Diskriminierung von Homosexuellen: Blut zweiter Klasse?
Schwule Männer dürfen kein Blut spenden. Eine mögliche Änderung dieser Regel schieben die zuständigen Stellen seit Monaten vor sich her.
„Ich verstehe nicht, was das im Jahr 2021 in Deutschland noch für eine Rolle spielt“ sagt er. Gerade in der Coronakrise gibt es immer wieder Hilferufe der Blutspendedienste, weil Blutreserven fehlen. Aber Fabian darf nicht helfen. „Obwohl mir die Ärztin bestätigt hat, dass ich mich nicht risikohaft verhalte und gesund bin“, wie er berichtet. Um für eine Spende in Frage zu kommen, darf Fabian ein Jahr lang keinen Sex mit einem einem Mann gehabt haben. Das trifft auch auf Sex mit seinem festen Freund zu.
Es ist eine Regel, die diskriminiert. Und doch wird es auf absehbare Zukunft wohl dabei bleiben. Denn die zuständigen Stellen verschleppen die Entscheidung über eine mögliche Änderung der Regelung – die darüber hinaus für Männer wie Fabian kaum etwas ändern würde.
Wer Blut spenden darf, ist in der Richtlinie Hämotherapie geregelt, für die die Bundesärztekammer (BÄK) verantwortlich ist. Bis 2017 hat die Richtlinie Blutspenden von schwulen Männern noch komplett verboten. Heute heißt es, Menschen, „deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV birgt“, werden von der Blutspende ausgeschlossen oder zurückgestellt, weil Viren erst nach ein paar Wochen nachweisbar sind.
Fehler aus den 80ern wirken bis heute nach
Das trifft laut der Richtlinie zu auf „heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z.B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern“, aber auch auf „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)“. Bei letzteren ist es unwichtig, ob sie ein Risikoverhalten zeigen oder nicht. Einfach ausgedrückt: Schwule Männer haben laut der Richtlinie ein höheres Risiko mit HIV infiziert zu sein und deshalb stellt man sie pauschal zurück.
Fabian sieht das nicht ein. Er lebt seit fast drei Jahren mit seinem Freund in einer monogamen Beziehung, beide haben sich zu Beginn ihrer Beziehung auf HIV testen lassen und sind negativ. „Wo ist das Risiko?“, fragt er. „Ich fühle mich wie ein Mensch zweiter Klasse, dessen Blut nicht so viel wert ist, wie das von anderen.“
Die zuständige BÄK weist den Vorwurf zurück, sie würde die sexuelle Orientierung pauschal zur Grundlage für einen Ausschluss nehmen: „Der Zulassung zur Blutspende liegt eine Risikostratifizierung verschiedener individueller Verhaltensweisen […] zugrunde“, schreibt die BÄK auf Anfrage. Laut der Deutschen Aids Hilfe sind ca. 70 Prozent der HIV-Infizierten schwul.
Der Grund für die aktuelle Regelung sind Fehler aus den 1980er Jahren. Damals fielen HI-Viren in Bluttransfusionen nicht auf, sodass sich hunderte Patientinnen und Patienten infizierten. „Wegen des Skandals damals gibt es noch viele Vorurteile, die aber längst überholt sind“, sagt Jens Brandenburg, Sprecher für LSBTI-Angelegenheiten in der FDP-Bundestagsfraktion. „Heute sind wir wissenschaftlich viel weiter und können Krankheiten im Blut schon nach wenigen Wochen entdecken.“
Andere Länder sind weit fortschrittlicher
Laut Blutspendediensten und BÄK wird jede Blutspende noch einmal untersucht, bevor sie einem Patienten oder einer Patientin verabreicht wird. Dabei würden alle Krankheiten auffallen. Die FDP-Fraktion hat deshalb schon Ende 2019 einen Antrag im Bundestag eingereicht mit dem Ziel, das entsprechende Transfusionsgesetz zu ändern. Brandenburg: „Die aktuelle Rückstellfrist für homo- und bisexuelle Männer ist diskriminierend, unnötig und völlig überzogen.“ Der Begriff Rückstellfrist bezeichnet die Zeit, die seit dem letzten homosexuellen Geschlechtsverkehr vergangen sein muss, um für eine Blutspende in Frage zu kommen.
Eine Arbeitsgruppe in Berlin berät aktuell über eine Änderung der Richtlinie. Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) heißt es, man prüfe, „ob eine Verkürzung der Rückstellfrist (derzeit 12 Monate) erfolgen kann.“ Der sogenannte Arbeitskreis Blut, das Paul-Ehrlich-Institut, das Robert Koch-Institut, die BÄK und das BMG haben sich bereits Anfang November zum ersten Mal getroffen – und eine Entscheidung darüber vertagt.
Auch beim nächsten Treffen am 27. Januar gab es keine Entscheidung. Der nächste Termin, wieder „mit dem Ziel einer Ergebnisfindung“, ist für Ende März angesetzt. „Ich frage mich, wie oft man den Sachstand noch erörtern will“, sagt Brandenburg. „Andere Länder wie Kanada, Großbritannien und Italien sind da weiter: Die Richtlinien wurden zugunsten von MSM geändert und das Risiko, sich an einer Blutspende zu infizieren, ist dort nachweislich nicht gestiegen“. Zuletzt hatte Australien Ende Januar die entsprechenden Gesetze geändert.
Auch Lucas Hawrylak fordert ein Ende der „pauschalen Diskriminierung“ schwuler Männer: „Ich weiß nicht, worauf wir noch warten.“ Er hat offene Briefe an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die BÄK geschrieben. Außerdem hat er eine Petition im Internet gestartet und bisher fast 47.000 Unterschriften gesammelt. „Eine Lösung wäre, die Regelungen wie in anderen Staaten zu ändern“, findet er. „Wichtig ist nur das sexuelle Risikoverhalten jeder einzelnen Person“, und zwar unabhängig von der sexuellen Orientierung. „Wer sich risikohaft verhält, muss zurückgestellt werden.“
Selbst wenn die Rückstellfrist verkürzt werden sollte, würde das einem jungen, schwulen Mann wie Fabian in einer Beziehung aber wohl wenig helfen. Das würde dann zwar nicht mehr zwölf Monate, aber immer noch vier Monate ohne Sex bedeuten. Fabian blieb damals bei seinem Besuch beim DRK in Essen nichts anderes übrig, als anderen Menschen bei der Blutspende zuzugucken. Wahrscheinlich bleibt das auch so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt