Grenzenloser Hass

Ein syrischer Blogger hat aus seiner Bremer Wohnung online einen libanesischen Popstar bedroht. Das Amtsgericht Bremen verurteilte ihn zu neun Monaten auf Bewährung

Die libanesische Sängerin Nancy Ajram 2014 auf einem Festival in Tunis. Foto: Mohamed Messara / dpa

VonLotta Drügemöller

„Bis zum 6. Februar musst du zahlen. Sonst wirst entweder du getötet, Nancy, oder dein Mann und eines deiner Kinder.“ 1.500 Menschen sahen diese Drohung im Januar 2020 live auf Facebook, viele weitere kamen später dazu. Wazeem S. sitzt bei der Aufnahme in seiner Wohnung in Bremen; die Frau, an die er sich im Video richtet, lebt aber in einer ganz anderen Welt: Sie ist ein Popstar aus dem Libanon.

Ob Nancy Ajram von den Drohungen je etwas mitbekommen hat, ist gar nicht klar. Irgendjemand aber, der Arabisch spricht und es gut mit Nancy meinte, hat das Drohvideo bei der Bremer Polizei angezeigt. Am Dienstag wurde der Fall vor dem Amtsgericht verhandelt.

Viele Fälle von Hasskriminalität im Internet landen nicht vor Gericht. Viele würden gar nicht zur Anzeige gebracht, schreibt die Polizei. 31 Fälle sind für 2019 verzeichnet. Die meisten davon werden der politisch motivierten Kriminalität zugeordnet – links oder rechts. Das Video von Wazeem S. passt nicht in diese Kategorien. Der Bremer Fall um Hass im Netz spielt eher in Syrien und vor allem im Libanon, wo laut UN-Flüchtlingsrat auf 5,5 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen 865.000 geflüchtete Sy­re­r*in­nen kommen.

Hintergrund ist ein gewaltsamer Tod: Nancys Mann Fadi el-Hachem hat Anfang 2020 in der Villa der Familie in Beirut den Syrer Mohammad al-Mousa erschossen, mit 16 Schüssen. Notwehr hieß es – al-Mousa sei ein Einbrecher gewesen. Für S. dagegen ist es Mord: al-Mousa habe zuvor als Gärtner bei der Promifamilie gearbeitet und nur sein Gehalt eingefordert – nach vielen ähnlichen vergeblichen Versuchen.

S. sieht in der Tötung vor allem eines: eine anti-syrische Stimmung im Libanon. „Es war Vorsatz“, klagt S. im Video. „Fadi dachte, er sei nur ein syrisches Insekt, das macht er platt.“ Ein Schuldeingeständnis fordert der Blogger von der Sängerin und ihrem Mann – und 75 Millionen syrische Pfund (damals etwa 130.000 Euro) für die Familie des Getöteten. Ansonsten würden sie sterben.

S. ist nicht verwandt mit dem getöteten Syrer. Cousins von al-Mousa hatten ihn um Hilfe gebeten: S. ist Journalist und Blogger mit einer gewissen Reichweite. 2015 ist er aus Syrien geflüchtet; Angekommen ist der Mann Mitte 40 aber nicht in Bremen. Er spricht kein Deutsch und hat keinen Job, leidet unter gesundheitlichen Problemen.

Der Tag der Videoaufnahme war „ein unglücklicher Tag“ für S., so nennt das die Verteidigung. Zwei seiner eigenen Cousins seien kurz zuvor bei einem Angriff auf Idlib getötet worden, erzählt S. in seiner persönlichen Erklärung vor Gericht. „Ich war nicht ich, ich war außer mir.“ In dieser Lage hätte ihn der Hilferuf der Cousins des Getöteten erreicht. Dann sei noch ein Nachbar vorbeigekommen, mit Alkohol. „Das hat mich erst recht schwindelig gemacht“, heißt es in der Erklärung. „Es kann sein, dass ich nicht die richtigen Wörter ausgesucht habe.“

Im Video stecken Bitterkeit und patriotischer Pathos, die mit dem Tod al-Mousas kaum etwas zu tun haben. „Wir haben genug Assad-Opfer in ­Idlib. Jetzt werden wir auch noch außerhalb unseres Landes getötet“, sagt S. „Du wirst erfahren, was Syrien ist.“ Und: „Syrien“, die sehr flüssige Dolmetscherin stockt kurz, „ja, hier sagt er so ungefähr, dass Syrien das Zentrum der Erde ist.“

Die Drohungen richten sich teils an Fadi el-Hachem, vor allem aber an die Sängerin. Es spricht offenbar ein enttäuschter Fan: „Wir alle schwören, wie schön du bist“, erklärt S. und schwärmt wortreich von ihren Haaren, ihren Fuß- und Fingernägeln.

S. will sich später in anderen Beiträgen von seinen Todeswarnungen distanziert haben. Außerdem argumentiert die Verteidigung, dass S. der Sängerin nicht selbst gedroht habe – er habe die Drohungen der Familie nur weitergegeben, als warnender Bote. Bei einem Teil der Aussagen ist diese Lesart möglich: „Nancy, du musst wissen, dass die Familie des Märtyrers nicht schweigen wird“, sagt er.

S. sagt aber auch: „Fakt ist, dass ich jetzt eine klare Drohung von mir an dich gebe.“ Auch ein Unrechtsbewusstsein lässt sich aus dem Video lesen: „Du kannst Anklage erheben“, fordert er die Sängerin auf. „Aber Deutschland würde mich nicht rechtlich verfolgen für eine Tat, die nicht in diesem Land passiert ist.“ Schließlich ließen sich einige Zitate sogar als Aufforderung zum Lynchmord interpretieren: „Wenn niemand [in einem Monat] umgebracht würde, dürftest du sagen: Alle Syrer sind kaputt und verkaufen nur Gerede.“

Das Gericht verurteilt S. am Ende zu neun Monaten Freiheitsstrafe; das Urteil wird zur Bewährung ausgesetzt. Strafmildernd akzeptierte die Staatsanwaltschaft die Distanzierung in späteren Videos. In Haft muss S. also nicht. Die Folgen von Hass im Netz trägt er dennoch: Fans der Sängerin fluteten nach seinem Video seine Social-Media-Präsenz mit Drohungen. „Ich habe Angst, auf die Straße zu gehen“, sagte Wazeem S.