Debütalbum von Pariserin Suzane: Kampfsport gegen Technologiesucht
Die Musikerin Suzane hat eine bewegte Vita. All ihre Leidenschaften kommen auf dem elektronischen Chansonalbum „Toï Toï Toï“ zum Tragen.
Nicht umsonst trägt Océane Colom alias Suzane bei all ihren Auftritten einen blau-weißen Overall, der an einen Kampfanzug im Peter-Pan-Stil erinnert. Mit ihrem Vater, einem Boxer, schaute die 30-jährige Französin in ihrer Jugend ausgesprochen gern Martial-Arts-Filme. Besonders hoch stand Bruce Lee bei ihr im Kurs – wegen seines Durchhaltevermögen und natürlich wegen seines Kampfgeistes.
Diese Eigenschaften hat die Künstlerin von ihrem Idol übernommen. Ihre eigene Energie entlädt sich auf ihrem Debütalbum „Toï Toï Toï“ vollumfänglich. Als Musikerin legt sie den Finger in die Wunde. Ihre Songs sind nicht unbedingt extrem, aber sie bewegen sich zwischen den Extremen. Genauer: zwischen sozial- und gesellschaftskritischen Texten auf der einen und Dancebeats auf der anderen Seite.
Musikalisch haben allerdings nicht nur Daft Punk und Stromae Impulse gegeben. Suzane lässt Elektronikklänge mit dem Sound ihrer Kindheit kollidieren. Damals bewunderte sie Edith Piaf und Jacques Brel, eben das klassische Chanson. Mit dem nachdenklichen Stück „Novembre“, das einen Bogen zu den Pariser Terroranschlägen von 2015 schlägt, abstrahiert Suzane dieses Genre, sie entwickelt es mit Synthesizern zeitgemäß weiter. „Pas beaux“ öffnet sich musikalisch mit durchweg tanzbaren Rhythmen mehr der Ausgelassenheit, ohne sich in Oberflächlichkeit zu verlieren.
Kleidergröße 40 meets Umweltschutz
Suzane prangert in diesem Stück die gängigen Schönheitsideale an. Ihrer Ansicht nach ist es keineswegs in Ordnung, mit Kleidergröße 40 als übergewichtig abgeschrieben zu werden. Alles an ihren Liedern sagt: Hier ist eine Feministin am Werk, die sich aus tiefster Überzeugung für Gender-Pluralismus und Umweltschutz einsetzt. Aus ihrer Homosexualität hat Suzane nie einen Hehl gemacht.
Suzane: „Toï Toï Toï“ (3ieme Bureau/Wagram)
Es war ihr wohl eine Herzensangelegenheit, in „P’tit Gars“ von einem Jungen zu erzählen, der seinen entsetzen Eltern offenbart, dass er schwul ist. In diesem melancholischen Song macht Sprechgesang das Gefühl der Verlorenheit perfekt. „Es wird heiß, il est où le SAV“ wiederum leitet ein zweisprachiges Plädoyer für den Klimaschutz ein, für das Suzane den Wuppertaler Rapper Horst Wegner ins Boot geholt hat.
Selbstverständlich hatte sie diesen Titel im Gepäck, als sie im September in Berlin vor dem Brandenburger Tor bei einer „Fridays For Future“-Demonstration auftrat. Dabei stand sie keine Sekunde still. Ein Blick auf ihre Biografie belegt, wie wichtig ihr Bewegung ist. Mit fünf nahm sie Ballettunterricht, zwei Jahre später besuchte sie bereits die Tanzstunden am Konservatorium ihrer Heimatstadt Avignon. Bis sie im letzten Schuljahr alles hinwarf: ihre Ballettausbildung, ihr bac (Abitur). Ohne Abschluss zog sie nach Paris, wo sie sich als Kellnerin durchschlug.
Ein Sack voller Geschichten
Aus dieser Zeit trägt sie einen Sack voller Geschichten mit sich rum. „L’Insatisfait“ zum Beispiel, ein junger Mann war ganz offensichtlich chronisch frustriert, jedes Gericht schickte er in die Küche zurück. Sein Verhalten warf bei Suzane die Frage auf: Wie viel Unzufriedenheit ist normal? Schlussendlich kam sie zu dem Ergebnis, dass sich Unmut im 21. Jahrhundert längst zu einer Volkskrankheit ausgeweitet hat.
Empfohlener externer Inhalt
La Vie Dolce
Dicht gefolgt von Technologiesucht, der „Monsieur Pomme“ gewidmet ist. Bei ihren Schichten im Restaurant begegnete Suzane dauernd irgendwelchen Leuten, die sich bloß mit ihren Handys beschäftigten – selbst wenn sie mit einer anderen Person am Tisch saßen. Diesem Trend zur Abschottung setzt sie ihre Musik entgegen, mit der sie die Menschen wieder näher zusammenbringen will.
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