei der Finanzierung sorbischer Einrichtungen im nächsten Jahr wohl eine Lücke geben. In Brandenburg ist manch schriller Ton zu hören, seitdem das Siedlungsgebiet der Sorben um einige Gemeinden erweitert werden soll. Würde ein sorbisches Parlament, eine sorbische Partei irgendetwas ändern? Dass die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein, etwa gleich stark wie die Sorben, erstmals in ihrer Geschichte eine Landesministerin stellt, zeige doch nur, dass Vertreter von Minderheitenparteien wesentlich öfter auf der Oppositionsbank landen als in der Regierung.

Außerdem gibt es auch Positives. In Cottbus werden Straßenbahnstationen nun auch auf Sorbisch ausgerufen, viele öffentliche Toiletten sind inzwischen zweisprachig. „Die ganze Diskussion ist rückständig.“ Die Sorben werden in den Landesverfassungen von Sachsen und Brandenburg berücksichtigt. „In der Protokollnotiz zum Einheitsvertrag sind wir namentlich genannt, wir werden wahrgenommen!“ Statnik legt die Hände übereinander, der Ehering glänzt. „Wir können uns nicht alle zehn Jahre was Neues ausdenken!“ Kurzum – die Domowina ist der Anzug, der den Sorben passt.

Statniks Vorgänger, ein Getränkehändler, hat sich am Ende seiner Amtszeit für ein sorbisches Parlament ausgesprochen, damit nicht mehr länger an den Sorben vorbeiregiert wird. Statnik, seit zweieinhalb Jahren im Amt, hat die Diskussion um eine sorbische Interessenvertretung im März auf der Hauptversammlung der Domowina offiziell für beendet erklärt. Seine Schlussfolgerung: Die Domowina müsse gestärkt werden. Für Statnik hat das recht angenehme Folgen. Als erster Domowina-Vorsitzender erhält er jetzt ein Salär.

Das sorbische Volk sei wie ein Schiff, das dem Sturme trotzt, hatte Statnik den Delegierten mit auf den Weg gegeben. Doch manchmal drohen die Gefahren eben von der Landseite. Am 1. Oktober gab der zuständige Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien bekannt, dass Vattenfall den Tagebau Nochten erweitern kann. Das traditionsreiche sorbische Kirchspiel Schleife wird von den Baggern halbiert. Die Domowina hat dagegen natürlich protestiert. Wie immer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.