: Back dir deinen Kippenberger
„Silkys Späti“, eine Hommage an eine Berliner Institution in Form einer begehbaren Installation, hat sich die Künstlerin Silke Thoss, genannt Silky, ausgedacht. Wegen Corona bietet sie jetzt auch Lieferservice an
Von Andreas Hartmann
Direkt neben dem SO36 in Kreuzberg gibt es seit Kurzem einen Späti, der gar keiner ist. Bunt verpackte Konsumwaren aller Art liegen darin aus, Chips, Süßkram, Kondome. Getränke befinden sich im Kühlschrank. Man muss sehr genau hinsehen, um erkennen zu können: Die so vertraut erscheinenenden Produkte sehen etwas anders aus als gewohnt. Und wenn man sie in der Hand hält, stellt man fest: Sie sind aus Pappmaschee und allesamt weder ess- noch trinkbar.
„Silkys Späti“, eine Hommage an eine Berliner Institution in Form einer begehbaren Installation, hat sich die Künstlerin Silke Thoss ausgedacht, die sich selbst Silky nennt. Im letzten Dezember ging es los damit. Jeder konnte sich in dem Laden umschauen und die ganzen Produkte, ergo: die Kunstwerke, mit denen er vollgestopft war, auch kaufen. Etwa die Butterkekse „Rotzkotz“ für 59,99 Euro. Oder soll es doch lieber eine Packung „Psycho Flips“ sein? Dann kam noch vor Weihnachten der Lockdown und Silke Thoss musste ihren Späti, der gar keiner war, erst einmal wieder schließen.
Seit Anfang dieses Jahres empfängt die etwas über 50-Jährige, die seit acht Jahren in Kreuzberg lebt, jedoch wieder Kunden. Diese können ihr per Mail schreiben und einen Termin vereinbaren. Zumindest ein Bierchen „Happy Day“ für 29,99 Euro to go sollte da doch drin sein.
Es lief wegen Corona sicherlich nicht alles so, wie sie es sich mit ihrer Kunstaktion gedacht hat. Aber wenn man Silky in ihrem Kunstwerk besucht, das im Salon 36 untergebracht ist, wird sofort klar: Die Frau in ihren schwarzen Cowboystiefeln lässt sich von dem bisschen Pandemie nicht so schnell unterkriegen. Sie ist bester Dinge und freut sich darüber, dass sich ihr Projekt zunehmend in der Stadt herumspricht, auch wenn sie gerade für den normalen Publikumsverkehr geschlossen haben muss. Immer gezielter würden die Leute bei ihrem Coronaspaziergung bei ihr vorbeischauen, um wenigstens die Nasen am Schaufenster reiben zu können. Und sie improvisiert nun halt. Nach unserem Treffen muss sie noch eine ihrer Waren aus dem Späti ausfahren. Sie bietet jetzt auch einen Lieferservice für ihre Kunst an.
In ihren Arbeiten beschäftige sie sich schon immer mit Produkten und Marken, erzählt sie. Die klassische Pop-Art habe sie geprägt. Als dann Ende März letzten Jahres der erste Lockdown kam, habe sie damit begonnen, auf ihre Weise Corona zu verarbeiten. Sie stellte Fakeprodukte her und pinselte auf diese Slogans mit Acryllack, die als Kommentare auf den allgemeinen Umgang mit der Seuche zu deuten seien. „Don’t“ etwa, „Freedom To Go“ oder „Wow“. Daraus entwickelte sich dann langsam ein, so nennt Silky das, „Coronatagebuch in Produkform“.
Der große Rock-’n’-Roll-Sänger Little Richard starb. Also fertigte die Musikliebhaberin, die selbst in einer Rock-’n’-Roll-Band singt und Akkordeon spielt, die pinkfarbene Chipstüte „Tutti Frutti“ samt aufgemaltem Konterfei des Sängers an. „Black Lives Matter“ heißt eine Tüte Milch. Und als die Verschwörungserzählungen der Coronaleugner immer abenteuerlicher wurden, entwarf sie die Cheese-Balls-Tüte „Jesus“ und die „Devil’s Chips“. Sie erklärt dazu: „Religion gehört für mich mit in den Bereich der Verschwörungsmythen.“
Nach dem ersten Lockdown nahm sie an einer Ausstellung im Holzmarkt in Mitte teil, auf der Kunst zu sehen sein sollte, die sich mit Corona beschäftigte. Sie stellte sich also dorthin mit ihren Schokoriegeln und dem Knabberzeugs aus Pappmaschee, „aber die meisten Leute gingen einfach daran vorbei und dachten wohl, ich sei eine Süßwarenverkäuferin.“ Sie wollte nun alles ein paar Nummern größer, exklusiver und kam auf die Idee mit dem Späti. Als feststand, dass sie diesen in der kleinen, zum SO36 gehörenden Galerie eröffnen könne, war für sie klar, dass sich die Historie des Clubs auch in ihrer Produktpalette widerspiegeln sollte. Welche Bands sind hier nochmals in den Anfangstagen des Clubs in der Punk-Ära aufgereten? Wire, The Fall, Bauhaus zum Beispiel. Allen hat sie ein paar ihrer vermeintlichen Leckereien gewidmet. Und der große Berliner Künstler Martin Kippenberger, für den das SO36 zeitweilig ein zweites Wohnzimmer war, wird bei ihr in Form eines absurd anmutenden Spezialprodukts gewürdigt, das aussieht wie eine Packung Mehl. „Make your own Kippenberger“ steht auf diesem, dazu ist ein Burger abgebildet, in dem ein paar Zigaretten stecken. Man merkt schon: Silky ist dem kalauernden Humor nicht abgeneigt. Vielleicht wollte sie hier aber auch nur die berühmte Kippenberger-Witzigkeit nachstellen.
Und da es dem SO36, das wegen Corona weiter geschlossen bleiben muss, gerade so dreckig geht, hat sie sich noch etwas ausgedacht: Soli-Versteigerungen von Silky-Kunst auf Ebay. Sie fertigte etwa einen „Ärzte-Koffer“, einen Stereo-Total-Gettoblaster und eine „Fehlfarben-Box“ an und ließ sich diese von den jeweiligen Bands unterschreiben. Sämtliche Erlöse daraus – an Weihnachten wurden die Auktionen beendet – gingen an den Konzertladen. Immerhin um die 1.500 Euro.
Gesellschaftskritisch solle ihre Kunst sein, so Silky. Konsumwaren werden sich angeeignet und umgedeutet, das ist politisch, unbedingt. Immanent ist da auch ein Seitenhieb gegen den Kunstmarkt, der jede noch so schöne künstlerische Arbeit zum möglichst teuren Geldanlageobjekt macht. Bei ihr kostet ein Stück Kunst vergleichsweise lächerlich wenig, und ein knappes Gut ist es auch nicht; die Auslagen in ihrem Späti sind voll mit dem ganzen Kram. Und wer es bildungsbürgerlich mag: Die ganzen Verweise auf Andy Warhol und Punk samt dessen fruchtbarem Verhältnis zur bildenden Kunst fallen auch gleich ins Auge.
Vor allem aber solle ihr Späti einfach Spaß machen. Und das tut er. Man steht in diesem wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal, nun ja, einen Späti betritt. Man kann gar nicht genug davon bekommen, seinen Blick durch die Regale streifen zu lassen und immer noch bizarrere oder lustigere Produkte Schrägstrich Kunstwerke zu entdecken. Das Fertiggericht „Suicide“ mit dem ekligen Mampf auf der Verpackung, die Tüte „Fuck Off“ mit den Mittelfingern vorne drauf: Keine Frage, Silky muss sehr viel Freude daran gehabt haben, sich diesen Schabernack auszudenken.
Gerade hat sie sich für ein Förderstipendium beworben. Sie will jetzt noch eine Schippe drauflegen. Als Nächstes will sie einen Supermarkt mit Silky-Produkten eröffnen.
Never Mind The Gallery, Here’s The Silky Späti. Im Salon 36. Mindestens bis Ende Januar
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