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Die Bekloppten von Marl

Zum dritten Mal veranstaltet die Vereinigung der Vertragsspieler ein Trainingscamp für arbeitslose Kicker. Dort können sie sich fit halten – Hoffnung auf eine Anstellung haben die wenigsten

AUS MARL HOLGER PAULER

Marl im nördlichen Ruhrgebiet. Im Waldstück „Die Haardt“ liegt ein kleiner Rasenplatz. Riesige Bäume, dahinter die Westfälischen Kliniken für Psychiatrie. Kinder toben, schreien, unterbrochen von Anweisungen ihrer Trainer. 50 Jugendliche im Alter von 6 bis 16 verbringen hier ihre Sommerferien – Fußball spielend. Doch eine Gruppe auf der linken Platzhälfte scheint nicht wirklich dazuzugehören. Ein gutes Dutzend erwachsener Fußballer läuft bei sengender Hitze über den Platz. Pässe spielen, Zweikämpfe, Torschuss. Die Anweisungen ihres Übungsleiters sind laut und deutlich: „Andere Seite“, „in den Rücken gespielt“. Pause. Die Spieler nehmen am Fußballcamp für vereinslose Fußballer teil. Der Ort: die Fußballschule des ehemaligen Schalkers Ingo Anderbrügge. Gastgeber ist die Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV). „30 Spieler sind momentan ohne Verein, wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, sich gemeinsam fit zu halten“, sagt Ulf Baranowsky, Sprecher der Spielergewerkschaft.

Baranowsky nimmt selbst am Training teil. „Ich fülle die Gruppe auf, sonst sieht es doch sehr mager aus.“ Sechs Fußballer sind nicht gerade viel. In den vergangenen Jahren sei es ähnlich gewesen. Und die Spieler? Eher die zweite oder dritte Garde. Salif Keita und Abdou-Nassirou Ouro-Akpo waren im vergangenen Jahr noch für Zweitliga-Absteiger Rot-Weiß Oberhausen aktiv. Tobias Zellner spielte für den Süd-Regionalligisten SC Feucht. Daniel Samorey war Ersatztorhüter bei Rot-Weiß Erfurt.

Das Trainingscamp der VdV findet zum dritten Mal statt. Früher in der Sportschule Wedau in Duisburg – doch die sind wegen der World Games belegt. Jetzt also in Marl. „Das Ambiente ist hier eher noch schöner“, sagt Baranowsky . Die Unterkunft in der Fußballschule ist eher solide. Ausgemusterte Räume der Westfälischen Kliniken. 50er-Jahre-Plattenbau. Immerhin können die Spieler die Einrichtungen auf dem Klinikgelände benutzen: Schwimmbad oder Sauna.

„Eigentlich sind wir schon ziemlich bekloppt“, lacht Daniel Samorey. Seit gut zwei Wochen ist er ohne Verein. „Eine gute Sache“ sei das Trainingscamp. „Ich habe es satt, einfach nur durch den Wald zu laufen, zu Hause kenne ich jede Wurzel.“ Dann schon lieber mit den „Bekloppten“ spielen. „Bei Rot-Weiß Erfurt wurden nach dem Abstieg 33 von 36 Spielern abgegeben“, sagt Samorey. Er als Torwart sieht kaum Chancen. „Im Profibereich ist alles besetzt.“ Samorey geht offensiv mit seiner Arbeitslosigkeit um. „Klar ist das nicht schön, aber was habe ich zu verlieren?“, fragt er. Das Pendeln zwischen Training und den Fluren der Arbeitsagentur soll kein Dauerzustand sein. „Ich muss in die Öffentlichkeit. Mich zeigen.“

Seine Mittrainierenden sind da zurückhaltender. Salif Keita zum Beispiel. Auf dem Platz ist er impulsiv, grätscht, schießt, schreit. Außerhalb des Platzes: Kein Kommentar. Nach dem Abstieg der Oberhausener in die Regionalliga stand Keita plötzlich ohne Vertrag da. Die Clubs müssen sparen. Verträge haben kurze Laufzeiten. „Seit der Kirch-Krise im Jahr 2003 arbeiten die Vereine nur noch mit Verträgen, die für die Erste und Zweite Liga gelten, weil es da auch noch sichere Fernseh- und Werbeeinnahmen gibt“, so Baranowsky. Für die Spieler psychologisch und finanziell eine schwierige Situation. „Die Jungs, die hier sind, haben vielleicht vier, fünf Jahre in der Zweiten oder Dritten Liga gespielt. Ausgesorgt haben die noch lange nicht.“

In zwei Wochen beginnt die Regionalliga, eine Woche später starten die Bundesligen. Nicht mehr viel Zeit. Trainer Peter Anders hält viel von dem VdV-Angebot: „Die Spieler sind fit, könnten problemlos ins laufende Vereinstraining einsteigen.“ Der Ablauf: drei bis vier Tage die Woche. 90 Minuten am Morgen. Danach gemeinsam Mittagessen. Das Spiel mit dem Ball steht im Vordergrund. „Konditionell müssen die Jungs selbst was tun“, so Anders. Und: „Die Jungs freuen sich wie die Kinder, wenn sie mit dem Ball spielen können.“

Beim Spiel vier gegen vier siegt die Mannschaft mit den grünen Leibchen. „Gestern war es andersrum“, sagt Anders. Den Schlusspunkt setzt Salif Keita. Der ehemalige Spieler von Oberhausen, Hannover 96 und Union Berlin macht den besten Eindruck. Kommende Woche darf er vorspielen. Wo, wollen weder Keita noch VdV-Sprecher Ulf Baranowsky verraten.

Ob es nächste Woche im Camp weitergeht, ist auch noch nicht sicher. „Wir müssen schauen, ob noch Interesse besteht“, sagt Baranowsky. Schade wäre es schon. „Man hat sich an die Gruppe gewöhnt.“ Aber die Spieler sollen ja irgendwie unterkommen. „Die Situation ist schon schizophren.“

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