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Moralische Injektion gegen Flug-Flow

Der Norweger Halvor Egner Granerud gilt als Favorit bei der heute beginnenden Vierschanzentournee der Skispringer. Was kann der 24-Jährige, was andere Weitenjäger nicht können?

Die Konkurrenz stets im Blick: Halvor Egner Granerud Foto: imago

Aus Oberstdorf Klaus-Eckhard Jost

Im Vorfeld sind sich alle einig. „Halvor Egner Granerud“, sagt der zweimalige Saisonsieger Markus Eisenbichler vor dem Start der Vierschanzentournee auf die Frage nach dem Favoriten. „Granerud“, sagt auch Daniel Huber, der momentan bestplatzierte Österreicher. „Granerud“ lautet die Antwort des vierfachen Olympiasiegers Simon Ammann. „Halvor“, sagt der norwegische Teamkollege Robert Johansson.

Muss man bei so viel Einigkeit überhaupt noch springen? Natürlich, denn in den vergangenen Jahren hat noch selten der Springer das traditionsreiche Skisprungspektakel gewonnen, der im Vorfeld der große Dominator war. Sven Hannawald, letzter deutscher Sieger 2002, spricht sogar von einem Fluch, der auf dem Favoriten laste. Natürlich befindet sich der 24 Jahre alte Granerud nach fünf Siegen hintereinander in einem Flow. Doch der hält nicht ewig, davon ist zumindest Markus Eisenbichler überzeugt: „Jo mei, irgendwann fängt er auch mal das Überlegen an.“

Vielleicht hat gerade der 29 Jahre alte Oberbayer dafür gesorgt, dass sich der Norweger Gedanken macht. Beim letzten Durchgang in Engelberg, der Tournee-Generalprobe, war ihm ein besserer Sprung gelungen als Sieger Granerud. „Das ist eine moralische Injektion“, urteilte Ex-Bundestrainer Werner Schuster. Dabei mag Eisenbichler die Titlisschanze nicht. Ganz im Gegensatz zum Bakken in Oberstdorf. „Ich muss meinen normalen Sprung rüberbringen, dann weiß ich, dass ich vor ihm sein kann, vor ihm sein werde“, sagt Eisenbichler: „Ich muss mein Fluggefühl ausspielen.“

Und was kann Granerud in die Waagschale werfen? „Er ist ein intelligenter Bursche und sehr detailorientiert“, sagt sein Trainer Alexander Stöckl. Doch genau diese Liebe zum Detail behinderte den Aufstieg von Granerud, der vor fünf Jahren sein Weltcup-Debüt in Lillehammer gegeben hatte. Dabei ist er gleich negativ aufgefallen. Wie zwei seiner Landsleute wurde er disqualifiziert – wegen zu enger Anzüge. Im Winter darauf holte er seine ersten Weltcuppunkte – als 28. beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee. In der Folge pendelte der Athlet, der in Aser zwischen Oslo und Drammen lebt, zwischen Weltcup und Continentalcup. Immer wieder verzettelte er sich in der Technik, speziell bei der Anfahrtshocke.

Im Frühjahr ging er dann zu Stöckl und bat diesen um einen Rahmenplan. „Er hat sich den ganzen Sommer an unsere Vorgaben gehalten“, sagt der Coach. Durch diesen Schritt zurück hat er nun wieder das große Ganze im Auge. „Granerud ist jetzt auch mal mit einer guten Leistung zufrieden und hat nicht mehr das Gefühl, ständig nach der Perfektion streben zu müssen“, so Stöckl. Mittlerweile sagt er über sich: „Grundsätzlich mache ich gerne Späße. Wenn es aber ums Skispringen geht, dann bin ich ganz ernsthaft.“

Mit Rat und Tat steht ihm auch Ex-Skiflug-Weltmeister Kenneth Gagnes als sein Servicemann zur Seite. Mit dem nötigen Ernst war Granerud bei der Skiflug-WM vor zwei Wochen von Sprung zu Sprung perfekter geworden. Letztlich fehlten ihm 0,5 Punkte oder 40 Zentimeter auf den Oberstdorfer Karl Geiger zu seinem ersten Titel. Wie ein Häufchen Elend hockte der Norweger an eine Bande gelehnt, als er das Ergebnis erfuhr. Vor Enttäuschung zog er seine Mütze übers Gesicht. „Eine halbe Stunde später war die Enttäuschung verflogen“, berichtet Trainer Stöckl.

Um seinen Kopf frei zu bekommen, geht Granerud gerne joggen. Dies hat er von seinen Eltern übernommen, die als Orientierungsläufer aktiv sind. Mit fünf Siegen im Gepäck reist Halvor Egner Granerud nun zum Tourneeauftakt am Montag nach Oberstdorf. Das hat vor ihm noch kein Norweger geschafft.

„Dass ich mich in die ruhmreichen norwegischen Bücher eintragen durfte, macht mich stolz“, sagt er. Wobei die Familie Granerud durchaus auf große Literaten im Stammbaum verweisen kann. Der Urgroßvater Thorbjörn Egner war ein erfolgreicher Kinderbuchautor. Ob ihn Urenkel Halvor Egner im Bekanntheitsgrad überholen kann? Die Auflösung gibt’s spätestens am 6. Januar beim Abschlussspringen in Bischofs­hofen.

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