Politikerin über Schulen im Lockdown: „Die Zahlen sind zu hoch“
Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst, neue Vorsitzende der KMK, über Schulöffnungen, digitalen Unterricht und den Streit um Luftfilter.
taz: Frau Ernst, seit knapp einem Monat befindet sich Deutschland im Lockdown. Dennoch steigen in Ihrem Bundesland Brandenburg die Inzidenzwerte und nähern sich der 300er-Marke. Was heißt das für Kitas und Schulen?
Britta Ernst: Die Kitas in Brandenburg sind offen. Dazu haben wir uns schon im Dezember entschieden, um eine Betreuung zu gewährleisten und weil Kitas einen wichtigen Beitrag zur frühkindlichen Entwicklung und Bildung leisten. Wir appellieren aber an die Eltern, die Kinder selber zu betreuen und die Angebote des Bundes, dafür Krankentage zu nehmen, wahrzunehmen.
In den Schulen bieten wir – außer in den Abschlussklassen – Distanzunterricht an. Für eine Öffnung der Schulen sind in Brandenburg die Inzidenzen in der Tat zu hoch. Wir können die Daten momentan aber nicht genau interpretieren, weil wir Effekte der sogenannten Untertestung haben und wir nicht genau sehen, welche Effekte die Feiertagsaktivitäten auf die Werte haben.
Deshalb sollen die Schulen weitere zwei Wochen im Distanzunterricht bleiben. Wenn sich in sieben bis zehn Tagen die Werte nach unten entwickeln, wollen wir aber die Grundschulen für den Wechselunterricht öffnen.
Einige Kultusminister:innen sprechen schon wieder vom Präsenzunterricht im Februar. Halten Sie solche Versprechungen für klug?
Alle Landesregierungen und Kultusminister treffen sehr schwierige Abwägungen. Ob man für drei Wochen in den harten Lockdown geht oder zwei, drei Monate, macht einen großen Unterschied für die Bildungschancen der Kinder. Insofern nutzen wir jeden Spielraum, der sich ergibt. Und das wird nach meinem Eindruck in allen Bundesländern in Abhängigkeit der Inzidenzwerte getan.
In Hamburg und Bremen beispielsweise entscheiden die Eltern darüber, ob die Kinder in die Schule gehen. Wäre das auch ein Modell für andere Länder?
Die Länder haben zwei Möglichkeiten: entweder komplett in den Distanzunterricht zu gehen oder die Präsenzpflicht aufzuheben. In Brandenburg haben wir uns für den Distanzunterricht entschieden. Die Schulen müssen ja auch die Herausforderung meistern, eine Notbetreuung für den Vormittag zu organisieren. In Brandenburg kommen wir, wie ich finde, mit diesem Weg gut klar.
Welche Rolle junge Menschen bei der Übertragung des Virus spielen, ist umstritten. Mehrere Studien kommen jedoch zu dem Schluss, dass offene Schulen sehr wohl das Infektionsgeschehen steigern. Würden Sie im Rückblick sagen, es war ein Fehler, im Herbst so lange ganze Klassen in der Schule zu lassen?
Nein. Wir wissen, dass die lang andauernde Schließung von Schulen nicht nur Nachteile für die Bildungsbiografien der Kinder hat, sondern dass wir den Kindern auch ihre sozialen Kontakte nehmen. Das sind schwerwiegende Eingriffe. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die Schulen so lange offen zu halten.
Bisher hat der Lockdown fast nirgendwo entscheidend die Zahlen gedrückt. Jetzt kommen möglicherweise noch besonders ansteckende Virusmutationen hinzu. Mit wie viel Präsenzunterricht rechnen Sie im Jahr 2021?
Zur Pandemie gehört, dass wir leider nicht in der Lage sind, längerfristige Perspektiven zu geben. Das bedauern wir sehr. Wir wissen auch, dass die Schulen darunter sehr leiden, dass sie häufig sehr kurzfristig mit veränderten Entscheidungen konfrontiert werden. Man muss sich aber klarmachen, dass wir alles tun, um die Schulen möglichst lange offen zu halten.
Deshalb schauen wir uns ständig das Infektionsgeschehen an und treffen dann eine Entscheidung. Das wird auch so weitergehen. Die Kultusministerkonferenz hat sich aber darauf verständigt, in welcher Reihenfolge die Schulen öffnen sollen: zuerst die Abschlussklassen, dann die Grundschulen, dann die weiterführenden Schulen. Wie lange sich dieser Stufenplan erstrecken wird, kann seriöserweise niemand beantworten.
Apropos Abschlussklassen. Viele Abiturient:innen und andere Schüler:innen, die im Sommer mit der Schule fertig sind, machen sich Sorgen um ihre Abschlüsse. Müssen sie das denn?
Es ist total nachvollziehbar, dass sich die Schülerinnen und Schüler Sorgen machen. Sie haben ein turbulentes Jahr hinter sich. 2020 haben wir es geschafft, dass die Abschlussklassen das Abitur machen konnten, obwohl es auch heftigen Protest dagegen gab. Es hat sich als die richtige Entscheidung herausgestellt. Auch den mittleren und den ersten Abschluss haben wir erreicht, auch viele Berufsabschlüsse.
Für die aktuellen Abschlussjahrgänge ist es wichtig zu wissen: Wir haben ihre Situation im Blick. Wir müssen jetzt abwarten, wie die nächsten Wochen verlaufen, bevor die Kultusministerkonferenz dazu beraten wird. In Brandenburg haben wir gemeinsam mit Berlin entschieden, zum Abitur zusätzliche Aufgaben zur Verfügung zu stellen, aus denen die Schulen dann auswählen dürfen.
Am Donnerstag übernehmen Sie für ein Jahr die KMK-Präsidentschaft. Als Schwerpunkt haben Sie digitalen Unterricht gewählt. Was möchten Sie in Ihrer Amtszeit erreichen?
Ich möchte, dass wir bei digitalem Unterricht nicht nur über Ausstattungsfragen reden. Es ist natürlich jetzt wegen Corona das vordringliche Thema: Solange es keine vernünftige Ausstattung an Schulen gibt, braucht man nicht über Inhalte reden. Perspektivisch müssen wir aber mehr über guten Unterricht reden. Das ist schließlich der rote Faden der Bildungspolitik.
Guter Unterricht fördert die leistungsschwächeren und die stärkeren Schüler und schließt die soziale Schere. Die neue Technik bietet da Potenziale. Sie müssen aber auch genutzt werden. Ein Activeboard an der Wand oder die Nutzung eines digitalen Endgeräts führt nicht automatisch zu besserem Unterricht. Darauf will ich das Augenmerk lenken. Für meine KMK-Amtszeit wünsche ich mir, dass wir die Forschungsergebnisse dazu enger mit der Praxis verzahnen.
Momentan reden aber alle über die digitale Ausstattung. Eltern schimpfen über Arbeitsblätter per Mail, Schulleiter:innen warten seit Jahren auf WLAN oder digitale Geräte, Lernplattformen wie Mebis oder Lernraum Berlin schmieren regelmäßig ab. Die Länder haben von den 5,5 Milliarden Euro aus dem Digitalpakt Schule bisher nicht mal ein Fünftel abgerufen. Warum tut sich Deutschland so schwer mit der Umstellung?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Rückblickend wäre es besser, wir hätten den Digitalpakt fünf oder acht Jahre früher begonnen, dann wären die Schulen jetzt besser ausgestattet und wir könnten uns über qualitative Aspekte des Unterrichts unterhalten. Immerhin ist der Digitalpakt vor der Coronapandemie vereinbart worden.
Viele Schulen hatten ihre Anträge gestellt, aber zu Beginn des ersten Lockdowns ist dann alles in Stocken geraten, weil alle, auch Schulen und Schulträger, mit dem Coronamanagement beschäftigt waren. Für Brandenburg kann ich sagen, dass die Aufholjagd absolut erfolgreich war. Zum Ende des Jahres haben wir eine Punktlandung hingelegt. Fast alle Mittel, die uns aus dem Digitalpakt zur Verfügung stehen, sind beantragt.
Die Bundesregierung hat ja seit Corona, salopp formuliert, die Spendierhosen an. Warum drängen die Länder nicht darauf, aus Bundesmitteln alle Schulen mit Luftfiltern auszustatten?
Auch wenn die Bundesregierung die Spendierhosen anhat, muss das Geld ja sinnvoll eingesetzt werden. Die zusätzlichen Gelder des Bundes für digitale Endgeräte für Schüler, für Systemadministration an Schulen und für Dienstlaptops für Lehrer sind zum Beispiel sehr sinnvoll. Bei Luftfiltern haben wir vom Umweltbundesamt eine lange Stellungnahme bekommen, dass sie eine flächendeckende Ausstattung der Schulen nicht empfehlen. Ich finde, das kann man nicht einfach ignorieren. Uns ist lange gesagt worden: Luftfilter können nur eine Ergänzung zum regelmäßigen Lüften sein.
Aber schaden können sie doch nicht, oder?
Na ja. Vielleicht wiegt man sich eher in falscher Sicherheit, wenn der Luftfilter mit im Klassenzimmer ist. Und man darf nicht vergessen, dass die Filter sachgerecht gewartet werden müssen, damit sie ordnungsgemäß funktionieren.
Gibt es für Sie in diesem Jahr noch andere wichtige Bildungsthemen außer Corona und Digitalisierung?
Eine ganze Menge. Wir wollen zum Beispiel zwei wichtige Entscheidungen aus dem letzten Jahr umsetzen. Das eine ist die Einrichtung der ständigen wissenschaftlichen Kommission, die die KMK ab nächstem Jahr beraten soll. Und dann wollen wir die getroffene Ländervereinbarung umsetzen und zum Beispiel die Vergleichbarkeit im Bildungsbereich zwischen den Ländern weiter erhöhen, etwa beim Abitur. Diese Vorhaben werden viel Energie in Anspruch nehmen.
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