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Pädosexuelle Netzwerke in BerlinOrganisierte Ausbeutung

Mit zwölf Jahren auf den Strich geschickt: Eine Studie liefert Erkenntnisse über das Treiben von Pädo-Gruppen im Berlin der 80er und 90er Jahre.

Grausig: Ein Mann schildert, wie er mit 12 auf den „Babystrich“ am Bahnhof Zoo geschickt wurde Foto: picture alliance

Berlin taz | Zu den Schattenseiten der sexuellen Liberalisierung seit den 1970er Jahren gehört, dass Pädosexuellengruppen öffentlich für die Straffreiheit sexueller Handlungen von Erwachsenen mit Kindern warben. Westberlin galt als Zentrum dieser Bewegung. Wie legitimierten diese Gruppierungen sexualisierte Gewalt? An welche gesellschaftlichen Diskurse konnten sie dabei anknüpfen und welche Vernetzungen gibt es?

Zu diesen Fragen recherchierten die Historikerin Iris Hax und der Kulturwissenschaftler Sven Reiß im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie durchkämmten Archive der sozialen Bewegungen und befragten ZeitzeugInnen und Betroffene. Daraus entstand die Vorstudie „Programmatik und Wirken von pädosexuellen Gruppierungen und Netzwerken in Berlin“, die am Mittwoch virtuell vorgestellt wurde.

„Die Quellen machen sichtbar, wie sich pädosexuelle Akteure an die soziale Bewegung der Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität anschlossen und diese für ihre Interessen nutzten“, sagte die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen.

Die Recherche schließt an Studien an, in denen die Grünen, der Kinderschutzbund und Pro Familia ihre Verbindungen mit der Pädosexuellenlobby durchleuchtet haben. Untersucht wurde die Situation in West-Berlin von den 1970er-Jahren bis 1989 und im ersten Jahrzehnt nach dem Mauerfall.

Auch kommerzielle Interessen spielten eine Rolle

Anhand einiger zentraler Figuren und Gruppierungen zeichnet die Studie nach, wie pädosexuelle Netzwerke immer wieder neue Freiräume fanden: Nachdem sie aus der Homosexuellenbewegung in den 1990ern ausgeschlossen wurden, verlegten sie ihre Aktivitäten ins Internet, ins Ausland oder nach Ost-Berlin. Mitglieder der Indianerkommune besetzten 1989 ein Haus in Berlin-Mitte, wo sie Kinder und Jugendliche ohne Obdach aufnahmen; der Umgang mit diesem Projekt spaltete die Hausbesetzerszene.

Zentral ist die Frage nach gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Gezeigt wird, dass wissenschaftliche Disziplinen wie Pädagogik und Sexualforschung dazu beitrugen, diskursive und konkrete Räume zu schaffen, in denen Kinder sexuelle Gewalt erlitten. Die wichtigste Erkenntnis der Vorstudie, die zu weiteren Forschungen führen soll: Die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen war organisiert und kommerziell. Das bezeugen zwei beigelegte Betroffenenberichte.

Ingo, der im alternativen Kreuzberg aufwuchs, berichtet, wie er durch eine Hausaufgabenhilfe an einen Zuhälter-Ring geriet, der ihn mit 12 Jahren auf den „Babystrich“ am Bahnhof Zoo schickte. Die Geschichte von Kevin (Name geändert) zeigt, wie sich Pädosexuelle nach der Wende gezielt an Kinder aus Ost-Berlin heran machten, um sie sexuell auszubeuten – in konspirativen Häusern am Stadtrand oder auf dem Strich. Letzteres unter den Augen der Polizei.

Die VerfasserInnen der Studie heben hervor, dass die Stigmatisierung der Jungen als „Stricher“ dazu beitrug, dass sich kaum jemand für ihren Schutz engagierte. Ähnliches dürfte für die oft drogenabhängigen Mädchen auf dem „Babystrich“ gelten. Empfohlen wird deshalb die Re-Lektüre des Buchs „Christiane F.“

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