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„Nicht mehr nur Kassandra sein“

Gemeinsam mit Extinction Rebellion startete der Heimathafen Neukölln eine Kampagne, die nach dem Ressourcenverbrauch in der Kultur fragt. Ein Gespräch mit der Initiatorin Julia von Schacky

Julia von Schacky ist Mitbegründerin des Theaterkollektivs Heimathafen Neukölln und seitdem in der künstlerischen Leitung des Theaters tätig Foto: Annabell Sievert

Interview Tom Mustroph

Let’s Panic steht seit Samstag auf einem Banner an der Fassade des Heimathafens Neukölln. Das Aufziehen des Banners war der Beginn einer Kampagne, in der Berliner Theaterinstitutionen zusammen mit den Klimaaktivisten von Extinction Rebellion den eigenen CO2-Fußabdruck erst ermitteln und dann verringern wollen. „Wir wollen nicht mehr nur Kassandra sein, sondern ins Handeln kommen“, beschreibt Initiatorin Julia von Schacky vom Heimathafen Neukölln, das Anliegen.

taz: Julia von Schacky, was genau ist am Samstagmittag im Heimathafen geschehen?

Julia von Schacky: Wir haben die Theaterebellion ausgerufen.

Was genau passierte dabei?

Das beeinaltete eine Rede von uns und von Extinction Rebellion. Dann wurde ein Banner an der Fassade ausgerollt. Darauf steht „Let’s Panic, Kulturwandel statt Klimawandel“. Und es gibt eine rote Lichtinstallation als eine Art Paniksignal. Es gab auch eine Videoprojektion am Abend davor. Wir verstehen die Fassade als Teil eines Mahnmals. Außerdem gab es eine Fassadenperformance von XR. Sie haben sich als Tiere verkleidet und sind einen langsamen Tod gestorben, als „Die-in“. Dann kamen die Red Rebels.

… also die ganz in Rot gekleideten Figuren, die urspünglich von der Straßentheatertruppe „The Invisible Circus“ entwickelt wurden und seit Längerem als starkes Zeichen bei XR-Protesten dabei sind …

Die Red Rebels sind in Begleitung einer Bratschistin ins Theater geschritten und haben es gewissermaßen in Besitz genommen. Es geht uns um einen Perspektivwechsel im Theater.

Welche neuen Perspektiven sollten Theater einnehmen?

Sie sollten aus dem safe space herauskommen, in dem man immer nur reagiert. Es geht darum, nicht mehr nur Kassandra zu sein, sondern auch ins Handeln zu kommen. Gerade gibt es auch eine von der Bundeskulturstiftung in Auftrag gegeben große Untersuchung zur CO2-Bilanz von Theatern. 19 Institutionen bundesweit machen mit, in Berlin sind das Schaubühne und das Konzerthaus. Die Ergebnisse sollen bald veröffentlicht werden. Mit der Agentur, die das gemacht hat, haben wir bereits Kontakt aufgenommen. Es geht darum, die Situation seriös zu erfassen und zu schauen, was die größten Hebel sind. Das sind dann wahrscheinlich Energieversorgung und Heizung. Auch Anreise dürfte bei Theatern mit vielen Gastspielen ein Punkt sein.

Was bedeutet das in der Zukunft? Sollten dann Künst­le­r*in­nen mit dem Fahrrad statt dem Flugzeug anreisen oder wird man verstärkt mit lokalen Künst­le­r*in­nen und weniger mit internationalen Gästen arbeiten?

Erst einmal geht es darum, diese Eigenschau überhaupt zu machen, andere Theater dafür zu gewinnen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Aber natürlich wird es auch unbequeme Fragen aufwerfen, die es zu diskutieren gilt. Aber es geht auch darum, die Ebene der Politik zu betreten und zu sagen: Wie soll denn Berlin klimaneutral werden? Wie kann das funktionieren? Bei diesem politischen Teil, bei diesem Netzwerk, sind wir inspiriert von der Koalition der freien Szene. Ich fand es beeindruckend, was es gebracht hat, wenn man zusammensteht und gemeinsam Vorschläge und Forderungen einbringt.

Und jetzt geht es darum, eine solche Art von Netzwerk, das ja zu einigen neuen Förderprogrammen und zu einem tieferen Verständnis bei der Politik über die freien Künste geführt hat, um die Problematik des Klimawandals zu erweitern?

Genau. Momentan können Theater ja ohnehin nicht spielen, diese ganzen Ressourcen kann man nutzen. Theater haben Werbeflächen, haben Technik, haben Mitarbeiter.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Extinction Rebellion zustande gekommen?

Ich habe die Neuköllner Ortsgruppe konkret angeschrieben. Sie sind noch relativ neu, und was uns gut gefällt, ist auch, dass sie dezentral arbeiten. Es geht nicht von oben nach unten, sondern es ist eine Grassroots-Bewegung und ist trotzdem global aufgestellt. Inzwischen ist daraus eine eigene AG „Theaterrebellion“ entstanden bei XR. Es geht auch darum, die Ak­ti­vis­t*in­nen zu unterstützen mit unserer Infrastruktur.

Die Red Rebels auf dem Weg in den Heimathafen Neukölln Foto: Verena Eidel

Nun steht XR bei manchen ja in der Kritik. Als wie radikal, als wie aggressiv haben Sie sie erlebt?

Gar nicht. Es ist sehr partizipativ, es wird viel auf Kommunikationen und gerechte Redezeiten geachtet. Gleichzeitig gehört ziviler Ungehorsam zu ihrem Ansatz. Aber das liegt ja daran, dass man schon vor 20, 30 Jahren wusste, was gegen den Klimawandel getan werden muss. Es passierte aber nichts, die Situation hat sich weiter verschärft. Es hat eben nicht ausgereicht, brav in der Fußgängerzone Zettel zu verteilen.

Wie ungehorsam will der Heimathafen werden? Mein Eindruck ist ja, dass die darstellenden Künste in der letzten Zeit immer gehorsamer geworden sind.

Ja, das stimmt. Es geht nicht darum, ohne Sinn und Verstand ungehorsam zu sein, auf keinen Fall. Es geht vor allen darum, etwas anzustoßen und gemeinsam darüber zu sprechen. Was sind wir bereit zu tun? Und was sind die Forderungen an die Politik? Momentan sind wir hier auf der Neuköllner Schiene aktiv, mit der Neuköllner Oper, 48 Stunden Neukölln und dem Kulturamt Neukölln, aber auch das Atze Theater möchte sich beteiligen. Aus unserem ersten Treffen kam der Vorschlag, dass man in alle Theatertickets in Berlin ein Ticket der BVG inkludieren kann. Aber auch die Energieversorgung muss aus 100 Prozent erneuerbaren Energien stammen und die Umstellung auf energiesparende Technik vorangetrieben werden. Ich habe auch schon überlegt, wie sinnvoll es sein könnte, Fördergelder für Theaterproduktionen in die Kompensation der Klimabilanz zu stecken. Das sind alles Überlegungen, die es nun zu prüfen gilt.

Das würden Sie machen: Produktionsgelder für, sagen wir, Solaranlagen auf dem Dach oder Grünpflanzen an der Fassade zu verwenden?

Wir wären auf jeden Fall bereit, das zu machen. Aber man muss sich natürlich anschauen, was wir überhaupt allein stemmen können. Die Lösung steht ja am Ende dieses Prozesses. Aber klar ist, die Zukunft des Theaters ist nicht gesichert, wenn wir alle Ressourcen für morgen damit verballern, heute Theater zu machen. Es braucht jetzt erst mal einen Haltepunkt. Und das ist überhaupt der Impuls der ganzen Aktion: einmal innehalten und schauen, was wir hier machen.

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