BERND KRAMER ÜBER DIE GRÜNE BILDUNGSPOLITIK IM LÄNDLE: Schwäbisches Lehrersterben
Was für ein Versprechen! Die Lehrer sollen bleiben, selbst wenn die Schüler in den nächsten Jahren weniger werden. Das Geld, das durch den Geburtenrückgang frei wird, die sogenannte demografische Rendite, soll dem Bildungssystem zugutekommen statt Haushaltslöcher zu stopfen. So haben es die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder vor vier Jahren beim Dresdener Bildungsgipfel angekündigt. Und was machen sie heute?
In Hessen fordert der Landesrechnungshof, an den Schulen zu sparen; in Bremen sollen längst eingeplante Lehrerstellen nun doch nicht kommen. Und ausgerechnet das grün-rote Baden-Württemberg toppt alle Schreckensmeldungen mit der Ankündigung, über 10.000 Lehrerstellen streichen zu wollen.
Ausgerechnet Baden-Württemberg: In einem der reichsten Bundesländer wird die Schuldenbremse zur Bildungsbremse. Das ist kein gutes Omen für den Rest der Republik. Da mag Bundesbildungsministerin Annette Schavan ihre Länderkollegen noch so bitten, ihre Versprechen vielleicht doch einzuhalten, ausrichten kann sie gegen das Streichen und Sparen leider überhaupt nichts. Das Kooperationsverbot, das ihr irrsinnigerweise untersagt, die Länder bei Bildung und Forschung zu unterstützen, soll zwar gelockert werden – nur eben nicht für den Schulbereich. Bildung, auch das zeigt das Beispiel, ist falsch finanziert – eine Länderaufgabe, zudem den Moden und Launen der Haushaltspolitiker unterworfen.
Dass gerade Baden-Württemberg so rabiat den Rotstift einsetzt, verwundert vor allem auch deswegen, weil die grün-rote Landesregierung sich die Bildung einst auf die Fahnen geschrieben hatte. Bei den Grünen ist es längst Konsens geworden, die Bildung als Alternative zur Umverteilungspolitik alten Stils zu propagieren.
An der Chancengleichheit mangelt es tatsächlich, gerade auch im Südwesten: Die Idee, die demografische Rendite für mehr Gerechtigkeit in den Schulen zu verwenden, steht folgerichtig fett im Koalitionsvertrag, Seite 5, unten: „Zur Finanzierung der hierfür notwendigen Mehrausgaben werden wir Haushaltsmittel verwenden, die aufgrund sinkender Schülerzahlen frei werden.“ Und heute? Auf die Sparwünsche des Landesrechnungshof antwortet das Kultusministerium wie folgt: „Angesichts der künftig weiter sinkenden Schülerzahlen und der Notwendigkeit, den Landeshaushalt zu sanieren, stimme das Ministerium zu, auch die ‚demografische Rendite‘ mit zur Entlastung des Haushaltes einzusetzen.“ Deutlicher könnten sich Koalitionsvertrag und Regierungshandeln gar nicht widersprechen.
Mehr noch: Mit dem Geld, das nicht in den Haushalt fließen soll, will man offenbar insbesondere Gymnasien und Realschulen päppeln – also privilegierte Schulformen, hinter denen eine mächtige Elternlobby steht. Bildungsaufbruch? Mehr Chancengleichheit? Vergessen.
Auch der Ausbau der Ganztagsschule verträgt sich nicht mit Stellenstreichungen. Im Südwesten bleibt bisher gerade einmal ein Viertel der Schüler am Nachmittag in der Schule – um schwache Schüler dann gezielt zu fördern, müssen auch die Lehrer länger bleiben.
Im Koalitionsvertrag verspricht Grün-Rot, den Ganztagsbetrieb zur Regel zu machen: „Wir werden Lehrerstellen und Mittelbudgets für den Ausbau zur Verfügung stellen.“
Und nicht zuletzt: Erst 30 Prozent aller Schüler mit Behinderung besucht bislang eine ganz normale Schule – auf Dauer verlangt die UN, dass deutschlandweit an die 90 Prozent der Förderschüler mit nichtbehinderten Kinder zusammen lernen. Mehr gemeinsames Lernen, mehr Ganztagsunterricht, mehr Chancengleichheit – wie das mit über 10.000 Lehrern weniger zu bewerkstelligen sein soll, die Antwort bleibt die Landesregierung bislang schuldig.
Das heißt natürlich nicht, dass sich im Schulsystem nicht grundsätzlich sinnvoll einsparen und umschichten ließe: Im EU-Vergleich liegen die Gehälter deutscher Lehrer im oberen Bereich. Gymnasiallehrer bekommen deutlich mehr als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Grund-, Haupt- oder Realschule, obwohl die die deutlich schwierigeren Klassen zu unterrichten haben. Dieses Geld ließe sich besser verwenden.
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