andropause | teil 23: Der alte Affe Neid
Der alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone spielen verrückt, der Andropausenclown versteht die Welt nicht mehr. Die Frau ist weg, und sein bester Freund ist der Urologe
Es ist schon merkwürdig in Deutschland: Wieder und wieder dreht sich alles um die große Chimäre Neid. Entweder wird jede zarte Erinnerung an ein wenig mehr Gerechtigkeit als Neid diffamiert, oder dieser Neid wird, im Gegenteil, zum alles bestimmenden Faktor geadelt. Zum Teil in derselben Woche und in derselben Zeitung wie hier in der Süddeutschen.
Dort prangert Kristiana Ludwig die Überlegung, Geimpfte könnten eventuell auch schon wieder ins Kino oder Restaurant gehen, als „Sonderbehandlung“ an, die „Neid und Konkurrenz begünstigen“ würde. Ja, schon klar. Wenn ich nicht ins Kino darf, sollen Krankenschwestern auch nicht ins Kino dürfen. Denn wenn ich weiß, die sitzen nach ihrer Doppelschicht in der Intensiv genauso dumm zu Hause rum wie ich, fühle ich mich doch gleich viel besser. Mitgefangen, mitgehangen, sag ich mal. Es ist für sie wie ein Axiom: Alle Leute sind neidisch und das ist ganz normal und dem muss man unbedingt Rechnung tragen.
Man kann doch dieses komische Menschenbild nicht zum Maßstab für Entscheidungen machen; man muss wirklich nicht ständig alle Regeln passgerecht auf Charakterschweine jeder Couleur zuschneidern, so wie damals, als man zur Belohnung für die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen die Asylgesetze verschärfte.
Die katholische Kirche ist zwar für endlosen Bullshit verantwortlich, doch hier hat sie beim blinden Angeln im trüben Pfuhl der Todsünden immerhin ein brauchbares Korn gefunden: die Missgunst. Denn dass man Dinge frei tun darf, ist eigentlich der Normalfall und nicht die große, erlaubnispflichtige Ausnahme. Schon vergessen?
Klar kann sich jede ungerecht behandelt fühlen, wenn sie möchte. Genauso wie jeder gerne fühlen kann, dass bald der Große Schokoladenkeks mit lautem Gebrumm in einem Dinkelacker landet und uns alle mit ins Schlaraffenland nimmt. Aber diese Befindlichkeiten sollten doch besser nicht als Grundlage für Pandemiemaßnahmen dienen. Davon abgesehen haben die Personengruppen, die dann „begünstigt“ wären, ja ohnehin meist genügend Nachteile zu tragen. Das gilt auch für gesunde Senioren, denen wir doch eine möglichst uneingeschränkte Qualität für ihre letzten guten Jahre wünschen. Die sollen jetzt, obwohl geimpft, mit uns jungen Hedonisten zusammen verzichten? Das ist keine Solidarität. Wenn im Sommer alle im Kino und im Restaurant sitzen, kann ich im Park in Ruhe mein Bier trinken, zusammen mit meinen Lieben und all den anderen, die dank der großartigen Organisation bis 2022 auf ihre Spritzen warten. Das wird trotzdem schön. Uli Hannemann
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