Ex-Minister über Wahlen in Ecuador: „Es herrscht extreme Polarisierung“
Ecuador ist in Anhänger und Gegner des Ex-Präsidenten Correa zersplittert, sagt der frühere Energieminister Alberto Acosta. Jetzt wählt das Land.
taz: Herr Acosta, am Sonntag stellen sich 16 Kandidat*innen zur Präsidentschaftswahl, so viele wie noch nie. Warum haben sich keine Allianzen gebildet, die sich auf eine gemeinsame Kandidatur verständigen?
Alberto Acosta: Es herrscht noch immer eine extreme Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern des früheren Präsidenten Rafael Correa. Allerdings haben sich die beiden Lager in den letzten Jahren politisch enorm aufgesplittert. Die Gründe dafür liegen in den alten patriarchalen und kolonialen Widersprüchen. Dazu kommen die aktuellen sozialen Auseinandersetzungen sowie der Streit um das extraktivistische Modell, sprich die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wie dem Öl und der Schutz der Natur.
Dabei hatte Präsident Lenín Moreno weniger Polarisierung und mehr Konsens versprochen. Alles nur Wortgeklingel?
Moreno hat nie versucht, einen breiten gesellschaftlichen Konsens gegen die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten zu schaffen. Stattdessen hat er einen ungeschriebenen Pakt mit den wirtschaftlich mächtigen Gruppen geschlossen. Die wurden allerdings schon unter Amtsvorgänger Correa begünstigt. Bei Moreno versank nur alles immer tiefer im Neoliberalismus, vor allem wegen seiner Zugeständnisse an den IWF. Ecuador hatte sich zwar 2007 vom IWF distanziert, aber bereits 2014 wieder angenähert. Damals ging es um die Unterstützung des Fonds für eine erfolgreiche Kreditaufnahme von 2 Milliarden Dollar auf dem internationalen Finanzmarkt. Damit wurde der Verschuldungsprozess in Gang gesetzt, der sich mit dem IWF-Kreditabkommen 2019 lediglich fortsetzte.
Alberto Acosta, Jahrgang 1948, ist Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Acosta war 2007/08 Präsident der verfassungsgebenden Versammlung und 2007 Minister für Energie und Bergbau in Ecuador. 2013 trat er als Kandidat der Pachakutik an, verlor aber gegen Rafael Correa.
Rafael Correas Regierungsstil war extrem autoritär. War Moreno gemäßigter?
Moreno führte eine Regierung mit „guten Manieren“. Mit Einschränkungen kann man ihm zumindest die Achtung der Meinungsfreiheit zuschreiben. Die Einschränkungen beziehen sich darauf, dass zu dem schon genannten Pakt auch die großen Medienunternehmen gehören. Bei den Unruhen im Oktober 2019 setzte Moreno sofort auf Autoritarismus und Repression. Das setzte sich in der Pandemie fort.
Umfragen bestätigen Correa noch immer einen Rückhalt bei 30 Prozent der Bevölkerung. Die setzt er auf den jungen Andrés Arauz. Schafft er mit ihm sein Comeback?
Arauz ist tatsächlich nur Correas Marionette. Und bereits seine zweite. Die erste war Lenín Moreno, aber die hat nicht lange funktioniert. Allerdings ist das Szenario diesmal kompliziert: 16 Kandidaturen aber nur wenig Konkretes, die politische Zersplitterung, die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise, die Pandemie – alles ist möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Nach Ausschluss von der ILGA World
Ein sicherer Raum weniger
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Nach Hinrichtung von Jamshid Sharmahd
„Warum haben wir abgewartet, bis mein Vater tot ist?“