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Kleinere Differenzen

30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die ökonomische Lage von Frauen in Ostdeutschland im Durchschnitt zwar nicht besser als in der DDR, aber immer noch besser als in Westdeutschland – sagt eine Studie

Arbeiterinnen in den Buna-Werken Schkopau, einem Chemieunternehmen für die polymere Kunststoffproduktion (1990) Foto: Hendrik Lietmann/Ostkreuz

Von Aline Zucco

Viele ostdeutsche Frauen sind unmittelbar nach der Wiedervereinigung ökonomisch die großen Verliererinnen gewesen. Etliche von ihnen verloren nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland ihre Arbeitsplätze. Allerdings würde man es sich zu leicht machen, wenn man sagte, dass ostdeutsche Frauen in den letzten drei Jahrzehnten bloße Verliererinnen waren.

30 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung lohnt es sich erneut, zu untersuchen, wie sich Erwerbsbeteiligung, Löhne und Renten seither für diese Gruppe entwickelt haben. Wie steht es um die berufliche und finanzielle Lage von Frauen im Ostteil Deutschlands heute? Und was ist in der Zukunft zu erwarten?

Jobverluste, vor allem durch Schließung von Betrieben und Behörden, betrafen nach der Wiedervereinigung die gesamte ostdeutsche Bevölkerung, Frauen waren zunächst jedoch besonders betroffen. Die Arbeitslosenquote unter ostdeutschen Frauen stieg in den 1990er Jahren sprunghaft an – verdoppelte sich beinahe von 12 Prozent am Anfang des Jahrzehnts auf 22 Prozent im Jahr 1997. Bei den ostdeutschen Männern stieg sie dagegen zunächst wesentlich langsamer.

Viele Frauen erlebten dadurch heftige Brüche in der Erwerbsbiografie. Viele haben sich davon bis heute nicht vollständig erholt. Das betrifft auch die Altersgruppe, die jetzt, zum 30-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung, das Rentenalter erreicht und damals mitten im Berufsleben stand. Die Karriere dieser Frauen bekam in den 1990er Jahren einen Knick. Die Folgen spüren sie teilweise bis heute.

Die Studie

Die AutorinAline Zucco ist promovierte Volkswirtschaftlerin. Sie war Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist seit 2020 verantwortlich für Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Sie forscht zur Ungleichheit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt.

Der Report

„30 Jahre Deutsche Einheit. Gleichstellung von Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten in Ost- und Westdeutschland“ heißt die aktuelle Studie des (WSI). In dieser Untersuchung analysieren Aline Zucco und ihre Kolleg*innen die Einkommens­entwicklungen von Frauen und Männern in den beiden Landesteilen seit 1990.

Quelle

Nachzulesen ist der Report der Studie hier: https://www.wsi.de

Zu Beginn der 1990er Jahre waren zwei von drei Frauen in Ostdeutschland erwerbstätig – bis 2005 sank dieser Anteil auf knapp unter 60 Prozent. Erst seit 2006 steigt er wieder. Allerdings waren Frauen in Ostdeutschland damit weiterhin häufiger erwerbstätig als westdeutsche Frauen. Und auch in größerem Umfang. Von den erwerbstätigen westdeutschen Frauen arbeitete nämlich 1991 ein Drittel in Teilzeit, von den Ostdeutschen mit 18 Prozent wesentlich weniger. Grund war bekanntermaßen die umfassender ausgebaute Kinderbetreuung und das Leitbild der berufstätigen Mutter in Ostdeutschland, gegenüber dem traditionellen Familienbild der Bundesrepublik.

Die Teilzeitquote ist deshalb wichtig, weil sie sich auf die Aufstiegschancen auswirkt. Insbesondere die relativ stark ausgeprägte Vollzeiterwerbstätigkeit ostdeutscher Frauen trägt dazu bei, dass Frauen in Ostdeutschland heute deutlich häufiger in Führungspositionen vertreten sind als im Westen. Insbesondere in der zweiten Führungsebene erkennt man das: Das Geschlechterverhältnis im Ostteil des Landes ist relativ ausgewogen. Obwohl Frauen dort im Jahr 2018 nur 44 Prozent aller Beschäftigten ausmachten, stellten sie 45 Prozent der Führungspositionen. Dieser Effekt wird häufig übersehen, weil die zweite Führungsebene weniger sichtbar ist als die erste – dort ist nach wie vor weniger als eine von drei Stellen von einer Frau besetzt.

Der Effekt der größeren Aufstiegschancen für ostdeutsche Frauen durch höhere Vollzeitquote ist nicht nur im Rückblick entscheidend, sondern könnte sich auch in Zukunft fortsetzen. Denn die Teilzeitquote liegt bei ostdeutschen Frauen auch heute noch wesentlich niedriger als bei Frauen im Westteil des Landes. Im Jahr 2018 arbeiteten 35 Prozent der erwerbstätigen Frauen im Osten in Teilzeit, gegenüber 49 Prozent im Westen.

Die Teilzeitquote bei ostdeutschen Frauen ist viel niedriger als bei westdeutschen

Auch das Rollenbild der erwerbstätigen Mutter scheint – lange nach dem Ende der DDR – weiter vorzuherrschen. Das zeigt der Blick auf die Arbeitsteilung bei Paaren: Während in Westdeutschland nur etwa in jedem fünften Paarhaushalt mit Kindern beide Eltern in Vollzeit erwerbstätig sind, gehen im Osten bei fast der Hälfte der Elternpaare beide in Vollzeit arbeiten.

Die ausgeprägtere Erwerbstätigkeit von Frauen in Kombination mit deutlich mehr Präsenz in Führungspositionen erklärt zum Teil auch, warum der Gender Pay Gap, also die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, in Ostdeutschland deutlich niedriger ausfällt. 7 Prozent weniger verdienen Frauen im Osten gegenüber ostdeutschen Männern. Dagegen liegt der Unterschied in Westdeutschland bei 21 Prozent. Allerdings muss man der Vollständigkeit halber erwähnen, dass das Lohnniveau ostdeutscher Männer deutlich unter dem von Männern im Westen liegt. Zwar sind die Lohnunterschiede zwischen der ost- und der westdeutschen Bevölkerung – vor allem für die Frauen – zu Beginn der 1990er Jahre deutlich gesunken. Allerdings verharren sie seitdem auf einem recht konstanten Niveau. 2019 verdienten westdeutsche Männer pro Stunde 5,56 Euro mehr als ostdeutsche Männer. Das sind 32 Prozent.

Vergleicht man dagegen die Frauen in Ost und West, fällt die Differenz merklich kleiner aus. Sie liegt hier bei „nur“ 1,82 Euro (11 Prozent). Die relativ geringen Löhne der Männer im Osten legen allerdings auch die Vermutung nahe, dass die Entscheidung ostdeutscher Frauen, in Vollzeit zu arbeiten, oft auch eine finanzielle Notwendigkeit war – und ist.

Buna-Werke in Schkopau 1990. Nach dem Verkauf durch die Treuhand an die US-amerikanische Firma Dow Chemical wurden die meisten Beschäftigten entlassen Foto: Hendrik Lietmann/Ostkreuz

Die ähnlichen Stundenlöhne von Männern und Frauen einerseits und die kurzen Erwerbsunterbrechungen sowie hohe Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen andererseits erklären schließlich auch den geringeren Gender Pension Gap im Osten, also den geschlechtsspezifischen Unterschied bei den Renten. Der Unterschied fiel schon 1992 34 Prozentpunkte geringer aus als im Westen und lag auch 2015 noch 30 Prozentpunkte unter dem in Westdeutschland, obwohl die Frauen auch dort aufgeholt haben.

Allerdings waren die Renten ostdeutscher Frauen im Jahr 2015 gleichwohl um 28 Prozent geringer als die der ostdeutschen Männer. Ostdeutsche Frauen, die in diesem Jahr neu in Rente gingen, erhielten im Durchschnitt eine Rente von 974 Euro, das waren 92 Euro weniger als bei den Männern. Die Erwerbsminderungsrente ostdeutscher Frauen hingegen liegt mit 794 Euro über der der Männer (713 Euro).

Heute liegen Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote der ostdeutschen Frauen fast auf westdeutschem Niveau, sie haben (fast) ähnlich hohe Löhne wie Männer und ihre Renteneinkommen nähern sich immer mehr den von Männern an. Das stimmt positiv mit Blick auf die Zukunft der erwerbstätigen Frauen im Ostteil des ­Landes.

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