Kooperation von Zeitungen im Fußball: Grün-weiße Pressevielfalt
Der „Weser-Kurier“ und die Syker „Kreiszeitung“ bekommen ihre Werder-Bremen-Berichterstattung von der Deichstube GmbH. Das ist kurios.
Wäre es vorstellbar, dass sich eine Berliner Tageszeitung für die Hauptstadtbericherstattung essenzielle Artikel vom Oranienburger Generalanzeiger liefern lässt? Diese nur leicht schiefe Frage kann man heranziehen, um zu illustrieren, was sich auf dem Zeitungsmarkt in und um Bremen abspielt. Seit Anfang des Jahres arbeiten der Weser-Kurier und die Kreiszeitung aus dem südöstlich von Bremen gelegenen Syke in der Deichstube GmbH zusammen. Diese liefert für beide die Berichterstattung über Werder Bremen.
„Die Deichstube ist die Werder-Redaktion des Weser-Kurier“, steht bei der Bremer Zeitung nun im Netz unter den Werder-Artikeln. Falsch ist das nicht, aber auch nicht präzise: Die sieben Deichstube-Redakteure arbeiten zwar mittlerweile in Bremen, sie stammen aber allesamt von der Kreiszeitung.
Es sei ein „Armutszeugnis, dass ein Bremer Verlagshaus nicht selbst in der Lage ist, die Werder-Berichterstattung zu bestreiten“, sagt Regine Suling-Williges, Vorsitzende beim Bremer Landesverband des DJV. Hinzu kommt: Für die überregionale Sportberichterstattung in ihrem eigenen Blatt sind die Bremer auch nicht zuständig, die kauft man bei Madsacks Redaktionsnetzwerk Deutschland ein.
Die Kooperation zwischen Bremen und Syke ist die Folge einer Niederlage des Weser-Kuriers. 2017 lagerte er seine Berichterstattung über Werder in die eigens geschaffene Redaktion Mein Werder aus. Ein ambitioniertes Onlineprojekt, das versucht mit einem ähnlichen Angebot der Syker (das zunächst Werderstube hieß, aber schnell in Deichstube umbenannt wurde) das Wasser abzugraben. Als es der Zeitungsbranche bereits nicht gut ging, hatten die Bremer für ihre Werder-Berichterstattung teilweise 13 Redakteure am Start.
Kochen am Spieltag
Geld versickerte auch in bizarren Ideen – etwa einer Web-TV-Kochshow namens „Spieltagsküche“. In der erfuhr man dann, dass sich Willi Lemke, langjähriger Werder-Manager, zu Hause gern vorm Kartoffelschälen drückt. Die Videos wurden vor jedem Spieltag produziert, gekocht wurde jeweils ein Gericht, das typisch war für die Region, aus der die gegnerische Mannschaft kommt. Ab 2018 setzte Mein Werder digital dann teilweise auf Paid Content – mit niederschmetternder Resonanz.
Es war absehbar, dass den Kampf nur ein Konkurrent überstehen würde, denn auch der SV Werder selbst ist ja ein Marktteilnehmer. Für die reinen Fakten – Welcher Spieler fällt länger aus? Wer wird ausgeliehen? Welcher neue Sponsor steigt ein? – braucht kein Fan traditionelle Medien. Das liefern die Vereine ihm direkt.
Hinzu kommt, und das betrifft Redaktionen an allen Profifußballstandorten: Die Vereine reglementieren, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, den Zugang der Medien zu den Spielern. Da geht es um Kommunikationskontrolle, aber auch darum, die Angestellten des Hauses in eigenen Web-TV-Formaten zu präsentieren, um Geld zu verdienen. Wer etwa den „Werder Strom Talk“ des Vereins sehen will, braucht ein Abo, vier Euro im Monat sind dafür fällig.
Heinz Fricke ist ein Urgestein des Bremer Sportjournalismus, er war 42 Jahre lang Redakteur beim Weser-Kurier. Der 81-Jährige bedauert zwar, dass seine alte Zeitung die eigenständige Berichterstattung über Werder aufgegeben hat, sagt aber auch: „Das Mein Werder-Projekt war ein Millionengrab, so dass man letztlich gezwungen war, das Angebot von Herrn Ippen anzunehmen.“
Nicht David gegen Goliath
Der „Herr Ippen“ verdient an dieser Stelle natürlich Erwähnung, damit nicht der Eindruck entsteht, dass hier in einem herkömmlichen Sinne David Goliath besiegt hat. Die Kreiszeitung gehört zur Ippen-Gruppe mit Hauptsitz in München. Das von Dirk Ippen geführte Konglomerat ist unter der Zeitungsverlagen in Deutschland derzeit die Nummer vier.
Grundsätzlich handelt es sich beim Deal zwischen Bremen und Syke um ein bekanntes Phänomen: In unterschiedlichen Zeitungen erscheinen teilweise gleiche Inhalte. Jene, die damit kein Problem haben, argumentieren, dass die Leser*innen der Kieler Nachrichten, deren überregionaler Mantel von Madsacks RND kommt, gar nicht merken, dass im überregionalen Teil ihrer Zeitung die selben Texte erscheinen wie etwa in der Leipziger Volkszeitung. Um eine Einschränkung der politischen Meinungsvielfalt handelt es sich trotzdem.
Wenn, wie im Fall Deichstube, direkt miteinander konkurrierende Zeitungen auf einem zentralen Feld der Berichterstattung kooperieren, ist das noch eine andere Nummer. Im lokaljournalistischen Bereich bleiben das Großstadtblatt und die Speckgürtelzeitung ja Rivalen. In Verbreitungsgebiet der Kreiszeitung tritt der Weser-Kurier mit eigenen Lokalteilen an (Syker Kurier, Regionale Rundschau).
Florian Jamer führt in Syke die Geschäfte der Deichstube GmbH, er sagt, man dürfe das Joint Venture mit dem Weser-Kurier nicht durch die „klassische Brille“ betrachten. Letztlich konkurriere jedes Verlagshaus mit jedem anderen Verlagshaus. Man müsse beim Projekt vielmehr die „ganzheitliche“ beziehungsweise „nationale“ Perspektive im Blick haben.
„Sehnsuchtsort“ für Werder-Fans
Drei Millionen Werder-Sympathisanten gebe es bundesweit, sagt Jamer, zwei Drittel davon erreiche die Deichstube online. Fast die Hälfte der Nutzer stamme nicht aus dem „Werder-Land“. Gemeinsam mit dem Weser-Kurier lasse sich die „Markenintensität“ der Deichstube nun noch schneller erhöhen. Die Deichstube inklusive Community, so Jamer weiter, sei neben dem Weser-Stadion der zweite „Sehnsuchtsort“ für Werder-Fans. Ob Journalisten überhaupt „Sehnsuchtsorte“ erschaffen sollten, steht auf einem anderen Blatt.
Dass ein Großstadtblatt sich nun von einer Umlandzeitung zentrale Inhalte liefern lässt, ist mehr als nur eine Kuriosität. Denn: Im Verlagsbereich hat die Deichstube in und um Bremen mittlerweile eine Art Oligopol in Sachen Werder. Eine Seite mit Deichstube-Texten findet man etwa auch im Delmenhorster Kreisblatt der NOZ Medien. Auch Nord 24, das Internet-Portal der Nordsee-Zeitung aus Bremerhaven, nutzt Deichstube-Inhalte.
Die Kooperationen in Sachen Werder sind nicht zuletzt ein Beispiel für die auch branchenkrisenbedingten Kreuz- und Querbündnisse auf dem Regionalzeitungsmarkt. All die auch Verlagsgruppengrenzen sprengenden Varianten ins Bild zu setzen, wäre wahrscheinlich eine Herausforderung für manchen Infografiker.
Eine aktuelle Entwicklung auf diesem Feld: Seit Mitte dieser Woche baut die NOZ die überregionalen Mantelseiten für die Kölnische Rundschau – unter anderem den Sport. Verwunderlich ist das insofern, als die Kölnische Rundschau verlegerisch zur DuMont Mediengruppe gehört, die ja keineswegs ein Branchenzwerg ist.
Aber vielleicht hat es ja auch einen gewissen Charme, wenn der überregionale Teil einer Großstadtzeitung nunmehr in einer nicht ganz so großen Großstadt produziert wird. Auf dem Regionalzeitungsmarkt verschwinden jedenfalls die Grenzen zwischen großen und weniger groß wirkenden Namen. Die Geschichte der Deichstube ist ein Beispiel dafür.
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