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Lebensretter:innen im Porträt

Die Hilfeleistungen von Amnesty International werden leider nicht so schnell obsolet – die lebensgefährliche Migration über Mittelmeer und Atlantik an die Ufer der EU lässt sich nicht wegwünschen. Und schon gar nicht juristisch verhindern

Lene Sörensen

39, Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Covid-19-Station, St. Joseph Krankenhaus Berlin-Tempelhof

„Ich rette Leben, weil ich nach dem internationalen Ethikkodex der Pflegenden dazu verpflichtet bin, Gesundheit zu fördern, Krankheit zu verhüten; weil JEDER Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit hat und weil ich an die Nächstenliebe und an dieVerpflichtung, füreiander Sorge zu tragen, glaube.“

Von René Hamann

Ein wenig sind sie aus den Schlagzeilen geraten. Tatsächlich sterben aber immer noch Migrantinnen und Migranten in den Gewässern, die Afrika von den rettenden Ufern der Europäischen Union trennen. Und noch immer sind Einsatzschiffe unterwegs – um diese Geflüchteten vor dem Ertrinken zu retten. Und aufzunehmen und an Land zu bringen. Auch wenn beispielsweise der italienische Innenminister Matteo Salvini, der einst die italienischen Häfen für die Rettungsschiffe zumindest derzeit und, wie er hoffte, für immer schließen ließ, längst Geschichte, das heißt außer Dienst ist, und Europa und die Welt im Coronaschock liegt, werden die selbstlosen Retterinnen und Rettern noch immer in ihrer Arbeit behindert, ob logistisch, finanziell – oder gar juristisch.

Amnesty International (AI), die weltweit operierende und anerkannte NGO, die im nächsten Jahr bereits 60 Jahre alt wird, hat sich deswegen die Aufgabe gesetzt, die Helfenden an den Außengrenzen der Europäischen Union zu unterstützen. Im schlimmsten Fall drohen denen nämlich Haft und Geldstrafen, wie aktuell der Crew des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“.

„Iuventa“-Kapitän Dariush Beigui und seine Crew haben mehr als 14.000 Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet. Seit August 2017 jedoch liegt das Schiff vor Anker, weil es von italienischen Behörden beschlagnahmt wurde. Gegen Beigui und seine Crew wird ermittelt, es laufen juristische Verfahren, an deren Ende hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen stehen könnten. Dabei ist Salvini seit September 2019 gar nicht mehr im Amt.

Dariush Beigui

42, Binnenschiffer, „Iuventa“-Kapitän

„Ich rette Leben, weil viel zu viele weggucken, wie Europas Politik Leben raubt.“

„Leben zu retten, bedeutet für mich, solidarisch zu sein mit jedem Menschen in Not oder auf der Flucht. Völlig egal, warum dieser Mensch geflohen ist oder woher dieser Mensch kommt.“

Und eine Regel sollte doch durch die international gültigen Menschenrechte gedeckt sein: Jedes Leben muss gerettet werden, egal wie und egal wo. Wer Schutzsuchende mit Essen oder Kleidung versorgt oder vor dem Ertrinken rettet, darf nicht bestraft werden. Diese schlichte Regel sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Im Fall der „Iuventa“ versucht es die NGO nun seit dem Sommer mit einem Appell, den man unterzeichnen kann – schlicht „Leben retten“ getauft. Die Forderung, die dahinter steht, lautet, dass „humanitäre Hilfe für geflüchtete Menschen ausdrücklich erlaubt“ sein sollte; und dass Lebensretterinnen und -retter nicht juristisch verfolgt gehören.

Ob so ein Forderungspapier aber reicht, um diese Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, sei dahingestellt. Bei den vielen Bränden und Brandherden, die es abgesehen von Corona überall gibt, kann so ein sanfter Aktivismus allerdings kaum schaden. Und es ist ja leider tatsächlich nicht die einzige Front, an der AI zur Zeit kämpft: Genannt seien an dieser Stelle nur die Spannungen in Ostafrika, genauer in Äthiopien, oder jüngste Verhaftungen in Hongkong oder auf Kuba.

Mahtab Bazargan

45, ist Gynäkologin an der Frauenklinik an der Elbe in Hamburg

„Ich rette Leben, weil jedes Leben lebenswert ist.“

„Leben zu retten, bedeutet für mich, Menschen in ihrer Not zu helfen, egal wie und wo.“

„Humanitäre Hilfe für Geflüchtete sollte ausdrücklich erlaubt sein.“

Der Militärangriff auf die umkämpfte äthiopische Region Tigray alarmiert Amnesty International in besonderem Maße. Das Land stehe am „Rand einer tödlichen Eskalation“, so die Organisation Ende November. Die Zahl der Notleidenden im abgeriegelten Gebiet hat sich UN-Angaben zufolge binnen weniger Wochen verdoppelt, Lebensmittel und Treibstoff gehen zur Neige.

Die Welt brennt, und künftige Konflikte deuten sich erst zart an. Umso wichtiger ist es, die Arbeit der NGOs weltweit im Kampf gegen Ungerechtigkeit und für das Leben zu unterstützen.

www.amnesty.de/mitmachen/petition/leben-retten-ist-kein-verbrechen-0?ref=26074

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