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Beschiss beim Film

Der auch auf dieser Seite hochgerühmte NDR-Dokumentarfilm „Lovemobil“ ist eine Fälschung. Auch unser Autor wurde reingelegt – schon zum zweiten Mal

Elke Lehrenkrauss hat die Menschen im Glauben gelassen, dass alles wirklich so passiert ist, wie es gezeigt wird. Dies ist keine ästhetische, sondern eine moralische Entscheidung

Von Wilfried Hippen

Ich wurde reingelegt! Zusammen mit vielen andern, die den Film „Lovemobil“ von Elke Lehrenkrauss gesehen, über ihn geschrieben, ihn in Jurys mit Preisen ausgezeichnet und in Fernsehredaktionen als Dokumentation abgenommen und gesendet haben. Denn obwohl der Anschein erweckt wurde, dass die Filmemacherin zwei Jahre lang Prostituierte in Wohnmobilen an niedersächsischen Landstraßen mit der Kamera begleitete, stellt sich nun heraus, dass viele Szenen inszeniert wurden, dass die Protagonistinnen zum Teil Darstellerinnen sind und dass die angeblichen Freier zum Teil Bekannte der Regisseurin sind.

„Indem Regisseurin und Kameramann so lange und intensiv mit den Protagonistinnen gearbeitet haben, wurden sie so vertraut miteinander, dass es in vielen Einstellungen so natürlich und intim zugeht, als wäre da niemand mit einer Kamera mit im Raum gewesen“, schrieb ich in meiner Kritik am 5. Dezember 2019 auf dieser Seite. Und ich war mit meinem Lob nicht allein. „Lovemobil“ räumte bei Festivals und Wettbewerben viele Preise ab: Neben dem Deutschen Dokumentarfilmpreis bekam er den Friedenspreis des unabhängigen Filmfests von Osnabrück und gleich zwei Preise beim Filmfestival Braunschweig. Dort war ich selber bei der Preisverleihung anwesend und auf der Bühne wurde gerühmt, wie im Film die Realität mit einem zugleich klaren und emphatischen Blick eingefangen worden sei.

Elke Lehrenkrauss hat sich gerne so feiern lassen, bis nun ein Rechercheteam der NDR-Redaktion „Strg_F“ herausfand, dass das Filmteam nicht nur geduldig Realität dokumentierte, sondern diese auch nachinszenierte. Der Leiter der NDR-Redaktion „Dokumentation und Reportage“ Dirk Neuhoff sagt in einem Interview für „NDR Aktuell“, er fühle sich getäuscht, weil Elke Lehrenkrauss „nie dem Eindruck entgegengetreten ist, dass das, was wir sehen, echt ist“.

An gleicher Stelle verteidigte die Filmemacherin ihre Methode, dokumentarische Elemente mit fiktiven zu vermischen, weil es ihr so gelungen sei, „eine viel größere Realität zu schaffen“. Doch es geht hier ja gar nicht darum, dass die Realität wahr, aber nur die Kunst wahrhaftig sein kann. Elke Lehrenkrauss hat die Menschen, die ihren Film gesehen haben, im Glauben gelassen, dass alles wirklich so passiert ist, wie es gezeigt wird. Und dies ist keine ästhetische, sondern eine moralische Entscheidung. Und wenn sie nun sagt, sie bereue nur, dass sie die NDR-Redaktion nicht selber über ihre Arbeitsweise informiert habe, ist auch das zu kurz gedacht. Denn auch all jene, die wie ich selber ihre Bilder für bare Münze genommen haben, wurden von ihr getäuscht.

Es ist kurios, aber das Gleiche ist mir im Jahr 2012 schon einmal passiert. Damals wurde der Dokumentarfilm „This ain’t California“ von Marten Persiel und anderen auf der Berlinale auch von mir ähnlich überschwänglich gelobt. Aber dieses Porträt der Ostberliner Skaterszene der 1980er-Jahre war ebenfalls zu schön, um wahr zu sein. Viele der Super-8-Filme, mit denen sich die damalige Szene angeblich selber dokumentierte, waren nachgestellt und die Protago­nis­t*in­nen waren Dar­stel­le­r*in­nen von zudem erfundenen Figuren. Auch damals kam die Sache erst nach Recherchen von Jour­na­lis­t*in­nen heraus, und erst von da an nannte Persiel sein Werk eine „dokumentarische Erzählung“.

Da Persiel seinen Film unabhängig produziert und vermarktet hat, war sein Fall nicht so tief, wie er jetzt für Elke Lehrenkrauss sein dürfte. Ihre Preise wird sie wohl zurückgeben müssen und „Lovemobil“ wird im Giftschrank des NDR landen – bis jemand einen Film über die Geschichte macht.

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