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Ein Leben ohne Struktur ist schwer

Umfragen: Viele Menschen, auch jüngere, leiden zunehmend seelisch unter der Coronapandemie

Von Barbara Dribbusch

Corona zerrt zunehmend an den Nerven und drückt auf die Seele. „Die Lebenszufriedenheit ist deutlich zurückgegangen, Sorgen, Stress und Depressivität sind gestiegen“, sagte Dorota Reis, Forscherin an der Universität des Saarlandes, in einer Umfrage der Deutschen Presseagentur. Sie untersucht seit einem Jahr die psychischen und sozialen Folgen der Pandemie in Befragungen von 1.500 Frauen und Männern.

Die Einschätzung der Gesellschaft habe sich „drastisch verändert“, stellte Reis fest. Während die Teilnehmer und Teilnehmerinnen anfangs berichteten, dass die Gesellschaft zusammenrücke, schätzten sie das Verhalten nun als „eher egoistisch und auseinanderdriftend“ ein. Im Frühjahr seien nach den Lockerungen recht schnell Besserungen eingetreten. Ob das dieses Mal auch so sein werde, wisse man noch nicht, so Reis.

Die Folgen des Lockdowns belasten auch zunehmend StudentInnen. Sie nehmen deshalb viele psychologische Hilfsangebote stärker in Anspruch. „In der Coronapandemie zeigt sich bei Studierenden zunehmend das Fehlen sozialer Kontakte als Problem“, sagte die Sprecherin des Studentenwerks Potsdam, Josephine Kujau, der dpa. Das Studentenwerk bietet seit 25 Jahren eine psychosoziale Beratung für StudentInnen in Potsdam und Umgebung an.

Zum Fehlen der Kontakte kämen veränderte Arbeits- und Lernbedingungen und der Wegfall von äußeren Strukturen im Alltag, sagte die Sprecherin. „Was sonst hilft oder für Ausgleich sorgt, ist nur eingeschränkt möglich.“ Viele Studierende haben zudem konkrete finanzielle Sorgen, beispielsweise durch den Verlust des Nebenjobs oder ein geringeres Einkommen der Eltern, die sie finanziell unterstützen. Auch die Unsicherheit, wie es in den kommenden Semestern weitergehe, werde als belastend empfunden, so Kujau.

Bereits vorhandene Probleme verstärkten sich in der Pandemie, insbesondere Ängste und depressive Zustände“, sagte Marianne Tatschner, die die psychologische Beratungsstelle an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) betreut. Vielen falle es schwer, sich selbst zu strukturieren, wenn äußere Strukturen wegfielen.

Die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV) hatte in einer Umfrage unter TherapeutInnen festgestellt, dass die Patientenanfragen in Praxen in einer Januar-Woche 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um durchschnittlich 40 Prozent gestiegen sind. „Die Nachfrage nach Psychotherapie hat während der Coronapandemie stark zugenommen. Nun müssen Lösungen gefunden werden, wie man den PatientInnen helfen kann“, so Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Vereinigung, in einer Erklärung. In einer Umfrage im April 2020 hatten 77 Prozent der TherapeutInnen angegeben, die Möglichkeit von Videositzungen anzubieten.

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