piwik no script img

Bremer Agentur wirbt für neue SprachformEndlich verstehen, was da steht

Nicht so komplex wie Amtsdeutsch, nicht so reduziert wie leichte Sprache: Die Sprachform „Verso“ soll für barrierefreie Kommunikation sorgen.

Bei der Wahl in Bremen wurden Menschen auch in leichter Sprache informiert Foto: Eckhard Stengel / Imago

Bremen taz | „Wenn ein Text zu schwierig ist, höre ich auf, ihn zu lesen“, sagt Oliver Pagel. Er arbeitet bei der Lebenshilfe Bremen im Büro für leichte Sprache. Sein Job dort: Prüfen, ob ein Text verständlich geschrieben ist.

Von der Arbeit, die Menschen wie er leisten, profitieren viele: 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland verfügen über eine „geringe Literalität“, das heißt: Sie können höchstens einfache Sätze lesen und schrei­ben. Das besagt die LEO-Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2018. 6,2 Millionen Menschen – das sind rund zwölf Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Der Martinsclub Bremen hat jetzt eine neue Agentur gegründet. Die „Selbstverständlich GmbH“ soll für barrierefreie Kommunikation sorgen.

In Bremen wird das Thema leichte Sprache schon länger verfolgt. Die Lebenshilfe Bremen ist seit über 15 Jahren in dem Bereich tätig. Ihr Büro für leichte Sprache, in dem auch Oliver Pagel arbeitet, war das erste dieser Art in ganz Deutschland. „Die Sprache folgt einem bestimmten Regelsystem“, erklärt Marion Klanke von der Lebenshilfe. „Sie enthält möglichst einfache, kurze Wörter, keine Nebensätze und vermeidet zum Beispiel Konjunktiv, Passiv und Genitiv.“ Entstanden ist die leichte Sprache aus der Empowerment-Bewegung von Behindertenrechtsorganisationen.

Das neue Angebot vom Martinsclub wählt jetzt einen etwas anderen Ansatz. Für viele Klient*innen im Martinsclub sei die leichte Sprache zu leicht, sagt Sven Kuhnen von der neu gegründeten Selbstverständlich GmbH: „Manche haben uns gefragt: Ist das für Doofe gemacht?“. Daraus sei 2015 die Idee entstanden, eine Sprache zu schaffen, die alle verstehen und alle gern lesen. Der Martins­club hat dafür gemeinsam mit dem Kieler Sprachwissenschaftler Alexander Lasch geforscht. „Wir wollten wissen: Was macht Sprache schwierig, was macht Sprache leicht und wie kann es eine Sprache für alle geben?“, so Kuhnen.

Wir wollten wissen: Wie kann es eine Sprache für alle geben?

Sven Kuhnen, Selbstverständlich GmbH

Entwickelt wurde so die Sprache „Verso“ (VerständnisOrientierung). Auch sie folgt Regeln, enthält aber mehr Elemente der geläufigen deutschen Sprache als die leichte Sprache. Im Martinsclub Bremen wird sie seit Ende 2017 angewendet. Verso könnte aber auch in anderen Bereichen benutzt werden: Zum Beispiel bei Verträgen oder in Museen. Die Selbstverständlich GmbH soll jetzt helfen, die Sprache zu verbreiten. Die Agentur bietet Schulungen an, um einfache Sprache zu lernen, sie berät Unternehmen zum Thema barrierefreie Kommunikation und sie übersetzt Texte in einfache Sprache.

Bei der Lebenshilfe sieht man Verso nicht als Konkurrenz zur leichten Sprache. Es sei gut, dass es verschiedene Angebote gebe, betont Klanke. „Von leichter Sprache profitieren Menschen mit Lernschwierigkeiten, mit Lese- und Schreibschwierigkeiten, viele Gehörlose aber auch Menschen, die gerade erst deutsch lernen“, so Klanke. Durch die unterschiedlichen Hintergründe seien auch die Anforderungen an Sprache sehr verschieden. Jede Bemühung, Sprache verständlicher zu gestalten, sei deshalb „ein Schritt in die richtige Richtung“.

Der Bedarf ist da: Seit Ende 2018 sind alle öffentlichen Stellen dazu verpflichtet, ihre Websites auch in leicht verständlicher Sprache zu gestalten. Zumindest große Teile davon: Die wichtigsten Inhalte und die Navigation müssen in dieser Form verfügbar sein. Bei den Bremer Behörden sei die Umstellung auf leichte Sprache bereits gut gelungen, meint Ulrike Peter. Als Referentin bei der Zentralstelle für barrierefreie Informationstechnik ist sie auch ansprechbar, wenn sich jemand darüber beschwert, dass die Website einer öffentlichen Stelle noch nicht verständlich genug sei. 


Neben Behörden sind aber auch solche Stellen zu leichter Sprache auf der Website verpflichtet, die einen Großteil ihres Budgets aus der öffentlichen Hand beziehen. Das betrifft zum Beispiel viele Kindergärten, Jugendeinrichtungen oder Altenheime. Viele dieser Stellen in Bremen bieten allerdings nach wie vor keine leichte Sprache auf ihrer Website an, sagt Peter. Eigentlich seien die meisten dem Thema gegenüber sehr offen. „Das Problem ist aber: Viele wissen gar nicht, dass dieses Gesetz für sie gilt“, so die Referentin. Um das zu ändern, gehen die verschiedenen Ressorts des Landes nun direkt auf die betroffenen Stellen zu.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ein Beispiel (aus der Coronaverordnung des Landes NRW vom 16.12.)

    "§1 (5) Öffentlicher Raum im Sinne dieser Verordnung sind alle Bereiche mit Ausnahme des nach Art. 13 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützten Bereichs."

    Sehr aufschlußreich.



    Was steht denn in Art 13(1) GG :

    "(1) Die Wohnung ist unverletzlich."

    Da fragt man sich doch, warum steht in der Corona-Verordnung nicht einfach

    "§1 (5) Öffentlicher Raum im Sinne dieser Verordnung sind alle Bereiche außerhalb der Wohnungen"

    oder noch einfacher:



    Warum steht nicht in der Verordnung anstelle "Öffentlicher Raum" überall "außerhalb der Wohnung".



    Das versteht jeder.

    Aber dann hätten die Juristen ja nichts mehr zu streiten.

    Wir können das aber noch weiter treiben: (aus der selben Verordnung)

    "Auf Grund von § 32 in Verbindung mit den §§ 28 Absatz 1, 28a, 73 Absatz 1a Nummer 6 und 24 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), von denen § 28 Ab-satz 1 zuletzt durch Artikel 1 Nummer 16 des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) geändert, § 28a durch Artikel 1 Nummer 17 des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügt, § 73 Absatz 1a Nummer 6 zuletzt durch Artikel 1 Nummer 26 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1010) und § 73 Absatz 1a Nummer 24 zuletzt durch Artikel 1 Nummer 23 des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) geän-dert worden sind, sowie von § 10 des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes vom 14. April 2020 (GV. NRW. S. 218b) verordnet das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales: "

    Was, wenn da einfach stünde " ... in der jeweils am 16.12.2020 geltenden Fassung" ?

    Aber das wäre den Juristen sicher zu trivial.

  • Ich bin der festen Überzeugung, dass Behördentexte, Gesetze, Verordnungen und Formulare für jedermann verständlich wären - wenn man es denn wollte.

    Wie schon in den vergangnen Jahrhunderten möchte man nicht, dass das "Fußvolk" versteht worum es geht.



    Damals war "Latein" das Zauberwort - obwohl eh kaum jemand lesen und schreiben konnte.



    Heut' macht man's über's "Juristendeutsch" - das dann selbst die Juristen nicht mehr verstehen.

    Also unter'm Strich ein netter Ansatz - aber ohne jede Chance auf Realisierung.