corona in hamburg: „Es ist eine Belastung für die Gefangenen“
Karl-Uwe Reichenbächer57, ist Pastor und leitet die Seelsorge in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg.
Interview Finn Starken
taz: Herr Reichenbächer, wie hat Corona das Leben im Gefängnis verändert?
Karl-Uwe Reichenbächer: Es schränkt den Kontakt der Gefangenen untereinander stark ein. Ihre Freistunden finden nun in kleineren Gruppen statt; die Freizeitangebote wurden heruntergefahren. Die Kochgruppe kann zum Beispiel nicht mehr zusammen kochen. Und auch die Vater-Kind-Gruppe darf sich nicht mehr treffen, weil dies zu Kontakten nach draußen führen würde.
Welche Auswirkungen hat das für die Gefangenen?
Es ist eine Belastung. In der Seelensorge versuchen wir das aufzufangen, indem wir vermehrt Gespräche mit ihnen führen. Wir holen die Gefangenen dann aus ihrer Zelle heraus, um in unseren Büros mit ihnen zu sprechen. Wir gehen auch mit ihnen in die Kirche. Unser Kirchraum ist ein sehr heller und froher Ort. Hier bekommen sie für einen Moment das Gefühl, nicht im Gefängnis zu sein. Das kann einen positiven Effekt haben.
Wie findet die Seelensorge derzeit statt?
Ich biete meine Arbeit weiterhin täglich an. Aber ich kann meine Gespräche mit den Gefangenen nur in einem gelüfteten Raum mit Maske und Abstand führen. Wir können uns also nicht mehr richtig ins Gesicht schauen. Die Mimik wird nicht mehr so deutlich; ich achte verstärkt auf Augen, Stimme und Körperhaltung. Ich kann den Gefangenen auch nicht eben einen Kaffee anbieten und sie dürfen nicht mal kurz eine Zigarette rauchen. Das macht die Situation distanzierter.
Was beschäftigt die Menschen besonders?
Ich werde oft von Gefangenen gefragt, wie die Situation draußen gerade sei. Das wollen sie von mir aus erster Hand hören. Einige sind ziemlich bedrückt und machen sich Sorgen um ihre Angehörigen. Andere sagen aber auch: Ach, dann versäume ich ja nichts.
Was macht das mit der Psyche der Gefangenen?
Viele haben Radio oder Fernsehen und bekommen die Situation außerhalb des Gefängnisses gut mit. Es kommt vor, dass sich einige von morgens bis abends Nachrichten anschauen. Sie kommen dann völlig fertig zu mir und erzählen, wie schrecklich das Ganze sei. Ich sage ihnen dann: Machen Sie doch am besten nur für 15 Minuten die Tagesschau an. Mehr an Coronanachrichten brauchen Sie nicht.
Dürfen sie Besuch empfangen?
Ja, aber nur hinter einer Trennscheibe. Vorher durften die Kinder ihren Vater zumindest kurz umarmen, das fällt jetzt auch weg.
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