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„Die Wirtschaftskriminalität nimmt zu“

Korruptionsexperte Klaus Fischer: Steigender Renditedruck, wegrationalisierte Abteilungen und der Zeitgeist führen zu mehr Straftaten in Unternehmen. Jedes vierte Delikt wird vom mittleren und oberen Management begangen. Milliardenschäden

INTERVIEW STEPHAN KOSCH

taz: Herr Fischer, seit dem Wochenende steht ein weiterer deutscher Spitzenmanager unter Korruptionsverdacht. Diesmal Infineon, davor VW und DaimlerChrysler. Ist die deutsche Wirtschaft korrupter geworden?

Klaus Fischer: Die Wirtschaftskriminalität hat in den letzten Jahren zugenommen. Das zeigen zumindest unsere Umfragen in den Unternehmen. Und ich fürchte, wir werden in Zukunft eine noch höhere Kriminalitätsrate in diesem Bereich haben.

Und woran könnte das liegen?

Unter anderen an höherem Erwartungsdruck auf die Manager. Sie müssen Ergebnisse liefern, die für manche in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage gar nicht zu schaffen sind. In so einer Situation ist Bilanzmanipulation ein scheinbarer Ausweg.

Muss ich jetzt schon Mitleid haben mit Schmiergeldempfängern?

Nein. Bereicherung, Veruntreuung, Unterschlagung sind etwas anderes und weitestgehend konjunkturunabhängig. Hier gibt es zwei Gründe. Zum einen haben viele Unternehmen ganze Ebenen im mittleren Management wegrationalisiert. Diese Ebenen hatten auch viele Kontrollfunktionen. Aber Korruption und unerlaubte Bereicherungen sind auch ein Zug der Zeit.

Heißt das: Früher war alles besser?

Zumindest trat Wirtschaftskriminalität seltener auf. Sie müssen doch nur die Ohren offen halten. Auf fast jeder Party erzählt ihnen jemand, wie er wieder sein Finanzamt betrogen hat. Und in fast jeder Kommune hat es irgendeinen Fall von Korruption gegeben. Alle möglichen Kreise können mittlerweile als schlechtes Vorbild dienen und als Rechtfertigung für den, der Geld unterschlägt oder Bilanzen fälscht.

Wo sitzen die Täter denn: eher in den Chefetagen oder auf Posten in den unteren Arbeitsebenen?

Wir haben in unserer Studie in gut 200 Unternehmen leitende Mitarbeiter nach ihrer Einschätzung gefragt. Danach werden 25 Prozent der Straftaten vom mittleren oder gehobenen Management verübt. Für Führungskräfte ist es leichter, Kontrollmechanismen zu umgehen, weshalb die Schadenssummen dort in der Regel höher sind. Auf den unteren Ebenen geht es eher um Diebstahl von Firmeneigentum oder Spesenbetrug.

Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner schätzt, dass der Schaden durch Wirtschaftskriminalität pro Jahr in Deutschland bei 350 Milliarden Euro liegt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es gibt keine eindeutigen empirischen Untersuchungen. Die Definitionen von Wirtschaftskriminalität sind fast immer unterschiedlich. Unsere Umfrage brachte einen durchschnittlichen Wert von 8,3 Milliarden Euro. Hinzu kommt noch eine Dunkelziffer von etwa 50 Prozent. Damit wären wir bei einem zweistelligen Milliardenbetrag. Aber das sind Schätzungen aus einer Umfrage und keine wissenschaftlich erhobenen Daten.

Wie auch immer, es geht um Milliardenschäden. Was muss denn geschehen, damit die Wirtschaftskriminalität in Deutschland sinkt?

Es ist schon viel passiert. In den USA wurde der Sarbanes Oxley Act eingeführt, der für mehr Transparenz und Kontrolle bei den Unternehmen sorgt. In Deutschland gib es den Corporate Gouvernance Codex, der auch für mehr Sensibilität für das Thema gesorgt hat. Die betroffenen Unternehmen gehen aktiver in die Öffentlichkeit als früher und haben Ombudsstellen eingerichtet, denen Mitarbeiter auch anonyme Hinweise geben können. Außerdem gibt es verbesserte technische Kontrollinstrumente, zum Beispiel Computerprogramme, mit denen Manipulationen aufgedeckt werden können.

Reicht das?

Nein. Allein vorbeugende Instrumente sind nicht genug. Bei Verstößen muss mit allen Rechtsmitteln durchgegriffen werden, sonst ist jedes vorbeugende Konzept zum Scheitern verurteilt. Und außerdem – noch immer kommt eine hohe Zahl von Straftaten der Wirtschaftskriminalität nur durch Zufall ans Tageslicht.

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