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Berliner Radiofestival trotzt CoronaGut zu hören

Musik ist immer auch eine Formatfrage. Wer Neue Musik will, muss sich beim Ultraschall-Festival für das Radio entscheiden.

Schickes Radio macht Radiohören noch schöner Foto: picture alliance/dpa

Das Medium und die Botschaft: muss man immer mal darüber nachdenken. Dass zum Beispiel Vinyl weiter und wieder ein begehrter Grundstoff ist, um Musik festzuhalten, ist doch vermehrt zu lesen. Die Schallplatte, ein tolle Sache. Aber das Medium hat eben seine Beschränkungen. Etwa zwanzig Minuten Spielzeit passen bei einer Langspielplatte auf die eine Seite, und dann muss man halt aufstehen, die Platte umdrehen, wenn man weiterhören will. Oder muss. Weil man vielleicht gerade eine Sinfonie ausgewählt hat, sagen wir etwa was von Beethoven.

In diesem Zusammenhang mag man an die Audio-CD erinnern, auch als Nachklapp zum vor Kurzem zu Ende gegangenen Beethoven-Jahr zum 250. Geburtstag (das Corona dem Jubilar aber gehörig verhagelt hat). Die handels­übliche Spieldauer der CD hat man, so heißt es, deswegen auf 74 Minuten festgelegt, damit die Neunte von Beethoven komplett draufpasst, und zwar selbst in der etwas schleppender angegangenen Version von Wilhelm Furtwängler.

Musik hören sollte ganz neu auch ohne das Aufstehen zwischendurch funktionieren.

Mit Formatfragen und medialer Präsenz – und wie die prägen – muss man sich natürlich momentan gerade deswegen auseinandersetzen, weil sich da ja krass was verschoben hat und die Präsenz eine zweifelhafte geworden ist. Zusammenfassen lässt sich die Problemlage in einem schönen Satz, der diese Woche in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war: „Vieles ist zu ersetzen, der Blick über die Schulter in den Zuschauerraum nicht.“ Der Satz findet sich in einem Text von Marie Schmidt über den sozialen Raum, der in Konzerten, Kinos oder dem Theater aufgemacht wird. Und der derzeit bis auf Weiteres aus den bekannten pandemischen Gründen geschlossen ist.

So kann man auch bei dem am Mittwoch startenden Ultraschall-Festival nicht schauen, ob sich da bei den Konzerten wieder die Gesichter einfinden, die dem Festivalgänger über die Jahre zu flüchtigen Bekannten geworden sind. Obwohl die Konzerte im Heimathafen, Radialsystem und dem Großen Sendesaal des rbb stattfinden, wie gehabt. Nur halt nicht mit Publikum im Saal.

Veranstaltet wird Ultraschall, die Plattform für Neue Musik und deren aktuelle Entwicklungen, von Deutschlandfunk Kultur und rbbKultur. Seit je ist es damit ein hybrides Festival, mit den Konzerten als Werbung für die Sender und als Sendematerial. Was in den Konzertsälen beim Festival passierte, wurde auch gesendet. Diesmal ist das Radiogerät eben der einzige Kanal für das Festival.

Bei rbbKultur schalten laut Media-Analyse täglich etwas über 100.000 Menschen in Berlin und Brandenburg ein, bei Deutschlandfunk Kultur sind es knapp über eine halbe Million. Welche Sendungen dabei aber gehört werden, weiß man nicht so genau. Da fehlen differenzierte Zahlen. So lässt sich nicht sagen, wie viele Neue-Musik-Fans bei den vergangenen Ultraschall-Ausgaben jeweils zeitgleich bei den Liveschalten vor dem Radio saßen, wenn sich etwa im Großen Sendesaal einige Hundert Hörer zum Konzert eingefunden hatten. Nur einzelne? Oder doch Tausende?

Das Radio selbst, als Medium, findet sich nicht wieder im Programm, auch wenn es durchaus Thema oder Gegenstand in der avancierten und experimentellen Musik geworden ist. In Soundart-Kompositionen und -Installationen zum Beispiel, die musikalisch den Umstand nutzen, dass man mit dem Radio einen prima Weltempfänger mit den unterschiedlichsten Frequenzen und Ausrichtungen hat. Sendet alles rund um die Uhr.

Solche radioreflexiven Besonderheiten sind auch deswegen bei dem Radiofestival nicht zu hören, weil es ja keineswegs als Radiofestival geplant war. Da ist der Vorlauf bei der Programmgestaltung für so einen Konzertreigen schlicht zu lang, da wurde in Zeiten konzipiert, als man noch auf Konzerte mit Publikum in den Sälen setzte.

Im Programm des Festivals für aktuelle Musik, die gern als Uraufführung gehört werden darf, findet sich auch gleich beim Auftaktkonzert am Mittwoch wieder ein Wink in die fernere Vergangenheit mit „O Ecclesia“ von Hildegard von Bingen, der mittelalterlichen Mystikerin. Dem türkischen Komponisten Emre Dündar, derzeit Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, ist ein Porträtkonzert gewidmet und dem aus der Schweiz stammenden und in Berlin lebenden Komponisten Stefan Keller, der auch Tabla spielt.

Das alles und noch viel mehr ist zwar nicht zu sehen in diesem Jahr, aber zu hören. Man muss nur die ­Radiogeräte einschalten. So sitzt man doch noch gemeinschaftlich quasi vor der Bühne, auch wenn man die ­anderen ­Besucher aus den Augen verloren hat. Ein ­allerdings schon sehr zusammengeschrumpfter sozialer Raum.

Was das mit dem Musikhören macht und den je besonderen Wahrnehmungen, wird bestimmt noch untersucht werden. Könnte doch sogar sein, dass man das Konzertformat mit dem ganzen Drumherum und den MusikerInnen auf der Bühne und dem Publikum davor irgendwie zu verlernen droht und nur mehr bequem und in Pantoffeln sich auch die Livemusik per Stream (da ist das Ultraschall-Radio doch schon eine Abwechslung) ins Haus holt.

Aber es gibt ja durchaus unterschiedliche Beharrlichkeiten: Schließlich hat die im Schallplattenzeitalter eingeübte Disruption (Aufstehen, Platte umdrehen) auch nicht dafür gesorgt, dass man beim Sinfoniehören immer und überall den Impuls verspürt, sich zwischendurch mal die Füße vertreten zu müssen.

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