: Der Wein betrinkt uns
BORDEAUX Das ist guter Wein, die sandgestrahlte, verkehrsberuhigte Altstadt ein Beispiel gelungener Stadtplanung und einen Besuch zum Schauen, Trinken und Schlemmen wert
■ Besuch im Chateau: Im Château Haut-de-Lerm in der Region Entre Deux Mers können neben Weinverkostung auch geführte Wanderungen gebucht werden. Vorher reservieren unter Tel. 00 33 (0) 6 86 89 60 93, 33540 Saint-Martin-de-Lerm, www.haut-de-lerm.fr Armelle Falcy betreibt im Médoc das Château du Taillan. Auch hier kann man Verkostung, Besichtung und Essen buchen. CEA Château du Taillan, 56 avenue de la Croix, 33320 Le Taillan-Médoc, Tel. 00 33 (0) 5 56 57 47 00. Unter dem Label „lesmedocaines“ haben sich vier Winzerinnen zusammengeschlossen. www.lesmedocaines.com
■ Die Organisation für Bordeaux-Wein: Das Conseil interprofessionnel du Vin de Bordeaux (CIVB) besitzt im Zentrum von Bordeaux eine empfehlenswerte Weinbar mit wechselndem Angebot. www.bordeaux.com/us
■ Weitere Infos: www.bordeaux-tourisme.com
Diese Reise wurde vom CIVB unterstützt.
VON EDITH KRESTA
Es ist dieser schwere tanninhaltige rote Bordeaux, den Oskar mit Kennermiene im Mund schwenkt, kostet, nach versteckten Duftnoten aussaugt. Vanille, Brombeere, ein Hauch von Zimt. Wein ist Handwerk, ist Kunst, ist Geschmack, Lebensstil, Luxus. Etwas für Könner, Kenner, Lebemänner. Wie Oskar, der Connaisseur unserer Reisegruppe ins Bordeaux.
Und für Chinesen. Die fallen scharenweise im Bordeaux ein, um Grand Cru und Cru Bourgeois zu erobern und aufzukaufen. Mit echten Gucci-Täschchen holpern geschäftige Chinesinnen auf High Heels übers Kopfsteinpflaster der verkehrsberuhigten Altstadtstraßen von Bordeaux. China ist längst der Topabsatzmarkt für Bordeauxwein, gefolgt von Deutschland. Schon die Römer handelten von hier Wein, und noch heute ist Bordeaux das bedeutendste Handelszentrum Südwestfrankreichs. Beispielsweise das Handelshaus Millésima am Platz Bordeaux: 2.500.000 Flaschen Magnum, Grand Cru, Jéroboams und Imperiales lagern hier und werden an private Weinliebhaber weltweit versandt.
Während sich Lustmolch Oskar am hellen, sandgestrahlten Place Sant Pierre, wo einst die Pilger vor der Kathedrale auf ihrem harten Weg nach Santiago darbten, mit Austern verlustiert, bewundern wir die riesige, rechteckige Wasserpfütze, in der sich die Gebäude der alten Renaissancebörse am Ufer der Garonne spiegeln. Hier am „reflecting pool“ suchen Touristen, Kinder, Flaneure und Jogger Kühlung im Wassernebel, der an und ab aufwallt. Oder sie planschen im knöchelhohen Wasser dieses die Gebäude auf der anderen Straßenseite reflektierenden Riesenpools, den der Landschaftsarchitekt Michel Corajoud plante und der Brunnenarchitekt J. M. Llorca baute.
Allenfalls ein eiliger Fahrradfahrer scheucht in der fast autofreien Altstadt Flaneure und Shopper zur Seite. Auf den schattigen Plätzen spielen Kinder, Touristen rasten, Einheimische palavern. 1994 wurde das groß angelegte Projekt zur Stadtsanierung und Verkehrsberuhigung vorgestellt. Die historischen Gebäude der vollständig erhaltenen Altstadt wurden saniert, die Front zur Garonne restauriert und Neubauten wie die Cité Mondiale du Vin ins Stadtbild eingefügt. Das Hauptziel: die Innenstadt wieder mit der Garonne zu vereinigen. Die alten Lagerhallen am Ufer sind teilweise abgerissen oder zu Outlets umgestaltet, Radwege und Promenaden wurden gebaut und die Industriebrachen der rechten Garonneseite mit neuer Bebauung versehen.
Die Stadtsanierung von Bordeaux ist gelungene Stadtplanung: Bordeaux steht heute an dritter Stelle der lebenswerten Städte Frankreichs. Mit ihren 60.000 Studenten und den Familien, die zurück ins attraktive Stadtzentrum ziehen, ist sie eine junge Fahrradstadt vor alter Kulisse. Die unter Bürgermeister Alain Juppé herausgeputzte Stadt erhielt als Ensemble 2007 den Status Unesco-Weltkulturerbe. Oskar meint, dass vor allem die Foie gras den Weltkulturerbe-Status verdient hätte.
Château Margaux, Château Lafite-Rothschild, Château Haut-Brion, Château du Taillan, Château Haut-de-Lerm – die französischen Winzer um Bordeaux im Médoc, Saint-Émilion, Entre Deux Mers waren keine schlichten Weinbauern, sondern Schlossherren. Dementsprechend prätentiös ist ihr Produkt, traditionsbewusst ihr Label. Dass sich heute auch Frauen erfolgreich unter den Winzern tummeln wie im Château du Taillan im Médoc oder im Château Haut-de-Lerm in Entre Deux Mers ist manchmal eine Frage der Erbfolge, immer jedoch eine Frage der Leidenschaft.
Christelle Gonthier führt zusammen mit ihrer Schwester Valéry das Château Haut-de-Lerm. Ihren Job als Managerin hat sie an den Nagel gehängt, um im Familienbetrieb ökologischen Wein zu produzieren und nebenbei den regionalen Tourismus mit Gutsbesichtigungen und Winzerspeise à la Bordeaux zu bereichern. Die Foie gras, die wir schlechten Gewissens schlemmen, schmeckt ausgezeichnet. Oskar wäre lieber zu einem klassischen Weingut nach Saint Émilion gefahren. Er vermisst den Holzgeschmack in Christelles Biowein aus Stahlfässern.
Einige der Châteaux können wie Château Haut-de-Lerm von Touristen besucht werden. Verkostung von Wein und regionalen Produkten inklusive. So hat auch Oskar seinen Lieblingswein gefunden. Ein samtiger Roter aus 50 Prozent Cabernet Sauvignon und 50 Prozent Merlot Traube, Jahrgang 1998. Er schlotzt ihn zufrieden zur ersten und einzigen Zigarre auf dieser Reise. Eine Havanna. Selbstverständlisch.
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