Rettungsengel gesucht

Nach einem nicht ganz freiwilligen Umzug muss das Archiv der Jugendkulturen steigende Mieten stemmen. Bisher ging das mit Spenden, doch eigentlich bräuchten sie einen Mäzen

Gabriele Rohmann leitet das Archivs ehrenamtlich, in den Kartons lagern Love-Parade-Banner und Partyflyer Foto: Stefanie Loos

Von Andreas Hartmann

Im Juli letzten Jahres musste das Berliner Archiv der Jugendkulturen umziehen. Es war kein Umzug, den man sich gewünscht hatte. Aber nun ist man in den neuen Räumlichkeiten auf dem ehemaligen Gelände der Bockbrauerei in der Fidicinstraße in Kreuzberg. Gabriele Rohmann, Mitgründerin und Leiterin des Archivs, ist zufrieden. Sie führt durch die Räume, in dem zahllose Jugendzeitschriften und Popmagazine verwahrt werden. Und zeigt die opulente Präsenzbibliothek mit Fachbüchern zum Thema Jugendkulturen, die gerade coronabedingt geschlossen sein muss. Vor allem ist mehr Platz als vorher, denn die Bestände wachsen ständig weiter. Es gibt halt nur ein kleines Problem: Auf absehbare Zeit wird man sich die Miete nicht mehr leisten können.

Im Archiv der Jugendkulturen wird zu Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien und allem rund um Jugendkulturen von Punk bis K-Pop geforscht. Das Archiv sammelt, was man zu diesen Themenkomplexen kriegen kann, und stellt es für Recherchezwecke zur Verfügung. Man ist stolz auf eine der größten Sammlungen an Fanzines in Europa und verwahrt insgesamt über 100.000 Artefakte von alten Loveparade-Bannern bis hin zu Partyflyern.

Aus dem Archiv heraus beraten sie Pädagogen und Lehrkräfte, arbeiten mit Schulen zusammen, klären auf über Homophobie im HipHop oder die neuesten Entwicklungen in der Neonazi-Szene – es ist eine Institution mit bundesweiter Ausstrahlung.

Gegründet wurde das Archiv 1997, unter anderem von dem zeitweiligen taz-Redakteur Eberhard Seidel und dem Publizisten Klaus Farin, der inzwischen seinen eigenen Verlag leitet. Letzterer wurde vor zwei Jahren für seine Arbeit über Jugendkulturen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Eine ehrenwerte Geste. Und trotzdem ist das Archiv existenziell bedroht. Wieder einmal. Eigentlich ständig.

Die Sache ist kompliziert, eine „typische Gentrifizierungsgemengenlage“, wie Gabriele Rohmann das nennt. Das Gelände, auf dem sich das 1997 gegründete Archiv der Jugendkulturen befindet, gehört seit einer Weile einem Investor, der Bauwert AG. Der möchte hier so gut wie alle Gebäude abreißen lassen, um Wohnungen und Büros zu errichten. Die meisten Mieter, die ansässig waren und das Areal zu einem soziokulturellen Biotop in Kreuzberg machten, sind bereits verschwunden. „Der Klavierladen, die Weinhandlungen, der Schlüsseldienst, alle weg“, sagt Rohmann. 

Der Investor bot dem Archiv dagegen an, auf dem Gelände bleiben zu dürfen, und finanzierte sogar den Umzug mit: in eines der wenigen Gebäude, die nicht abgerissen werden sollen, nur ein paar Meter vom bisherigen Standort entfernt. Man nahm den Deal auch mangels finanzierbarer Alternativen an. Das Haus, in das man nun gezogen ist, soll künftig von einer Genossenschaft verwaltet werden, „eigentlich keine schlechte Sache“, sagt Rohmann, und: „Der Umzug bedeutet eine deutliche Verbesserung für uns.“

Wenn nur eben die Sache mit den gestiegenen Kosten nicht wäre. Man hat nun einen Staffelmietvertrag. Die Miete wird sukzessive ansteigen und sich 2022 in einer bestimmten Höhe einpegeln. Wie sie das Geld für die Miete, die nun für 660 statt bislang 460 Quadratmeter Gewerbefläche fällig wird, längerfristig aufbringen sollen, ist bisher unklar.

Schon vor über einem Jahr, als noch offen war, wie viel mehr Mietkosten sie in Zukunft haben würden, wurde eine Spendenkampagne lanciert. 45.000 Euro wären nicht schlecht, um nach dem Umzug sicher weitermachen zu können, hieß es im Spendenaufruf. Nun wurde eben eine weitere, ergänzende Kampagne gestartet – 5.000 Euro hätte man gern mit Blick auf das Jahr 2022. Aber nicht zusätzlich zu den anvisierten 45.000 Euro, so Rohmann zu der etwas verwirrenden Doppelkampagne. Man wolle mit dem Nachschlag einfach nochmals auf die eigene Lage aufmerksam machen. Bislang ist von dem Geld nur ein Bruchteil reingekommen.

Bei allem Verständnis dafür, dass sie sich nicht weggentrifizieren lassen wollten, Alternativen nur schwer zu finden waren und größere Räumlichkeiten sicherlich auch schön sind: Hat sich das Archiv der Jugendkulturen mit seinem Umzug nicht auch ein Stück weit selbst in die missliche Lage gebracht, in der es sich nun befindet?

„Wir waren schon immer prekär aufgestellt“, erklärt Gabriele Rohmann, „schon bei unserer Gründung wussten wir nicht, wie wir das Archiv eigentlich finanzieren sollen. Eine langfristige und umfassende Absicherung gab es noch nie.“ Die Lage sei schwierig, aber das war sie halt schon immer. Übrigens wie bei den meisten freien Archiven in Deutschland, wie Rohmann betont. Und darauf, das macht die Archiv-Leiterin klar, möchten sie nun mit der Spendenkampagne nochmals mit Nachdruck und öffentlichkeitswirksam verweisen.

Das Archiv ist eine Institution mit bundesweiter Ausstrahlung

13 Kollegen und Kolleginnen habe sie, sagt sie, alle werden projektgebunden finanziert, eine reguläre Stelle gebe es nicht. Ihr eigener Job als Leiterin des Archivs sei letztlich eine ehrenamtliche Tätigkeit. Das Archiv wird gefördert, das schon, etwa von der Bundeszentrale für politische Bildung, von der Stadt Berlin, vom Bund, aber immer nur für einen bestimmten Zeitraum und stets nur projektbezogen. Und ein wenig Kleingeld bekommt der Verein auch durch die Jahresbeiträge seiner Mitglieder in die Kasse. Doch ständig Anträge für Projektförderungen stellen und dauernd irgendwie weiterwursteln zu müssen, das sei auf Dauer ziemlich aufreibend, sagt Rohmann.

Das Archiv bekomme Preise für die eigene Arbeit, auch genug warme Worte seitens der Politik, aber eben keine dauerhafte institutionelle Unterstützung. „Es ist zermürbend, das immer weiter auf dem bisherigen Level fortzusetzen“, sagt Rohmann. Und: „Wir werden seit über 20 Jahren vom Bund zum Land und vom Land zum Bund verwiesen. Niemand scheint sich wirklich für uns zuständig zu fühlen.“ Damit müsse nun Schluss sein.

Mit ihrem Ruf nach Unterstützung richtet sich Rohmann an potenzielle Spender, eigentlich aber in Richtung öffentlicher Hand. Sie wisse selbst, dass in Zukunft nicht jedes Jahr Zehntausende Euro an privaten Spenden eingesammelt werden können, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Also entweder es passiere nun etwas und sie bekommen dauerhaft finanziellen Support – oder sie würden von den mit Eigenmitteln nicht mehr zu finanzierenden Mieten über kurz oder lang aufgefressen.

Auch eine Stiftung oder irgendein Mäzen wäre Gabriele Rohmann als Engel in der Not recht. „Vielleicht gibt es ja auch ein paar tolle Popkünstler*innen, die Interesse daran hätten, uns mitzufinanzieren“, sagt sie. Also: Campino, Ärzte, Herbert Grönemeyer, Nena, bitte melden!