Freie Bahn für die Wissenschaft

In Hamburg sind jetzt mit staatlichem Geld erarbeitete Forschungsergebnisse frei im Internet nachzulesen. Doch dieses „Open-Access“-Modell ist durchaus umstritten

„Veröffentlichungen verbreiten sich deutlich schneller und weiter“

Dieter Scholz, HAW Hamburg

Von Paula Bäurich

Die Stadt Hamburg hat sich der Open-Science-Bewegung angeschlossen. Seit Anfang Oktober sind in Hamburg mit staatlichem Geld erarbeitete Forschungsergebnisse frei im Internet zugänglich – zu finden auf der Website des Programms „Hamburg Open Science“. Die Strategie wurde von den Hamburger Universitäten und Hochschulen in Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek (SUB) und der Wissenschaftsbehörde (BWFGB) entwickelt. Für die Umsetzung stellte der Senat ab 2018 2,9 Millionen Euro bereit. Im Dezember endet die Förderung.

Die Umstellung der öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Publikationen auf Open Access gilt als ein Meilenstein auf dem Weg zur offenen Wissenschaft. Dabei ist die Diskussion darüber, ob und in welcher Form Open Access der richtige Weg ist, aktuell noch in vollem Gange. Denn im Zweifel kann die Strategie sogar zu einer Qualitätsminderung in der Wissenschaft führen.

Nach dem bisherigen Publikationsmodell reichen Forschende ihre Aufsätze bei Wissenschaftsverlagen ein. Dort werden sie von Redakteur*innen und anderen Wissenschaftler*innen auf ihren fachlichen Gehalt und ihre Veröffentlichungswürdigkeit hin geprüft. Je größer die Reputation der Zeitschrift, bei der ein Artikel landet, desto höher ist die öffentliche Aufmerksamkeit. Finanziert wird der Aufwand von den Abonnent*innen: Bibliotheken, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, aber auch Privatpersonen.

Nach dem neuen Open-Access-Modell müssen die Forschenden für die Kosten aufkommen. Wer in einer renommierten Zeitschrift publizieren will, wird viel Geld aufbringen müssen. Das setzt ein gutes Gehalt, am besten eine Professur voraus, oder eine Institution, die dafür aufkommt. Wer das Geld nicht hat, oder seinen Forschungsergebnissen nicht viel zutraut, kann zu einem Feld-Wald-und-Wiesen-Verlag gehen oder in den Repositorien der Universitäten veröffentlichen – das ist auch ohne „peer review“, also die Prüfung durch Kolleg*innen, das heißt ohne Qualitätssicherung, möglich.

Einen Anstoß für die Open-Access-Bewegung gab die sogenannte Zeitschriftenkrise. „Viele Bibliotheken waren aufgrund der hohen Preise für den Zugang zu Zeitschriften und der gleichzeitig stagnierenden Budgets nicht mehr dazu in der Lage, ihren Nutzer*innen ein breites Zeitschriftenspektrum zur Verfügung zu stellen“, erläutert der Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV), Andreas Degkwitz. Manche Bibliotheken bestellten sie ab – mit der Folge, dass sie für die übrigen noch teurer wurden.

Die Politologin Antje Wiener von der Uni Hamburg sieht die Entwicklung kritisch: „Die Gefahr, dass Wissenschaftler*innen, die sowieso schon benachteiligt sind, weiter diskriminiert werden, ist hoch.“ Ihnen fehle oft das Geld für Publikationen in renommierten Zeitschriften.

Der DBV-Vorsitzende Degkwitz hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Verlage das Modell der Gewinn- und Umsatzmaximierung auf Open Access übertragen und deshalb die zu zahlenden Artikelgebühren für Artikelveröffentlichungen in Zeitschriften steigen.

Die Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Hamburg hat auf dieses Problem bereits reagiert: „Wir haben als Bibliothek mit einigen Verlagen Rahmenverträge ausgehandelt, um den Autor*innen eine kostenfreie oder rabattierte Veröffentlichung zu ermöglichen“, sagt die Open-Access-Beauftragte der SUB Isabella Meinecke.

Der DBV-Vorsitzende Degkwitz fürchtet zudem, dass es zu einer ungleichen Verteilung der Finanzierungslasten kommt. Während Einrichtungen, die viel publizieren, fast die gesamten Kosten des neuen Modells trügen, würden diejenigen profitieren, die vorrangig lesen und selbst kaum veröffentlichen. Das könne zur Folge haben, dass Einrichtungen, die viel publizieren, aus dem Projekt aussteigen. „Für die Wissenschaft ist es aber enorm wichtig, dass forschungsstarke Universitäten dabei bleiben“, sagt Degkwitz.

Dabei hat das Open-Access-Modell durchaus Potenzial für die Forschung: „Die schnelle und ungehinderte Verbreitung von Wissen ist die Basis für Erkenntnisfortschritt in Wissenschaft und Forschung“, sagt der Bibliothekar Rafael Ball.

Dieter Scholz, Professor für Flugzeugentwurf an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) Hamburg, sieht im Open-Access-Modell Vorteile für Wissenschaftler*innen: „Veröffentlichungen verbreiten sich deutlich schneller und weiter.“ Die Zitierhäufigkeit von Open Access-Veröffentlichungen sei weitaus höher als bei traditionellen „Closed-Access-Veröffentlichungen“.

Auch die Öffentlichkeit könne von dem neuen Modell profitieren, sagt die Politologin Wiener: „Wenn ein Großteil der Menschen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen Zugang hat und sie versteht – zum Beispiel durch vereinfachte Publikationen für Lai*innen –, steigt die öffentliche Teilhabe an der Forschung.“ Das führe zu einem breiteren Spektrum an Meinungen in der öffentlichen Debatte.

Open-Access-Webseiten wie in Hamburg ermöglichen allerdings Erstpublikationen, die keine Qualitätssicherung durch Verlage durchlaufen haben. Zudem verzichteten die Forschungseinrichtungen oft auf eine Vorauswahl der Publikationen, sagt Degkwitz. Personen, die nicht aus der Forschung kommen, könnten kaum erkennen, welchen Publikationen sie glauben können und welchen nicht.