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Absage der Leipziger BuchmesseTiefe Seufzer in der Branche

Die Leipziger Buchmesse fällt auch in diesem Jahr aus. Die coronabedingte Entscheidung trifft ausgerechnet ein hochinteressantes Frühjahrsprogramm.

Fehlender Rückenwind für Bücher: Szene von der bislang letzten Leipziger Buchmesse, 2019 Foto: Jens Kalaene / dpa

Das war eine echt trostlose Woche für die Literatur. Zuerst musste die prachtvoll renovierte Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden, ein wahrer Tempel der Bildung, rein digital eröffnet werden. Dann wurde bekannt, dass der WDR die täglichen Literaturbesprechungen streicht. Und schließlich kamen noch die Eilmeldungen: Die Leipziger Buchmesse wird auch dieses Jahr abgesagt, wie 2020 auch schon.

Leipzig, das war für die Buchbranche so etwas wie das Licht am Ende des Tunnels von Lockdown und Veranstaltungsabsagen. Der tiefe Seufzer, der – bei aller Einsicht in ihre Notwendigkeit – nach der Verkündigung der Entscheidung durch die gesamte Literaturszene lief, war bis ins Homeoffice zu hören, in dem man coronabedingt hockt und nun also einen möglichst unzerknirschten Text darüber schreiben muss. Immerhin erfolgte die Absage frühzeitig, sodass sich alle Beteiligten darauf einstellen können.

Für die Frühjahrsprogramme der Verlage bedeutet das, daran gibt es wenig zu deuteln, fehlenden Rückenwind. Die Au­to­r*in­nen haben geschrieben, die Verlage produzieren weiterhin fleißig, und zwar gute Sachen. Das wird ein gutes literarisches Frühjahr werden.

Neuerscheinungen von Bernardine Evaristo und Tove Ditlevsen werden jetzt schon breit wahrgenommen. Die bald erscheinenden Romane von Sharon Dodua Otoo, Monika Helfer, Helga Schubert, Mithu Sanyal und Christian Kracht (um nur ein paar zu nennen) werden auch viel diskutiert werden. Viele Beobachter warten auch schon auf den Debütroman „Wie die Gorillas“ von Esther Becker. Mit der Buchmesse fehlt ihnen allen ein wichtiger Resonanzraum.

Eine Buchmesse – und das gilt sowohl für die Leipziger wie für die Frankfurter Messe – ist eben keineswegs nur ein Branchentreff oder eine Gelegenheit für Bücherinteressierte, sich aufmerksam umschauend in Messehallen gegenseitig auf die Füße zu treten. Sie ist auch eine Möglichkeit, ach was, ein Anker, ein Fels, um daran eine breite und öffentlichkeitswirksame Berichterstattung über literarische Neuerscheinungen (und allerlei Gossip) anzuhängen.

Der Anker wird fehlen

Dieser Anker wird jetzt fehlen, was auch immer die Verantwortlichen der Leipziger Messe an Alternativveranstaltungen organisieren werden. Überhaupt. Das wird jetzt bereits das dritte literarische Programm in Folge sein, das im Wesentlichen ohne die in der Branche doch so wichtigen Präsenzveranstaltungen auskommen muss, nachdem 2020 auch die Frankfurter Buchmesse zum großen Teil ins Digitale verlegt worden ist.

Zwar sind aus der Branche keineswegs nur Katastrophenmeldungen zu hören. Bevor der zweite Lockdown Ende des vergangenen Jahres zuschlug, hatten sich die Buchverkäufe erholt. Das in Deutschland immer noch sehr dichte Netz an engagierten mittleren Buchhandlungen kann viele Folgen der Pandemie abfedern.

Das Businessmodell überdenken

Doch was geschehen wird, wenn die coronabedingten Beschränkungen noch sehr lange anhalten müssen, weiß niemand. So hat sich die gesamte Branche viele Jahre lang darauf ausgerichtet, dass die Au­to­r*in­nen einen für sie wesentlichen Anteil an Honoraren aus Lesungen und sonstigen Live-Events erzielen. Auch bekannte Schrift­stel­le­r*in­nen müssen nun, kühl gesagt, ihre Businessmodelle überdenken.

Und wie das Beispiel des WDR zeigt – wo für freie Literaturkritiker mal eben Hunderte von Aufträgen weggefallen sind -, kann sich niemand in der Branche eines solidarischen Verhaltens untereinander sicher sein.

Zu viele Unwägbarkeiten

Auch aus diesen Gründen haben sich die Verantwortlichen der Leipziger Messe die Absage nicht leicht gemacht. „Wir bedauern sehr, dass die Leipziger Buchmesse nicht stattfinden kann. Die Verantwortlichen hatten eine schwierige Entscheidung zu treffen, die angesichts der zurzeit unklaren Coronaperspektiven verständlich ist“, erklärte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs.

Was bleibt, ist tatsächlich so ein trauriges Verständnis für die Absage. Der übliche Termin der Buchmesse im März war schon vor Monaten auf Ende Mai verschoben worden, aber auch der war angesichts aller Unwägbarkeiten nicht zu halten.

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1 Kommentar

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  • Und der Pöbel bekommt es gar nicht mit, solange Streamingdienste ihn zu Dumpingpreise in 4K und HDR zudröhnen. So billig, dass er für den Preis eines guten Buches einen Monat oder länger dauerglotzen kann.

    Mir fällt jetzt gar nicht mehr ein, wo das war. Irgend eine Dysopie. Da hockten wirklich alle - jeder für sich - in ihren Buden und glotzen Glotze. Keiner ging mehr raus.

    Also wenn Corona vorbei ist und dann 99% der Leute aufs Stubenhocken geprägt sind. Das wird noch "lustig". Homeoffice - Social Media - Bestellen - Glotzen. Der Telescreen bleibt, nur der Bildinhalt varriert leicht.