Boom des Genres „True Crime“: Verbrechen als Unterhaltung
„Confronting a Serial Killer“ heißt eine neue Serie aus dem Genre „True Crime“. Manche feiern dieses, andere warnen vor der Glorifizierung von Tätern.
Wahre Verbrechen, wohin das Auge blickt. Ob als Podcast, in Buchform oder filmisch aufbereitet: Spannend aufbereitete Geschichten realer Mord- und Vermisstenfälle sind erfolgreicher denn je. Bei Netflix spuckt die Suche nach „True Crime“ über 50 Titel aus, und jeden Monat gibt es Nachschub, vom Streamingdiensten genauso wie von den Öffentlich-Rechtlichen.
Das Angebot reicht von fiktionalisierten Aufbereitungen („The Pembrokeshire Murders“, „The Investigation“, „Das Geheimnis des Totenwaldes“) über Dokumentationen („American Murder: Die Bilderbuchfamilie“, „Höllental – Der Fall Peggy Knobloch“) bis hin zu Mischformen („Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“). Mit „Confronting a Serial Killer“ ist beim Streamingdienst Starzplay gerade eine weitere, fünfteilige Serie angelaufen.
Als Auslöser des aktuellen Booms wird gemeinhin der Podcast „Serial“ genannt, mit dessen erster Staffel sich die US-Journalistin Sarah Koenig 2014 den 15 Jahre zurückliegenden Mord an einer Schülerin in Baltimore vornahm, für den ein Mitschüler verhaftet worden war. Ein Jahr später sorgte bei Netflix die Serie „Making a Murderer“ für Aufsehen, die von einem aus Wisconsin stammenden Mann handelte, der 18 Jahre unschuldig wegen Vergewaltigung im Gefängnis saß, bevor er schließlich für einen Mord erneut verurteilt wurde.
Die detailreiche Recherche der Fälle und die hochwertige Umsetzung der Produktionen, die sie weit abheben von etwa „Aktenzeichen XY … ungelöst“, dürften eine Erklärung für den Erfolg gewesen sein. Die Infragestellung der offiziellen Ermittlungsergebnisse ist eine andere. Die Aufmerksamkeit für „Serial“ hatte zur Folge, dass der Mordfall noch einmal neu aufgerollt wurde; nach „Making a Murderer“ ging im Weißen Haus eine Petition mit fast 130.000 Unterschriften ein, die eine Begnadigung des Verurteilten Steven Avery forderte. Doch so sehr das Genre von manchen Fans als verlängerter Arm der Justiz oder Alternative zu staubtrockenem Journalismus gefeiert wurde, so sehr beklagen andere den Hang zu Spekulation oder das Ausblenden von Fakten zugunsten eines Narrativs.
Regisseur Joe Berlinger
Für Regisseur Joe Berlinger, der außer „Confronting a Serial Killer“ gerade auch die Reihe „Verschwunden: Tatort Cecil Hotel“ (Netflix) an den Start brachte und sich seit Jahren mit wahren Justiz- und Kriminalfällen beschäftigt, ist der Erfolg von True Crime jedenfalls kein neues Phänomen, wie er in einem per Videotelefonat geführten Interview betont.
„Ich bin mir gar nicht sicher, dass wir uns heute mehr als früher für wahre Verbrechen interessieren. Schon in den fünfziger Jahren gab es jede Menge Groschenhefte, die sich mit realen Fällen und Detektiven beschäftigten. Und im 19. Jahrhundert konnte man – zumindest in den USA – Eintrittskarten für öffentliche Hinrichtungen kaufen“, sagt der Filmemacher, der auch Truman Capotes „nichtfiktionalen“ Roman „Kaltblütig“ als Beispiel anführt.
„Ich glaube, unser Interesse an Kriminalität war schon immer da, es gehört zur menschlichen Natur. Verändert hat sich nur, wie wir unsere Zeit verbringen. Statt Zeitungsartikel oder Bücher zu lesen, konsumieren wir Geschichten über Verbrechen nun eben als Streaming-Produktionen.“
In „Confronting a Serial Killer“ geht es um einen der weniger bekannten, aber dafür umso mörderischeren Serientäter des 20. Jahrhunderts. Sam Little wurde 2012 für die Morde an drei Frauen zwischen 1987 und 1989 sowie 2018 für einen weiteren Frauenmord verurteilt. Insgesamt konnten ihm seither rund 60 weitere Morde zugeordnet werden, womöglich hat er seit den siebziger Jahren sogar mehr als 90 Frauen umgebracht. Ende 2020 verstarb er in einem Gefängnis in Südkalifornien.
Keine Gefahr der Identifikation
Das True-Crime-Genre steht immer auch im Verdacht, Straftäter zu sehr zu Protagonisten zu stilisieren oder gar zu glorifizieren. Der Vorwurf ist auch Berlinger nicht neu, er wurde etwa gegen seinen Spielfilm „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ erhoben, in dem Hollywood-Schönling Zac Efron den Serienmörder Ted Bundy spielte, auch wenn der Regisseur ihn eher als Lehre für jüngere Generationen verstanden haben will: „Ich möchte nicht nur meinen Töchtern vermitteln, dass nicht jeder automatisch vertrauensvoll ist, der gutaussehend, charmant und weiß ist.“
Bei „Confronting a Serial Killer“ besteht nun nicht wirklich die Gefahr, dass man sich mit dem titelgebenden Verbrecher identifiziert oder irgendeine Form von Glamour aufzieht. Im Zentrum der Serie steht nämlich die Journalistin und Autorin Jillian Lauren, die für ein (bis heute unveröffentlichtes) Buchprojekt Kontakt mit dem Inhaftierten aufnahm, mit Besuchen und Telefonaten sein Vertrauen gewann und ihn zum Reden brachte. Durch die häufig schwer zu ertragenden Tonbandaufnahmen ist Little in der Serie präsent, doch zu sehen ist er nicht. Und noch mehr als auf der Frage, wie oder warum er all diese Frauen erstickt hat, liegt der Fokus auf den Opfern.
Überlebende und Angehörige kommen zu Wort, und nicht zuletzt Laurens beharrlichem Nachfragen ist es zu verdanken, dass unzählige ungeklärte Mordfälle nun als gelöst gelten können. „Ich wollte auf keinen Fall, dass bei uns der Mörder mehr Raum einnimmt als die Opfer“, beteuert Berlinger mit Blick auf einen weiteren Vorbehalt, der häufig gegen True Crime erhoben wird.
„Confronting a Serial Killer“, fünfteilige Serie beim Streamingdienst Starzplay
So sehr sind diese Geschichten häufig von den Persönlichkeiten der Täter fasziniert, dass etwa seit „Making a Murder“ Touristenströme im Manitowoc County auf den Spuren von Avery unterwegs sind und in Milwaukee Führungen durch den Schwulenkiez angeboten werden, um auf den Spuren von Jeffrey Dahmer zu wandeln, der dort in den Achtzigern seine überwiegend homosexuellen Opfer fand. „Wir haben bewusst viel Zeit mit den Familien der Opfer verbracht. Und auch auf drastische Bilder der Tatorte oder Ähnliches verzichteten wir bewusst“.
Probleme des Justizsystems
Tatsächlich gelingt es Berlinger mit seiner insgesamt recht langatmig geratenen Serie aufzuzeigen, dass Littles Verbrechen durch ein riesiges, systemisches Problem begünstigt wurden. Dass im US-Justizsystem, aber auch allgemein in der Gesellschaft Frauen häufig ignoriert und allein gelassen werden, vor allem wenn sie Sexarbeiterinnen und/oder People of Color sind, macht „Confronting a Serial Killer“ unmissverständlich klar. Immer wieder kam der Täter Little deswegen davon, selbst wenn er des Mordes verdächtigt wurde und vor Gericht stand. „Manche Mordopfer sind toter als andere“, fasst es Jillian Lauren vor der Kamera zusammen. „Hübsche weiße Collegestudentinnen sind am wenigsten tot. Schwarze Prostituierte sind die Totesten.“
Dem Hauptdilemma, das ihrem Genre inhärent ist, entkommt allerdings auch diese Serie nicht. Denn so sehr sich Berlinger bemüht, nicht ins Reißerische abzurutschen: Er und seine Protagonistin, die noch ihre eigenen Gewalterfahrungen aufarbeitet, inszenieren die Dynamik zwischen Killer und Ermittlerin, die an „Das Schweigen der Lämmer“ erinnert, eben auch als eine abgründige Melodramatik. Viel mehr noch als um die Wahrheit geht es bei True Crime am Ende schließlich vor allem um eins: Unterhaltung, inszeniert in der dokumentarischen Form.
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